Heft 
(1885) 30
Seite
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Graf Petöfy von Theodor Fontane.

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Und warum nicht entzaubert? Weil es zu den Vor­zügen oder meinetwegen auch zu den Schwächen dieses Volkes gehört, im steten Wechsel der Dinge sich selbst immer gleich zu bleiben. Ich habe es nun unter einem halben Dutzend widerstreitender Regierungen im Wesentlichen ohne jede Veränderung gesehen und möchte mich fast verwetten, daß es auch dasselbe war, als die Tricoteusen um die Guillotine herum saßen und schnupften und plauderten und Strümpfe strickten. Es ist ein Phantasievolk, dem der Schein der Dinge vollständig das Wesen der Dinge bedeutet, ein Vorstellungs- und Schaustellungsvolk, mit einem Wort, ein Theatervolk.

Wie die Wiener?"

O nicht doch, meine Gnädigste. Die Wiener sind ein Vergnügungsvolk und gehen in's Theater, um unter Lachen und Weinen sich etwas vormachen zu lassen, aber auch der Passionirteste fühlt sich schließlich ans seinem Parket- oder Parterreplatz immer noch wie zu Gast. Anders der Franzose. Der ist da zu Hause, füllt die Hälfte seines Daseins mit Fiktionen aus, und wie die Stücke sein Leben bestimmen, so bestimmt das Leben seine Stücke. Jedes ist Fortsetzung und Konsequenz des andern, und als letztes Resultat haben wir dann auch selbstverständlich ein mit Theater gesättigtes Leben und ein mit Leben gesättigtes Theater. Also Realismus! Auf der Bühne gewiß, aber auch weitergehend in der Kunst überhaupt. Welche Lust, ein französisches Schlachtenbild zu sehen, ans dem die Säbel nicht angeklebt sind, sondern wirklich geschwungen werden. Elan auch da, Leben und Wirklichkeit. Und nun gar erst der Roman!"

Ah, Sue; Balzac."

Ueberholt."

Flaubert?"

Ueberholt."

Nun, wer denn?"

Eine neue Größe. Zola. Emile Zola."

Was sehr unfranzösisch klingt."

Und es auch ist. Italiener von Abstammung, wie die meisten berühmten Franzosen."

Und was will er?"

Ja, das ist schwer zu sagen, meine Gnädigste, weil er sehr Vieles will und dieß Viele zu gleicher Zeit. Er hat jedenfalls seine,Wahlverwandtschaften' gelesen und sieht in dem, was wir das Seelische zu nennen gewohnt sind, also zu meinem lebhaften Bedauern auch in der ganzen Machtsphäre der Liebe nur sehr äußerliche, sehr natürliche Prozesse. Die Blutmischung spielt eine Rolle vor: Bedeutung und natürlich auch die Nerven. Aber das ist nicht die Hauptsache. Bis jetzt war es, wenn ich mich nicht irre, das Auge, was in dem bekannten und entscheidenden großen Nomanmomente den Ausschlag zu geben hatte; der neue Romancier mit dem italienischen Namen aber geht weit, weit darüber hinaus und Zieht nicht mehr und nicht weniger als die Gesammtheit aller Sinne heran. Gambettistische Leve en nmsss, wenn Sie wollen. Es hat unleugbar Manches für sich, und ich breche nur ab, so gern ich fortführe, weil das Thema zu delikat und voll ganz besonderer Schwierig­keiten ist. Einer seiner Romane heißt beispielsweise ,Der Bauch von Paris'."

Ah," sagte Phemi.Sehr interessant. Das verspricht etwas. Und das Neueste?"

Das Neueste? Nun, das las ich in dem Feuilleton einer Zeitung, und der Titel lautete, so mir recht ist: tlluto äs l'^bbö Nouret'. Der

Herr Verfasser beschwört darin den Sündenfall, also ein immerhin interessantes Thema, noch einmal heraus und läßt ihn sich in einem modernen Blumennrwald vollziehen, dem er in offenbar gewolltem Anklang an das altehrwürdige Paradies den Namen ,Paradoux' gegeben hat."

Und wie führt sich Adam ein?"

Vollkommen dezent."

Auch vor dem Fall?"

Auch da, meine Gnädigste. Denn der Adam, um den es sich in dem Romane handelt, ist eben kein wirklicher Adam, sondern in jedem Sinn ein Kostüm-Adam und in Wahrheit niemand Anderes, als der Abbe Mouret selbst, ein schöner und liebens­würdiger junger Herr, der sich, wie's einem Abbs geziemt', niit Händen und Füßen sträubt und wehrt und die Frucht vom Baume der Erkenntniß mit ihrer von Minute zu Minute röther und verführeri­scher werdenden Backe gern wegbeten möchte. Doch umsonst. Er fällt!"

Natürlich."

Natürlich?" wiederholte Franziska.Warum natürlich? Ich verlange, daß Gebete helfen... Und wie straft sich seine Schuld?"

Er geht leer aus."

Eoinms tovjours. Und Eva?"

Stirbt. Aber selbstverständlich nicht ans dem herkömmlicheil Wege, sondern trägt sich höchst eigen­händig ihr Sterbelager aus der Gesammtslora des Paradoup zusammen, schläft ein und chloroformirt sich mit Blumenduft zu Tode."

Das möcht' ich aber doch wirklich lesen."

Ein Entschluß, in dem ich Sie nur bestärken kann. Und seien Sie versichert, daß jede Seite Sie fesseln wird aller Einwendungen unserer kritischen Freundin unerachtet. Ueber das Anfechtbare Hilst schließlich die fremde Sprache hinweg. Ich werde mich mühen. Ihnen die Blätter zu verschaffen. Und nun lassen Sie mich meinen ersten, ohnehin über Gebühr ausgedehnten Besuch rasch abbrechen. Ans gute Nachbarschaft, meine Damen. Bis Morgen."

Und damit erhob er sich, um seinen Morgen­spaziergang in der Richtung auf den Bahnhof hin fortzusetzen. Als er eben die Veranda passirt hatte, lief ihm Lysinka, die draußen Federball spielte, nach, nahm seine Hand und sagte:Guten Tag. Ich werde Dich begleiten."

Franziska war es nicht recht, aber Phemi lachte nur und sagte:Sieh' doch, er freut sich, das Kind an der Hand zu haben. Ach, Fränzl, Du glaubst gar nicht, wie gleichgültig Legitimitätsfragen sind. Natürlich den Erbschastspunkt abgerechnet."

Achtes Kapitel.

In derselben halben Stunde saß die Gräfin drüben vor einem an ihrem Balkonfcnster stehenden Schreibtisch, um einen Brief an Feßler zu richten.