Heft 
(1885) 30
Seite
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Deutsche Noinan-Bibliothek.

des Bergkletterns studiren. Nach Absolvirung dieser Schule treten die weiblichen Zöglinge über in das Familienleben, werden Mütter, liefern jährlich ein bis zwei Kitzchen, welche meistens geschlachtet werden, um mit ihrem Fleische den Gour- mands einen zarten, wohlschmeckenden Braten, mit ihrem Häut­chen der Lady Soundso und wohl auch den geneigten Lesern, Tourist oder Touristin, jene weichen, elastischen Glaces zu liefern, die die Bewunderung der Welt sind.

Nur die wenigsten Kitzchen entrinnen diesem Loose nur was zum unmittelbaren Nachwuchs absolut nöthig ist, wird am Leben gelassen und bezieht im Sommer die Hochwälder und Hochtriften, wo sie von dem Forstmanne, der ihr größter Feind ist, von Zeit zu Zeit inspizirt werden.

Weh' demNeaser", der über diese Schaar gestellt ist, wenn von Jenem eines und das andere in der Region des Jungholzes getroffen wird, wo es mit großem Appetit und vielleicht mit etwas Bosheit gerade die jüngsten und zartesten Triebe der harzigen Jichtenstämmchen abbeißt. Sein Leben ist dem Forstmann verfallen, und derNeaser", dessen Lohn ohnehin karg genug ist, muß dem Weibe im Dorfe, das die Leiche als die ihresNeasl's" agnoszirt, den Preis ersetzen.

Daraus ist begreiflich, daß derNeaser" seine Heerde am liebsten in der Nähe der Gemsen hält, und daher auch seine Hütte gewöhnlich in den höchsten Regionen unter irgend einem vorspringenden Felsen, der ihm Deckung gewährt, aufschlägt.

Diese Abgeschlossenheit von aller Welt während eines Zeitraumes von vier bis fünf Monaten und der einzige Um­gang mit diesen gehörnten Schroffenbewohnern, die meistens sehr unfolgsam sind und wenig Intelligenz besitzen, bringt es mit sich, daß auch meistens der Knabe, dem dieselben anver­traut sind,der Neaser", ein recht grober und ungeschlachter Bengel und Fluchbold ist.

DerNeaser", welcher vor etwa zwanzig Jahren in der Verwallgruppe, in Schönerwall, seineNeaslen" hütete und mich von dort bis nach Verbella im Montafon als Führer begleitete, mußte, bevor er seine Heerde verlassen konnte, die­selbe etwas zusammcnholen, die einen herunter aus den höchsten Felsenzacken, die anderen herauf aus der Nähe des benachbarten Gehölzes. Ich hatte dabei Gelegenheit, die ganze Skala seiner Flüche kennen zu lernen, und mußte sogar zu meinem Miß­fallen zuschaucn, wie der Bursche einmal, als ihm seine Schüler kein Gehör gaben, sich niedersetzte, die Hand sprachrohrförmig an den Mund hielt und zum Himmel hinauf fluchte, daß ich glaubte, das Gewölbe werde einbrechen. Später beim Ueber- gang durch die düsteren Hochthäler stellte er das bescheidene Ersuchen an mich, ich möchte ihm, da ich studirt Hütte, einige lateinische Fluchformeln aufschreiben, da sein Vieh vor diesem deutschen Geschrei keinen Respekt mehr bezeige.

Später ist er Roßknecht geworden und dürfte hinreichend Gelegenheit gefunden haben, seine jugendliche Liebhaberei fort- zukultiviren. Doch davon genug.

In der Zeit der hohen Blüte der etymologischen Studien möchte vielleicht mancher der geneigten Leser den stillen Wunsch hegen, zu erfahren, von welcher Abstammung das sonderbar klingende WortNeas"Neaser" sein dürfte.

Zweifelsohne ist es eines jener alten deutschen Urworte, die in der hochdeutschen Sprache verschwunden sind, sich aber in der Volkssprache noch sortbehauptet haben; wie zum Bei­spiel auch das WortZiefer", gleichbedeutend mit Kleinvieh in der Volkssprache gang und gäbe in der hochdeutschen Sprache unbekannt ist, während es sich in seinem negativen Sinne, in der FormUngeziefer" noch eines ausgiebigen Ge­brauchs erfreut.

Um aber nicht den Schein der Ungründlichkeit und Un­

gelehrtheit auf mir liegen zu lassen, will ich versuchen, das Wort weit her zu entwickeln.

Neos heißt in der griechischen Sprache jung Neophytos ein Neugemachter.Neas" könnte also eine Verquickung von Neos sein daNeas" eben ein Junges von einer Gais ist.

Sollte Jemand das nicht einleuchten, so habe ich nichts dagegen, nur bitte ich, geneigter Leser, Tourist oder Touristin, in Zukunft bei allfälligen Bergbesteigungen in Tyrol etwas vorsichtig zu sei», und nicht einNeas" für eine Gemse zu betrachten.

Mosaik.

Merkwürdige Studienreise. Ein Prahlhans erzählte in einem Gasthaus von den vielen Ländern der Welt, die er aus's Gründlichste besucht und in denen er sich überall wie zu Hause gefühlt hätte. Ein Fremder, der abseits den elenden Auf­schneidereien lange schweigend zugehört, dreht sich endlich lang­sam um und fragt gelassen:Waren Sie auch in der Algebra?"

Ha natürlich!" versetzt Jener, sich in die Brust werfend, ich durchreiste dieses Gebiet ungefähr vor anderthalb Jahren auf dem Verdeck einer Postkutsche!"

*

Pensiousberechtigt.Warum setzen Sie Ihre Kaffeetasse auf den Stuhl, Herr Baron?" fragte eine würdige Pensions­mutter mit gräßlich freundlichem Lächeln, einen entsetzten Blick auf den hellgeblümten Polstersessel werfend.Er muß sich setzen. Er fühlt sich so schwach, meine Gnädige," crwiederte der Gefragte, mitleidig auf das hellblonde, levantinische Gebräu deutend,daß es grausam gewesen wäre, ihn ohne diese letzte Aufmerksamkeit stehen zu lassen."

*

Lnl'unt ttzi'rikilv.Komm' her, mein kleiner Freund," rief ein geschniegelter Salonheld dem Jüngsten des Hauses, einem siebenjährigen Jungen zu, der sich mit kindlichem Be­hagen durch die Menge der versammelten Gäste drängte, kennst Du mich wohl?" --Ja, mein Herr, ich denke doch!" versetzt der Kleine, lächelnd zu der Mutter aufschauend, an deren Adresse die freundschaftliche Anrede des Unwiderstehlichen gerichtet ist.Nun, wer bin ich denn, laß hören!" Du bist der Mann," lächelt der Kleine boshaft,der gestern Abend Schwester Angeline auf der Treppe küßte!" Angeline erröthete. Die Mutter erbleichte. Der Beau fragte nichts mehr.

*

Scheidungsgrund. Ein stadtbekannter Advokat überholte auf dem Wege nach seinem Bureau einen nicht weniger bekannten Arzt. Nachdem sie eine Weile miteinander gegangen und der Advokat einen am Tage vorher stattgehabten, das allgemeine Stadtgespräch bildenden Naubanfall nach verschiedenen Seiten beleuchtet hatte, blieb er plötzlich stehen und rief:Ich dächte doch, wir Beiden sollten lieber nicht zusammen gesehen werden!"

Warum das?" fragt der Arzt erstaunt.Weil wir das Publikum unfehlbar an den gestern verhafteten Straßen­räuber erinnern!"Warum das?" wiederholt der Arzt verblüfft.Das ist doch klar," versetzt Jener mit spitzfindigem Lächeln,wenn ein Advokat und ein Arzt miteinander sind, so sieht das ganz aus wie die personifizirte Frage: ,Dein Geld oder Dein Leben* ?"

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3 Lands. N. 12. Der Lonnnandant. N. 5.

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Redaktion: vr. Edmund Zoller. Druck und Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt (vormals Eduard Hallberger) in Stuttgart.