Heft 
(1885) 30
Seite
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Deutsche Roinan-Si'btiothek.

Phemi, daß ich davon sprach. Es war nicht recht. Aber ich dachte, man könne nicht gleichzeitig Zwei Dinge wollen, die sich einander ansschließen. Es liegt Dir selber an dem Umgänge mit drüben und muß auch so sein, denn es ist eine herrliche Frau, diese alte Gräfin, ganz von jener Feinheit, Nachsicht und Milde, die, wie Du mit Recht sagtest, immer nur bei den Frommen und Vornehmen zu finden ist. Aber man darf ihr umgekehrt auch nicht zu viel zu- muthen, und wenn wir wirklich einen auch nur ober­flächlichen Verkehr mit ihr unterhalten wollen, so müssen doch Fragen ausgeschlossen sein, die, wenn sie wie zufällig in Gegenwart Graf Egon's zur Sprache kämen, unzweifelhaft zu Verlegenheiten und hinterher zu Witzeleien und allerhand Medisance führen würden."

Du bist ein Kindskopf," lachte Phemi.Lehre mich doch die vornehme Welt kennen. Ich stecke länger darin und will Dir sagen, wie's liegt. Auch die Besten nehmen uns bloß so hin. Sie lassen sich's gefallen, daß wir ihnen die Zeit vertreiben, und sind auch wohl dankbar dafür, aber von unserer Tugend und Sitte zu hören, ist ihnen nur langweilig. Denn sie glauben nicht daran, und weil sie nicht daran glauben, erscheint ihnen unser Tugendanspruch ein­fach prätentiös. Wir sollen nicht bloß tatsächlich anders sein wie sie, nein, sie wollen sich dieses Unterschiedes auch bewußt werden. Und so glaube mir denn, es wird ihnen gar nicht schwer, uns zu par- donniren, aber uns zu respektiren, ist ihnen lästig und unbequem. Du hast keine Vorstellung davon, in wie vielerlei Kleider sich der menschliche Hochmuth steckt. Und auch die Gräfin drüben, so sehr ich sie verehre, wird schließlich keine Ausnahme machen... Aber sieh' nur, wer ist denn der alte Herr, der sich drüben im Hotel eben über die Balkonbrüstung lehnt und hieher lorgnettirt, als kenn' er uns? Ist das nicht..."

Und im selben Augenblick erkannten Beide den alten Grafen und erwiederten seinen Gruß.

Wirklich, er war es, und ehe sich beide Damen noch in ihren Verwunderungen und Mitteilungen erschöpft hatten, erschien er bereits in Person, um ihnen einen Morgeubesuch zu machen. Er war un­befangen, auch Franziska gegenüber, und lächelte nur, als Phemi genau so, wie sie damals Egon be­stürmt hatte, halb in wirklicher und mehr noch in erkünstelter Neugier mit hundert Fragen auf ihn einzudringen begann. Es habe verlautet, wenn auch nur gerüchtweise, daß er den Sommer in Trouville zubringen werde; statt dessen habe, wie der Augenschein lehre, Wien oder doch Oeslau gesiegt, woraus sie den Schluß ziehe, daß das entkaiserte Frankreich auch zu­gleich ein entzaubertes Frankreich für ihn gewesen sei.

Der Graf in seiner Antwort schwankte zwischen Zugeben und Bestreiten und versteckte dabei den eigentlichen und wahren Grund seiner Rückkehr hinter allerlei Scheingründen, in deren übermüthiger und etwas grotesker Ausmalung er sich gefiel. Es sei wirklich sein Plan gewesen, während der heißen Monate nach Trouville zu gehen, aber weil die Saison erst Mitte Juli beginne, habe er zu viel Zeit gehabt, sich in seiner Phantasie mit dem Badestrand und seinen Bildern zu beschäftigen, eine Beschäftigung,

an der schließlich die ganze Reise gescheitert sei; was übrigens Niemanden in Verwunderung setzen werde, der das Uebergewicht der Vorstellung über die Wirk­lichkeit irgend einmal an sich selbst erfahren habe. Das kalt goeomM bedeute gemeinhin nicht viel, aber in der Erwartung der Dinge liege Himmel und Hölle. Das habe sich ihm in den Tagen seiner Phautasiebeschäftigung mit dem Trouviller Bade­strand auch wieder recht fühlbar gemacht. Er habe nichts gegen Urznständlichkeiten, und das Letzte, woran er kranke, sei Prüderie, ja, das Paradiesische, das Mittelasrikanische, das Mythologische, gleichviel, wel­cher Ausdruck seitens der Damen bevorzugt werde, werde niemals von ihm beanstandet werden; aber er hasse die Mischgattungen und müsse statt ihrer aus Einheit und Reinheit des Styles dringen. Jeder ehrlich gemeinte Versuch, das alte Theatervorhang­thema: Neptun und Arion sammt dem ganzen Corps de Ballet der Weltmeere zu neuem, wirklichen: Leben erblühen zn lassen, dürfe seiner Zustimmung ein- für allemal sicher sein, aber verschämte Halbzustände, Zustände, die nicht Fisch und nicht Vogel seien, hätten diese seine Zustimmung mit gleicher Entschieden­heit nicht. Und so dürfe er sich denn allerdings be- rühinen, ausschließlich unter der Wucht ästhetischer Bedenken einen fluchtartigen Rückzug aus Frankreich angetreten zu haben.

Während, er so sprach, war Lysiuka neugierig ans ihrer Hängematte herausgekrochen und stellte sich ohne jede Spur von Verlegenheit mit an den Tisch, ganz so, wie verwöhnte Kinder zu thun pflegen. Ihr Auge ging dabei beständig umher und sah jeden Einzelnen wie fragend und doch auch wieder halb verständnißvoll au. Es war ersichtlich, daß sie dem alten Grafen, der unwillkürlich seine Hand über ihr langes blondes Haar Hingleiten ließ, ungemein gefiel; ehe er aber eine Frage zu thun im Stande war, sagte Phemi, die mit Franziska's aufsteigender Verlegenheit ein Mitleid haben mochte:Das war nun also Trou­ville, Herr Graf. Und nun Paris, Paris, von den: ich so gerne höre, das mein Ideal und meine Sehn­sucht war von Kindheit an und das ich schon um meiner Kunst willen so gern gesehen und befragt und studirt hätte. Ja, wirklich, um meiner Kunst willen. Eine reizende junge Kollegin von mir, natür­lich Liebhaberin, phantasirte neulich sogar von der Heiligkeit ihrer Kunst. Es war komischer als Tewele. Doch ich verirre mich von der Hauptsache, von Paris, über das wir, nicht wahr, Früuzl, um so lieber be­richten hören, als uns Graf Pejevics gestern erst von London erzählt hat."

Und wie fand er London?"

Er klagte, daß Alles zn schwer sei, sogar die Träume."

Je nun," lachte der Graf,die sind Heuer auch in Frankreich gerade schwer genug. Es sind Rüstuugs- und Waffenträume, Vierundzwanzigpfüuder mit der Aufschrift Mevanchell Ja, die Franzosen sind und bleiben Kinder. Aber so schwer ihre Träume sind, so leicht ist ihr Leben nach wie vor, und ich habe keinen Unterschied entdecken können zwischen sonst und jetzt. Das entkaiserte Frankreich, um Fräulein Phemi's Wort zu wiederholen, ist nicht entzaubert.