Heft 
(1885) 30
Seite
697
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ahrgang

Wöchentlich Eine Nummer. Preis vierteljährlich 2 Mark.

L

M 30.

Alle Tage Ein Heft. Preis 35 Pfennig pro Heft.

Kraf Uetöfy.

Ronian

von

Tlieoilor Fontane.

(Fortsetzung.

Siebentes Kapitel.

andern Morgen saßen Leide Freundinnen eine halbe Stunde früher als sonst in der Veranda, deren Leinwandvorhänge nach MD), der einen Seite hin halb znrück- gezogen waren, während gegen- ^ 5 über, wo die Vorhänge fehlten, eine Hängematte hing, in der sich Lysinka schaukelte.

Sie war in ein Bilderbuch vertieft und überließ deßhalb, ohne wie sonst wohl zuzuhorchen, die beiden Damen ihrem Gespräche, das sich selbstverständlich um die Partie vom Tage vorher drehte. Dann aber entstand eine Pause, bis Franziska plötzlich und mit einiger Befangenheit fragte:Sagtest Du nicht, daß die Belmonti geschrieben habe?"

Ja."

Und daß sie sich Lysinka zurückerbeten?"

Ja."

Und willst Du nicht darauf entgehen? Offen gestanden, ich glaube, daß die Belmonti Recht hat und daß Du diese Ferien länger ausdehnst, als dem Kinde gut ist."

Phemi lachte herzlich, dann aber sagte sie:Ja, es hilft Dir nichts, Du mußt nun schon

deutlicher mit der Sprache heraus. Denn Du wirst mir doch nicht wirklich und ernsthaft einreden wollen, daß Du Lysinka's halber Erziehungssorgen hättest.

Deutsche Roman-Bibliothek. XII- 15-

Ich Würde glauben, Du wolltest sie los sein, wenn ich nicht umgekehrt wüßte, daß Du sie fast so gern hast wie Hannah. Also beichte."

Franziska sah verlegen vor sich hin, und Phemi, der ihre Verlegenheit leid that, setzte deßhalb ohne Weiteres hinzu:Nun, laß nur, ich brauche Deine Beichte nicht und will Dir sagen, was es ist. Sieh', ich bin lange nicht so gescheidt wie Du, Hab' aber bessere Augen und sehe gleich, wie's steht und im Herzen aussieht. Auch in Deinem. Und deßhalb weiß ich, es kommt Alles nur daher, weil Du wieder Repu- tationsanfülle hast und einfach fürchtest, die ,Nichte' könnte Dich über kurz oder lang in Verlegenheit bringen, die ,Nichte', die mir wie aus dem Gesicht geschnitten ist und an deren Nichtenschast deßhalb Niemand glaubt.

Sieh'," fuhr sie fort,Du bist ein so guter Kerl, daß ich Dir nichts übel nehme, schon lange nicht. Empfindeleien sind ohnehin nicht meine Spe­zialität, und so begnüg' ich mich denn in dieser Dir Sorge machenden Lyfinkasache mit dem geflügelten Wort: ,Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind, ihr gebt mir nichts dazu', noch dazu klassisches Citat. Und sogar vom alten Goethe, der immer Recht hatte."

Nicht immer."

Aber doch in solchen Dingen. Er verstand sich zu gut darauf. Jedenfalls Hab' ich vor, mich nach diesem Spruche zu richten und Madame Belmonti noch eine Weile warten oder meinetwegen auch sich ängstigen zu lassen."

Franziska schwieg. Endlich sagte sie:Verzeih',

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