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Graf Priöfy von Theodor Fontane.
Weisheit herausgestalten, Alles uns selbst und nicht der ewigen Gnade verdanken wollen. Es gibt keine neue Weisheit, und Der ist der Weiseste, der dieß weiß und darnach handelt. Ich bitte Sie, fünfhundert Gulden für mich zeichnen und meinen Namen an die Spitze der Liste stellen Zu wollen. Mit mehr öffentlich herauszutreten, erscheint mir nicht thunlich, aber es ist mir recht, wenn wir unter der Hand die Summe verdoppeln. I. v. G."
Neuntes Kapitel.
Phemi war am letzten Tag ihrer nie begonnenen Kur und zwar unter Citirung einer gefühlvollen Stelle von Oeslau nach Wien znrückgekehrt, aber das Leben auf der Veranda blieb unverändert dasselbe: der alte Gras erschien täglich, um seinen Besuch zu machen, und nur die Gräfin zeigte sich wieder etwas zurückhaltender.
Franziska, so sehr sie von Anfang an und mehr noch bei Wiederaufnahme der Bekanntschaft zu der liebenswürdigen alten Dame sich hingezogen gefühlt hatte, nahm nichtsdestoweniger diese Wandlung wie schon die während der Wintermonate leicht und ruhig hin und fand sich darein, ohne der Ursache irgendwie neugierig nachznforschen. Es erschien ihr von alter Zeit her als das Vorrecht vornehmer Leute, launenhaft zu sein und aus Sonne bedeckten Himmel und auf bedeckten Himmel wieder Sonne folgen zu lassen.
Dieser Zeitpunkt von „wieder Sonne" kam denn auch rascher noch als erwartet und war das Resultat eines Pater Feßler'schen Briefes, an dessen Schlüsse sich folgende Worte fanden:
„Alles in Allem, meine gnädigste Gräfin, würde der Eintritt dessen, was Ihnen als sorgenvolle Möglichkeit vorschwebt, nicht gerade das Schlimmste bedeuten und zwar deßhalb nicht, weil es Befürchtungen abschlösse, die beständig in Sicht zu haben beinahe unerfreulicher und jedenfalls beunruhigender ist, als sie sich erfüllen zu sehen. Es rechnet sich eben besser mit Thatsachen als mit Möglichkeiten. Außerdem, so mich nicht Alles täuscht, ist die Wahl in mehr als einem Stück gut getroffen, und die Seele der jungen Dame von einer Legirung, aus der eine Glocke werden kann, die klingt."
Bei der Abhängigkeit, in der die Gräfin seit so manchem Tag und Jahr von ihrem Beichtvater stand, schuf dieser Brief einen beinahe sofortigen Stimmungsumschlag und stellte Franziska gegenüber den Ton freundlichen Entgegenkommens wieder her, der seitens der alten Dame bis zu dem Eintreffen Gras Adam's geherrscht hatte. Ja, sie war dieser Wandlung insoweit geradezu froh, als sie sich überhaupt ungleich mehr durch Pflichterwägungen und Klugheitsrücksichten als durch den Zug ihres Herzens zu Zurückhaltung und Kühle hatte bestimmen lassen. Dabei hing sie, Nächstliegendes überspringend, allerlei Lieblingsplänen, am meisten aber dem ihr ein besonderes Wohlgesühl schaffenden Gedanken einer Konversion nach. Und dieses Wohlgefühl steigerte sich noch, als eine halbe Woche später Pater Feßler selber in Oeslau eintraf, um, wie seine Sommergewohnheit war, große Fuß- partieen in die Berge zu machen „aus Natnr-
schwärmerei", wie die Gräfin „aus dem Wunsche, wieder schlanker zu werden", wie der Gras behauptete.
Regelmäßig aus diesen Partieen sah sich der Pater von Gras Adam, der selber noch ein guter „Steiger" war, begleitet, und während sie so halbe Tage lang in den Bergen umherkletterten, war Franziska drüben bei der Gräfin und mühte sich, ihr durch Vorlesen oder Plauderei die Stunden der Einsamkeit zu verkürzen.
Ein solcher Tag war auch heute wieder. Der Lehnstuhl der alten Dame war, als der Sonnenball eben zu sinken ansing, ans den Balkon geschoben worden, und von den Bergen her klang die Vesperglocke.
Beide horchten hinüber und sahen dabei still aus den Glutstreifen, der noch über den Tannen hing. Als aber die Glocke eine Weile schwieg, sagte die Gräfin: „Ist es nicht schön? All' das habt ihr
nicht in eurem protestantischen Nebellande."
„Doch, gnädigste Gräfin, wir haben es auch. Wir nennen es nur anders."
„Und das wäre?"
„Wir nennen es die ,Betglocke läuten ß und ich habe selber unzähligemal an dem Glockenseil gezogen. Ueberhaupt möcht' ich doch sagen dürfen, wir sind nicht voll so heidnisch, wie die gnädigste Gräfin glauben. Wir haben auch den Gekreuzigten, und jede Kirche hat sein Bild, zu dem wir andächtig anfblicken."
Die Gräfin lächelte halb ungläubig, aber doch halb auch wie freudig überrascht und sagte dann: „Ich habe mir erzählen lassen, in euren Kirchen hinge nur immer der Wittenbergische Doktor, den ihr den Reformator und Wiederhersteller der reinen Lehre nennt, und in mancher Gemeinde ginge man noch einen Schritt weiter und verehre bloß den preußischen König. Ich meine den König Friedrich den Zweiten. Und man hat mir sogar gesagt — ich zögere freilich, es nachzusprechen — es gäbe Bilder, auf denen er wie Gott selber im Himmel säße mit seinen Generalen rund um sich her, und jeder Preuße glaube mehr oder weniger ernsthaft, daß sein großer König von dort aus regiere bloß in der Absicht, sein Land immer größer zu machen."
„Ja, solche Bilder gibt es, gnädigste Gräfin, aber doch nicht in unseren Kirchen. In unseren Kirchen haben wir außer dem Christusbilde, von dem ich schon sprach, nur Kriegsdenkmünzen und große schwarze Holztaseln, auf denen mit weißer Schrift die Namen Derer stehen, die für König und Vaterland gestorben sind. Und wenn uns die Predigt oder das oft sehr vielstrophige Lied, das gesungen wird, zu lange dauert, so lesen wir diese Namen, und es ist dann mitunter ein Glück, daß sie da sind."
„Und keine Jungfrau Maria?"
Franziska lächelte.
„Sie lächeln, mein liebes Fräulein, und haben ein Recht, es zu thun. Es ist wirklich ein großes Unrecht, daß wir so wenig von einander wissen und uns gegenseitig verurtheilen ohne Kenntniß dessen, das wir zum Gegenstand unserer Herzensfeindschaft machen. Ich habe mitunter ein rechtes Verlangen,