Heft 
(1885) 30
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

aus dieser Unkenntniß herauszukommen, und Sie, liebe Franziska, sollen mir dazn helfen. Sie müssen mir alle norddeutschen Sitten und Gebräuche schil­dern, und wenn das Erzählte nicht aus der pro­testantischen Kirche sein kann, nun dann so lassen Sie's aus dem protestantischen Leben sein. Aus dem Leben kann ich dann Rückschlüsse ziehen aus den Glauben, weil das Leben ein Kind des Glaubens ist. Ich denke mir, meine liebe Franziska, wir be­ginnen am besten gleich, oder Sie geben mir, wenn nicht mehr, so doch wenigstens einen Vorschmack. Erzählen Sie mir von Ihrer Stadt an der Ostsee. War es nicht an der Ostsee?"

Franziska nickte.

Nun denn, da muß ja die Stelle ganz in der Nähe sein, wo der König von Thule seinen Becher in's Meer geworfen. Ohne die Ballade wüßt' ich nichts davon, und so hat auch das allerweltlichste Gedicht immer noch sein Gutes. Ich denke mir Ihre kleine Stadt aus einer Sandbank gelegen und immer in Gefahr, vom Meere verschlungen zu werden. Ist es so?"

Franziska hatte mit ihrer Antwort auf die ver­schiedenen Fragen und Wünsche der Gräfin eben be­gonnen, als Graf Adam und Feßler eintraten und nach kurzer Begrüßung der Damen ihre Stühle bis ebenfalls an die Balkonthür rückten.

Stören wir?"

O, nicht doch," sagte die Gräfin.Im Gegen- theil, wie gerufen. Unsere liebe Freundin war eben im Begriff, mir etwas von ihrer nordischen Heimat vorzuplandern, einer kleinen Hafen- oder Badestadt all der Ausmündnng der Oder."

Ah, an der Oder," wiederholte Feßler.Ein gut katholischer Strom."

Ja," warf Franziska rasch ein.Aber doch nur zu Beginn, nur in der Enge des Gebirges. Sobald er in's Freie tritt, wird er protestantisch lind immer protestantischer, je mehr er sich dem freien Meere nähert."

Um endlich darin unterzugeheu," schloß Feßler mit übrigens verbindlicher Handbewegnng.

O nur keine Neckereien auf diesen! Gebiet," beschwor der Graf.Ich plaidire für Schluß dieser Kriegsführung und will lieber von dem Ostseestädtchen hören, darin unsere Freundin das Licht der Welt erblickte. Das interessirt mich mehr. Ich denk' es mir wie Vineta, poetisch, gruselig und ewig gefährdet. Hab' ich Recht?"

Je nach der Jahreszeit, wo Sie den Fuß ans unsere Schwelle setzen. Kommen Sie zur Sommer­zeit, so sieht es ans wie dieß Oeslau, nur noch bunter und aparter und eigentlich auch noch hübscher und heiterer."

Das ist unmöglich."

O, Sie sollen selbst entscheiden. Da haben wir zunächst unfern Strom, dessen breite Wassersülle schon die Nähe des Meeres ahnen läßt. Und keine tausend Schritte vor seiner Mündung da wächst die Stadt auf und zieht sich einreihig an einem Pfahl­werk entlang, an dessen steil abfallender Wasserseite die Schiffe liegen, groß und klein, mit ihren ver­goldeten Namen am Spiegel und einer über lebens­

großen, in Holz geschnittenen Figur am Bug. Auf dem breiten Damm aber, der dem Schlängellaufe des Flusses folgt, bewegen sich Handel und Verkehr wie unter einem Walde spalierbildender Maste. Denn zu beiden Seiten erheben sich diese Maste, sowohl auf den Schiffen wie vor den Häusern gegenüber."

Und wie sind diese Häuser?"

Ost so niedrig, daß man die Hand auf's Dach legen kann. Aber immer frisch geweißt. Und ans dem hohen Dache, das meist dreimal höher ist als das eigentliche Haus, auf diesem Dach erhebt sich ein Giebel und auf dem Giebel eine Flaggenstange, daran ein langes schmales Band oder auch eine sich bauschende Flagge weht. Und keine Flagge dieselbe; denn in jedem dieser Häuser hat ein anderes Land seinen Sitz und seinen Schutz, und während über dem einen der österreichische Doppeladler flattert, flattert über dem andern der türkische Halbmond oder der chine­sische Drache. Es gibt nichts Bunteres und Lachen­deres als das Flaggen einer solchen Hafen- und Handelsstadt. Und je kleiner, desto mehr. Denn gerade diese Kleinheit unterstützt den Effekt. Ueberall da, wo hohe gothische Giebel in ihrem finstern historischen Ernst aufragen, da verschwindet der heitere Flaggen­schmuck in dem umherliegenden Dunkel; in den kleinen und kaum hundert Jahre alten Städten aber, die keine Geschichte haben und in ihrer Kleinheit und Sauberkeit fast aussehen, als wären sie gestern erst ans der Spielschachtel genommen, in ihnen ist die Flagge die Hauptsache, das flatternde Baud am Hut, das dem Ganzen erst Ansehen und Charakter gibt."

Und wie geht nun das Leben in solcher Flaggen­stadt?"

So heiter wie die Flaggen, die drüber wehen. Ach, mir schlägt das Herz, wenn ich an die Tage zurückdenke, wo wir, Hannah und ich, mit unseren Mappen unterm Arm von der Schule her den Weg nach Hanse machten. Es war immer ein weiter Weg und ging am Strom entlang, an dem die Schiffe schräg oder auch Wohl mit ihrem Rumpfe nach oben lagen, um sie desto bequemer mit Werg ausstopfen und die Fugen mit Schiffstheer ansgießen zu können. Am Bollwerk hin aber und um geschwärzte, dreibeinige Grapen herum hockten Arbeiter und alte Matrosen und unterhielten das Feuer oder rührten in dem brodelnden Pech, dessen Qualm die Luft erfüllte."

Hätte mir's appetitlicher gewünscht."

Auch derlei gab es. Denn nicht überall wurde kalfatert, und viele Schiffe waren da, darauf außer­dem Schiffshund nur noch ein Koch und ein Junge die lange Winterwache hielten. Und auch die han- tirten um die Mittagsstunde, nach Art der Anderen, um ein Uferfeuer her. Aber statt des Grapen waren nur zwei Ziegelsteine da mit einer Bratpfanne darauf, in die jedesmal, wenn wir vorübergingen, eben Kartoffeln und Speck und große Zwiebelstücke hineingeschnitten wurden. Und nun zog der Wrasen davon durch die Lust. Ach, welche Wonne! Vor nichts in meinem Leben Hab' ich je wieder mit so viel Begehrlichkeit gestanden und die beste Mahlzeit hätt' ich drum hingegeben, wenn ich mich auf der Stelle bei diesem primitiven Gerichte hätte mit nieder­hocken und zu Gaste laden können."