Graf Petöfy von Theodor Fontane.
703
„Glaub's," lachte der alte Graf. „Kommt mir doch bei der bloßen Beschreibung ein kleines Gelüst darnach. Aber das ist Alles Idyll und Genre; wo bleibt Vineta? Wo bleibt der Schrecken der Elemente?"
„Auch der kam gelegentlich, aber immer erst um die Novemberzeit. Und wir saßen dann, ohne der Gefahr zu gedenken, oder vielleicht auch uns ge- tröstend, daß sie gerade dießmal nicht kommen werde, still um unfern Arbeitstisch her und überlegten, den Griffel oder die Feder aus der Hand legend, was wir uns wohl zum Christfest wünschen sollten. Und wenn wir dann einen Scheffel Wünsche durchberathen hatten, dann hieß es: ,Zu Bett!' und wir nahmen die Weihuachtsbilder, wie wir sie von frühester Kindheit an kannten, mit in unfern Traum und sahen die Krippe mit den: Kindlein und den Stern überm Haus. Und auch Joseph und die Jungfrau Maria."
„Und die Jungfrau Maria," wiederholte die Gräfin und lächelte. „Aus euren Kirchen habt ihr sie verbannt, aber an eurem Herde lebt sie fort. O, sie stirbt nicht ans, die Gebenedeite!"
„Lassen wir die Jungfrau," sagte der alte Graf, „ich dürste jetzt nach Vineta."
„Nun denn also, wir nahmen die Bilder mit in unfern Traum und sahen den Himmel offen und die Engelschaaren herniedersteigen. Aber mit einem Male gab's einen unheimlichen Stoß uns zu Häupten, ein Rütteln und Schütteln begann, und wir fuhren aus unserem Kinderschlaf in die Höhe und sahen erschreckt und blaß einander an, denn wir wußten nun, daß der Nordwester doch gekommen sei, derselbe gefürchtete Nordwester, von dem wir gehofft hatten, er werde dießmal wenigstens an uns vorübergehen, und von dem uns die Kindermuhme von Jugend auf erzählt hatte: der könn' uns wegschwemmen und eines Tages werd' er's auch, denn er sei der eigentliche Herr hier, und wir lebten nur von seiner Gnade, und wenn er wolle, so wär' es mit uns vorbei. Ja, daun beteten wir, aber wir wußten nicht, was wir sagten, denn wir dachten nicht an Gott und Glauben, sondern bloß an unsere Noth und Gefahr, und unsere Seele war nichts als Angst und Aushorchen auf den Sturm. O, noch jetzt überrieselt's mich, wenn ich an jene Schreckensnächte denke. Die vom First abgerissenen Hohlsteine klinkerten über das Dach hin, in dem Rauchfang ging ein Geheul, alle Läden und Thüren klappten oder klapperten, und wenn dann mit eins eine Pause kam, so war es am schlimmsten und zitterten wir am meisten, denn dann hörten wir durch das tiefe Schweigen hin das Gebraust des Meeres draußen, das an die Dünen und Dämme schlug und die großen eingerammten Steine wie Kiesel aus der Westermoole wusch. Am Bollwerk aber trotz der Ziegel und Fahnenstangen, die niederstürzteu, war Alles Geschäftigkeit, und wir sahen durch unsere Giebelfensterscheibe, deren kleine Gardine wir ängstlich zurückgestreift hatten, wie sie drunten die Schiffe fester an die Pfähle banden, aber doch zugleich auch die Boote von Bord her an's Ufer brachten, um eine letzte Rettung zu haben für den 'Fall, daß es zum Schlimmsten käme. Denn der Nordwester staute nicht nur den Strom zurück, sondern trieb auch das Flutwasser mit solcher Gewalt von draußen her in
den Strom hinein, daß es am Kai hin oft nur noch zollbreit unter der obersten Balkenlage staud. Und einmal — ich seh' es, als ob es gestern gewesen wäre — stieg es drüber hinaus und im Nu war die niedriger liegende Stadt ein See von einem Punkte zum andern, und in unfern Flur hinein stürzte die Welle. Da schrieen wir auf; denn nun erfüllte sich unser Schicksal und wir mußten untergehen, wie Vineta untergegangen war."
„Aber der Herr, der den Winden gebietet..."
„Gebot ihnen auch dießmal wieder, und was in der Nacht unser Entsetzen gewesen war, das war Tags darauf unsere Lust und unsere Wonne. Die flott gemachten Boote fuhren jetzt hin und her; unser Nachbar, der Bäcker, landete mit seinen Wecken und Semmeln, und als es Tag geworden und ein klarer blauer Himmel über der Stadt war, waren wir glücklich, uns zu Schiff abholen und zu Schiff in die Schule fahren Zu können. Und glücklich wie wir, war die ganze Stadt, lieber Tonnen und Bretter hin ging der Verkehr, bis nach abermals einer Woche die große Sintflut verlaufen und ein dichter Schnee gefallen war.
„Und unter Schellengeläute ging's nun durch die verschneite Stadt hin, über deren Schneedächern die Wimpel und Flaggen jetzt wieder flatterten und beinahe lustiger noch flatterten, als um Johannistag und die Sommerzeit."
Zehntes Kapitel.
An diese Schilderungen hatte sich noch eine ziemlich lebhafte Plauderei zwischen Feßler und Franziska geknüpft. Er ließ sich ans dem Gesellschaftsleben der kleinen norddeutschen Stadt erzählen und that Fragen über Fragen. Am meisten interessirten ihn die Bilder aus dem lutherischen Pfarrhause: der reiche Kindersegen, das Whistspiel und die Pastoral- konferenzen. Alles begegnete sowohl von seiner wie von der Gräfin Seite der unverkennbarsten Teilnahme, jede Miene verrieth es, und nur Graf Adam, der doch sonst der lauteste Bewunderer solcher Schilderungen und Gespräche zu fein pflegte, war auffallend still geworden. Er sann offenbar anderen Fragen und Dingen nach, antwortete zerstreut und spielte mit der Gardinenquaste, die neben seinem Stuhle herabhing. Er war deßhalb auch einverstanden damit, daß man früher aufbrach als gewöhnlich, und gefiel sich weder in Neckerei noch Widerspruch, als Feßler um die Ehre bat, Franziska bis an ihre Wohnung begleiten zu dürfen. Ja, er lächelte kaum und zog sich, als Beide gingen, in fein Zimmer zurück, das unmittelbar über dem Salon seiner Schwester gelegen war.
Diese war daran gewöhnt, die nervöse Lebhaftigkeit ihres Bruders ohne besondere Veranlassung in ihr Gegentheil Umschlagen zu sehen, und verwunderte sich deßhalb erst, als er am nächsten Morgen ohne weitere Grundangabe sein Ausbleiben beim Frühstück entschuldigen ließ. Zugleich hörte sie, daß er in seinem Zimmer auf und ab schritt wie Jemand, der von einer schweren inneren Unruhe gequält wird. Was mocht' es sein? Was war vorgefallen, das