Heft 
(1885) 30
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

ihn hätte verstimmen können? Sie sann darüber noch nach, als der alte Gras in ihren Salon eintrat, eleganter gekleidet als gewöhnlich und überhaupt in einer Haltung wie Jemand, der zur Audienz er­scheint oder einen ernsthaften Vortrag halten will.

Er ging ans die Schwester zu, begrüßte sie mit besonderer Artigkeit und nahm einen Stuhl. Aber er kippte mit demselben nur hin und her, während er sich über die hohe Lehne desselben vorbeugte.

Habe mit Dir Zu sprechen, Judith. Bist Du bei Laune?"

Die Gräfin war ersichtlich unruhig geworden. Ich glaube, Du weißt, Adam, daß ich das nicht kenne, was man Laune nennt. Aber vor allen Dingen bitt' ich Dich, Platz Zn nehmen."

Nein, nicht Platz nehmen; ich kann dann nicht sprechen; es wird dann Alles wie Staatsaktion. Laß mich hier stehen oder noch lieber aus und ab gehen; der Teppich wird ohnehin Sorge dafür tragen, es nicht allzu störend für Dich zu machen. Und nun ist es wohl das Beste, mit der Thür in's Haus zu fallen: ich habe vor, mich zu verheirathen."

Judith erschrak heftig, aber sie war doch anderer­seits auch so vorbereitet darauf, daß es ihr gelang, ihre Ruhe rasch wieder zu gewinnen. Und so sagte sie denn:Warum solltest Du nicht? Es war einst der Wunsch meines Lebens."

Einst," wiederholte der Graf mit einem An­fluge von Bitterkeit oder doch Ironie.

Die Gräfin aber achtete des ironischen Tones nicht und fuhr ihrerseits einfach fort:Und wen? Aber wozu frag' ich noch!"

Und wie stellst Du Dich zu meiner Wahl?"

Nun, sie hat Chik."

Und Du Mißtrauen?"

Nein. Ich habe sogar eine Vorliebe für sie."

Gut. Dann bin ich Deiner schließlichen Zu­stimmung sicher, obschon ich, um offen zu sein, vom Allerweltsstandpunkt aus mancherlei Schwierigkeiten und Hindernisse keinen Augenblick verkenne: Geburt und Stand und Konfession."

Ja," sagte Judith,das trennt euch, Geburt und Stand und Konfession. Aber mein lieber Adam, was euch eigentlich trennt, das hast Du nicht ge­nannt. Geburt und Stand, sagtest Du. Nun wohl, in kleinen Verhältnissen bedeuten sie viel und schaffen vielleicht unübersteigliche Schwierigkeiten; aber das Haus Petösy darf sich freier bewegen, und in dem Augenblicke, wo das Ja gesprochen ist, ist auch aus­geglichen, was Geburt und Stand vermissen ließen."

Er war ersichtlich erfreut, sie so sprechen zu hören, und nickte zustimmend.

Also nicht das," fuhr die Gräfin fort.Und auch die Konsessionssrage nicht, die Frage nach der Rechtgläubigkeit, die mich viel weniger ängstigt, als Du vielleicht glaubst. Ich habe das Vertrauen zu der Macht unserer Kirche, der Macht meiner Gebete Zu geschweige, daß sie den mir wünschenswerthen Ausgleich wenn nicht schaffen muß, so doch schaffen kann. Aber Eines kann sie nicht ausgleichen: den Unterschied der Jahre."

Welches Wunder auch ungefordert bleibt."

Und doch wäre es gut, es vollzöge sich. Ich

wollte. Du wärest weniger blind, oder es schärfte sich doch Dein Auge."

Blind?" nahm er jetzt erregt und mit einem Anfluge von Ueberlegenheit das Wort.Blind. Bin ich es denn? Du verkennst mich beständig, Judith, indem Du meine Fehler entweder übertreibst oder sie vielleicht auch in aller Aufrichtigkeit größer siehst, als sie sind. Sieh', ich habe lange den Eitelkeiten dieser Welt gelebt und dabei Vieles nicht gesehen, was ich nicht sehen wollte. Wer aber sein Auge schließt, ist noch nicht blind. Ich weiß genau, was siebenzig Jahre bedeuten und daß sie der Cypresse näher stehen als der Rosenlaube. Der Sprosser im Fliederbusch hat für mich ausgeschlagen. Ich weiß das. Glaube mir, Judith. Und weil ich es weiß, so bitt' ich Dich aufrichtig, erspar' es mir, mich in meinen alten Tagen noch ans irgendwelchen: Liebes- weg oder wohl gar in Erwartung ausstehender Zärt­lichkeiten ertappen Zn wollen. Laß Dir sagen, wie's liegt. Ich habe das Einsamkeitsleben satt und habe vor Allem auch die Mittel satt, die sonst dazu dienen mußten, dieser Einsamkeit Herr zu werden. Es ist nur klar geworden, daß man die Leere nicht mit Leerheiten aussüllen oder gar heilen kann, und so steh' ich denn vor einem neuen und nach einer sehr entgegengesetzten Seite hin liegenden Ausfüllversuche. Du hast es gut gehabt und hast unter Feßler's Assistenz Dein Lebensmanna in der Kirche gefunden, und etwas von wirklicher Himmelsfreude hat Dein irdisch Dasein durchleuchtet. Ich weiß wohl uud weiß es alles Erustes, daß dergleichen ein Glück ist; aber ich habe nicht das Talent dafür und muß mich mit etwas Irdischerem und Alltäglicherem behelfen. Jeder sucht das Glück ans seine Weise..."

Und findet es doch nur da, wo es wirklich liegt..."

Ich bitte Dich, Judith, nicht das; nichts aus diesem Tone. . . Begreiflicherweise liegt es mir sehr fern, Dich gerad' in diesem Augenblicke herausfordern zu wollen, denn ich bedarf Deiner Unterstützung, aber was Du da für mich hast und mir hinwirfst, das sind Münzen, die der Bettler aufsucht, nicht ich. Es gibt nichts, das mich so nervös machte, wie Gemein­plätze, darüber, um ihre Dürftigkeit zu verbergen, irgend ein Segen mit irgend einem Aplomb aus­gesprochen wurde. Viel, viel mehr als derartig ab­ständige Christlichkeiten bedeuten mir in diesem Augen­blick ein paar heidnische Gottheiten dritten Ranges, kleine Göttinnen, in Betreff deren ich nicht einmal weiß, ob sie mythologisch verbürgt und nicht vielleicht bloß Geschöpfe meiner eigenen Erfindung und Er­nennung sind."

Und die wären?"

Erst die Göttin der Zerstreuung, dann die der Beschwichtigung und Einlullung und endlich die der Plauderei. Das wären so drei, die meiner Noth am meisten entsprechen und mir vielleicht aufhelfen würden. Glaube mir, Judith, ich sehne mich nach Rast und Ruhe seit Jahren schon, aber jedesmal, wenn ich sie zu haben vermeinte, summte mir eine Fliege durch's Zimmer und störte mich. Und sieh', diesen Störenfried meiner Ruhe, der in beständiger Metamorphose heute diese und morgen jene Gestalt