Heft 
(1885) 30
Seite
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Graf Petöfi) von Theodor Fontane.

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annimmt, diese böse Fee möcht' ich mir durch eine gute Fee verscheuchen, am liebsten aber wegplandern lassen. Und das kann Niemand besser als sie. Sie hat den guten Verstand der Norddeutschen und übt die Kunst der Erzählung und Causerie wie keine Zweite. War es nicht gestern erst, als gingen wir mit ihr an dem Bollwerk entlang und sähen die Giebel und Mastspitzen und die hereinbrechende Flut! Und dazu welche Stimme! Mein Ohr horcht auf jedes Wort, das sie spricht, und Du mußt Dir's vorstellen, als hält' ich eine beständige Sehnsucht nach einer Melodie."

Die Gräfin lächelte.Weißt Du, wie Du sprichst, Adam? Ganz nach Art eines Prinzen, der einen Vorleser oder, wenn's hoch kommt, einen Cellospieler sucht."

Und doch such' ich weder den Einen noch den Andern, und der Fehler in Deinem Vergleiche, Judith, ist einfach der, daß Du den tiefen und geheinmiß­vollen Unterschied übersiehst, der in dem Gegensatz der Geschlechter liegt. Auch für Den noch, der mit Hülfe seiner Jahre mit dem kleinen, pausbackigen Gott und seinem Gefolge längst abgeschlossen hat. Ein klug schwatzender Vorleser, den ich herbeiklingle, wäre mir rund heraus ein Greuel, eine Gräfin Petösy aber, die mir ein Nomankapitel vorliest oder ein Chopin'sches Notturno vorspielt, der küss' ich die Hand."

Und wie glaubst Du nun, daß sich Franziska zu solchem Anträge stellen wird?"

Das sollst Du von ihr erfahren. Eben deßhalb mache ich Dich Zu meiner Vertrauten."

Und wenn sie nun Ja sagt, was glaubst Du, daß daraus wird?"

Mein Glück."

Erkauft durch das ihre. Denn junges Blut will junges Blut, und was sie Dir bringt, ist ein Opfer."

Ein Opfer. Wer verlangt das? Ich nicht. Du verkeimst mich beständig, auch hier wieder, auch wieder in diesem Punkte; denn Alles, was Dir bloß egoistische Laune dünkt, ist ein Kalkül, der auch das Recht des Andern scharf mit in Berechnung zieht. Opfer! Es soll umgekehrt ein Verhältnis; werden, das sich auf vollkommener Freiheit aufbaut, ein Ehe­pakt, der statt der Verklausnlirungsparagraphen ein einziges Weißes Blatt hat. Oarte blanebs. Ja, Judith, laß mich das Wort wiederholen. Wir sind unter uns und dürfen uns vielleicht um unserer Stellung und unserer Jahre willen gestehen, daß wir über Alltagsbegriffe, die schließlich doch immer nur Lüge verdecken, einigermaßen hinaus sind."

Judith lächelte.

Der alte Gras aber übersah es oder nahm es auch wohl als Zustimmung und fuhr deßhalb, immer leb­hafter werdend, fort:Ich habe mich zu Feierlichkeits­betrachtungen angesichts dieser Dinge nie herauf­schrauben können. Es hänge die Welt daran, versichern Einige mit Emphase, was mir immer nur ein Beweis sein würde, daß die Welt an etwas sehr Inferiorem hängt. Rund heraus, all' das sind Er­wägungen und Betrachtungen aus der Sphäre von

Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 15.

Gevatter Schneider und Handschuhmacher. In der Obersphäre der Gesellschaft bestimmt die Politik und unter Umständen auch die bloße Lebenspolitik die Heirathen und Bündnisse, Bündnisse, bei deren Ab­schluß es uoch jederzeit ferne gelegen hat, dem Herzen seine Wege vorschreiben zu wollen."

Aber doch der Pflicht."

Nun wohl, der Pflicht. Aber was ist Pflicht? Was wir so kurzweg als Pflicht bezeichne::, zerfällt wieder in Einzelpflichten, in Betreff deren es Sache des Uebereinkommens bleibt, welche gelten sollen und welche nicht. Ich habe nicht vor, auf alle zu ver­zichten, aber doch auf viele. Weiß ich doch, daß sie jung ist. Und sie soll jung sein und Freude haben und jede Stunde genießen. Oder glaubst Du, daß ich jemals Lust bezeigen könnte, zu den Traditionen der eingemauerten Nonne zurückzukehren? Umgekehrt, cs würde mich glücklich machen, sie von unseren besten Kavalieren umworben und unser altes Schloß Arpa Zum Minnehof ä la Wartburg erhoben zu sehen. Ja, Judith, meine Phantasie schwelgt in solchen Bildern und Vorstellungen. Ich höre schon den Marsch aus dem Tannhäuser und sehe Perczel oder- gar den alten Szabo sich als Wolfram von Eschen­bach vor ihr verbeugen. Ein heiteres Leben will ich um mich haben, ein Leben voll Kunst, voll Huldigung und Liebesfreude. Was daneben zu wahren bleibt, das heißt Decorum. Nichts weiter. Anstoß geben oder geben sehen ist mir gleich unerträglich; imUs e'est tont. Diskretion also, Decorum, Dehors."

Und mit diesen Vollmachten ausgerüstet soll ich die Frage thun und die Verhandlungen führen?"

Ja. Willst Du's?"

Ich will es, weil ich es wollen muß und weil mein Widerspruch in Deinen Entschließungen nichts ändern würde. Gegentheils. Widerspruch hat Dich immer nur gereizt und Dich eigenwilliger gemacht in dem, was Du wolltest. Also noch einmal, ich will. Ich weiß auch sehr wohl, es sind solche Ver­bindungen, wie sie Dir in diesem Augenblick als ein Ideal vorzuschweben scheinen, jederzeit geschlossen worden; die Kirche verbietet sie nicht. Die Kirche betont nur die Heiligkeit der Ehe, nicht das Glück der Ehe. Was ich Dir also noch Zn sagen habe, kommt nicht ans Prinzip oder Dogma, sondern einzig und allein aus dem Herzen einer Schwester, die Dich liebt. Und als solche rufe ich Dir zu: gehe nicht diesen Weg, halte vielmehr inne, wenn Du noch innehalten kannst. Ich prophezeie Dir..."

Ich glaube nicht an Prophezeiungen."

Nun denn, so sollen sie Dir auch nicht werden, und nur einem Worte noch öffne Dein Ohr und Deine Seele. Sieh', Du theilst die Pflicht in Pflich­ten und die Pflichten selbst wieder in solche, die Dir je nach Gefallen unerläßlich oder aber auch erläßlich erscheinen. Und Zu den unerläßlichen rechnest Du vor Allein die Diskretion und das Decorum und die Dehors. Aber das sind vage Begriffe. Wo Ziehst Du scharf die Grenze zwischen dem, was statthaft und unstatthaft ist? Was liegt innerhalb Deiner ,Dehors' und was liegt außerhalb?"

Es war ersichtlich, daß er hier unterbrechen

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