Heft 
(1885) 30
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Deutsche Roman-Bibliothek.

Aber das entzückende Bild, das sich vor ihr aus­breitete, machte, daß sie die Feder, die sie vor einer Weile schon zur Hand genommen hatte, wieder nieder­legte. Hoch über die mit Wein und Laubholz be­setzten Berge hin zog ein silberglänzendes Gewölk, während unten im Thale schon die mit jedem Augen­blicke bedrücklicher werdende Hitze des Tages lag. Ein Fähnlein, das die Schützenplatzstelle bezeichnete, hing schlaff am Mast herab und regte sich immer nur, wenn ein Luftzug ging. Plötzlich aber klang ein Pankenschlag vereinzelt und wie zufällig herüber, und die Gräfin, ihrem Sinnen dadurch entrissen, nahm die Feder wieder aus und schrieb:

Lieber Freund!

In meinem Leben hier hat sich seit voriger Woche Manches geändert und seit gestern ist es ein Sans und Braus. In aller Frühe kam Egon Asperg und mit ihm der junge Pejevics, der, wie Sie viel­leicht wissen, einige Wochen der Nennen halber in England war. Ich freute mich aufrichtig und be­schloß, den Tag in aller Heiterkeit mit ihnen zu verbringen, würd' aber damit gescheitert sein, wenn ich nicht die beiden jungen Damen, deren ich neulich schon Ihnen gegenüber Erwähnung that, als Hülfs- truppe hätte heranziehen können. Ein paar junge Schauspielerinnen interessiren eben lebhafter als eine Tante von beinahe Siebenzig. Und heute mehr denn je. Denn die Dinge, die für uns das Leben aus­machen, erscheinen mir in den Herzen der gegen­wärtigen Generation um noch Vieles erstorbener als in dem der vorigen. Mein Bruder hat wenigstens noch Spott für diese Dinge, Graf Egon aber nur Schweigen und Gleichgültigkeit. Indessen ich will nicht anklagen, sondern berichten.

Ein Ausflug in die Berge ward also verabredet. Egon und ich Zu Wagen, alles Andere Zu Fuß, so brachen wir in zwei Partieen auf, um oben ans der Kuppe von Heiligenkreuz wieder zusammenzutreffen. Die beiden jungen Damen waren allerliebst, was Sie, der Sie der jüngeren von Anfang an Ihre Sympathieen entgegenbrachten, nicht überraschen wird. Ich meinerseits möchte fast der älteren, dem Fräulein Phemi, wie sie kurzweg genannt wird, den Vorzug geben. In Fräulein Franz steckt allerdings ein be­deutenderer Fonds, aber eben weil sie bedeutender ist, ist sie zugleich auch minder bequem und stellt uns, als übe sie Kritik, unter eine beständige Kontrole. Wie ganz anders dagegen das ältere Fräulein! Von einer gewinnenden Offenheit und Schelmerei, vergißt sie, die Worte zu wägen, oder will es vielleicht auch nicht und überhebt uns dadurch der Nothwendigkeit, auf uns selber in jedem Augenblick ängstlich achten zu müssen. Aus uns achten ist freilich Pflicht, aber ängstlich auf uns achten, wird leicht zur Pein.

Gegen neun Uhr waren wir von unserer Partie zurück, Egon und Graf Pejevics verließen mich gegen Zehn, und ich hoffte, die nächsten vierundzwanzig Stunden in einer vollkommenen Ruhe, nach der ich mich sehnte, zubringen zu können, da wirbelte heute mit dem Frühesten mein Bruder, Graf Adam, in mein Zimmer und meine Stille hinein. Auf wie lange, steht dahin. Er sprach anfangs von einem halben Tag nur, aber seine Pläne haben sich rasch

geändert. Sehr begreiflich. Er ist eben drüben bei den jungen Damen, was Ihnen genug sagt, und gönnt mir durch diesen seinen Besuch die Muße zu diesen Zeilen an Sie.

Ja, daß ich es Ihnen gestehe, mein lieber Freund, ich bin in Sorgen, in denselben Sorgen, die mich diesen Winter erfüllten und deren äußere Veranlassung Sie so gut kennen wie die tiefere Charakterbegründung. Und dieß Letztere wiegt am schwersten. Er hat es versäumt, sich Zn rechter Zeit seiner Jahre bewußt zu werden, ist der ewig Jugend­liche geblieben, unstät und rastlos, und hat zum Ueberfluß auch noch eine Neigung ausgebildet, gegen all' das anzustreben und unter Umständen auch an­zustürmen, was er ,Vorurtheile des Standes und der Gesellschaft' nennt. In ewiger Fehde Hab' ich diese seine Rastlosigkeit bekämpft, und doch fühl' ich jetzt, daß gerade sie das Korrektiv und der Schutz seines Lebens war, so sehr, daß ich seit Kurzem oder doch seit heute vor dem Moment bange, der dieser seiner Rastlosigkeit ein Ende machen und ihn um­gekehrt mit einer plötzlichen Sehnsucht nach einem Nuhehafen erfüllen könnte. Denn er wird auch dabei wieder, um das Mindeste zu sagen, unherkömmlich verfahren und seinem Thun den Stempel des Aparten und Adoleszenten aufdrücken. Es entspricht das seiner Eitelkeit, von der ich ihn trotz all' seiner Vorzüge nicht freisprechen kann. Und alle diese Dinge, fürcht' ich, sind nahe, sehr nahe. Der Umstand, das; er in dem Momente seiner Rückkehr nach hier eben das vorfand, was er, als er nach Paris ging, Zu fliehen gedachte, wird nicht ohne Wirkung aus sein Gemüth und seine Handlungsweise bleiben. Denn er ist aber­gläubisch und glaubt an Zeichen. Er ist jetzt sicher, daß ihm ein solches Zeichen gegeben wurde.

Schreiben Sie mir, lieber Freund, wie Sie sich persönlich zu dieser Frage stellen, und seien Sie dabei rückhaltlos offen. Ich habe zu lange gelebt und zu­viel vom Leben gesehen, um mich schließlich nicht in Allem znrechtfinden zu können. Es verwundert mich nichts mehr oder nur Weniges noch. Zudem geschieht nur, was geschehen soll, und unerschütterlich bleibt mir der Glaube, daß Denen, die Gott lieb hat, alle Dinge zum Besten dienen. Vor Allem auch die Prüfungen. Ich verharre, lieber Freund, als Ihre herzlich ergebene Judith von G."

Nachschrift. Im Begriff, die vorstehenden Zeilen zu couvertiren, kommt Ihr Brief, ans den ich mich beeile wenigstens in einer kurzen Nachschrift noch Antwort zu geben. Ich bin ganz Ihrer Mei­nung, daß für die total verwaiste Gemeinde von Amrathskirchen etwas geschehen muß, um so mehr, als unsere Regierung solcher doch naheliegenden Pflichten sich überhoben glaubt. Es fehlt ihr nie­mals an Mitteln, wenn es neue Regimenter oder Uniformen, aber immer an Mitteln, wenn es eine Kirche gilt. Und doch ist Oesterreich auf ihr er­wachsen. illeUx ^U8tiüa nabe. Gewiß; aber jeder andern Vermählung ging die mit der Kirche voraus. Ich vertraue, daß die Zeiten nahe sind, wo sich die Machthaber dieser Thatsache wieder erinnern werden. Es ist das Verderben unserer Tage, daß wir, los­gelöst vom Göttlichen, Alles aus unserer Kraft und