Heft 
(1885) 30
Seite
719
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Feuilleton.

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ein niederes Polsterlager, etliche Kisten und seltsam geformte Gegenstände darauf. Die Portiere zum dritten Zimmer war offen, Helles Licht brannte dort. In dem Scheine desselben unterschied sie die Möbel und ans einem Seitentischchen einen Hund mit großen, außerordentlich glänzenden Augen und eine seltsam geformte Kassette, dieselbe, welche Fräulein Werner trug, als sie ankamen damals mit dem Schiff.

Auf den Zehen schlich sie vorwärts, mit ange­haltenem Athem. Schon glaubte sie ihre Absicht er­reicht zu haben, als sie mit einem Aufschrei plötzlich zurückprallte. Aus dem Schatten, unhörbar, tauchte jählings eine braune Gestalt neben ihr auf und packte ihren Arm wie mit Schrauben, ihre Augen sahen etwas flimmern, aufblitzen, wie einen gezückten Dolch. Dann tönte ein rauher Gurgelton an ihr Ohr und sie bekommt einen Stoß, daß ihr die Kniee wankten und sie beinahe zu Boden stürzte, das Licht ent­fiel ihrer Hand, mit gesträubten Haaren, bleich wie eine Todte floh sie zurück. ..

Ein Glück, daß Ben so gute Wache hielt, sonst hätte das Fräulein sicherlich das ganze Quartier durchspäht und die Abwesenheit der Tante und deren Begleiterin entdeckt.

Karola hätte übrigens füglich hernach denken können, das Alles wäre nur ein Traum gewesen, ohne die Angst vor dem Zorne der Tante und die blauen Flecken an ihrem Arm, so schnell ging es und so gar keine Folgen zog es nach sich.

In einem leicht erklärlichen Zustande der Auf­

regung erwartete Jene ihre Brüder, mit denen sie Rath pflegen wollte. Sie mußte sich lange gedulden, sie saß, die Spuren der Sorge und der über­standenen Angst standen deutlich auf ihrem Gesicht ge­schrieben, und arbeitete ganz allein und sah häufig nach der Uhr. Gegen Elf endlich kam Egon ein wenig ernst und verstimmt nach Haus. Ohne jede Vorbereitung fiel die Schwester über ihn her und sagte ihm, weßhalb sie auf ihn warte. Es war ein harter Schlag für den Dragoner: er sollte den Dagomar verkaufen, jetzt, wo er eben mit dem­selben zu den Pester und Wiener Rennen wollte, um Ernte zu halten. Wovon sollte er existiren, wenn er den Gaul nicht mehr hatte, den letzten von seinen Rennpferden!

Sie saßen lange bei einander, mit sehr erregten Gesichtern, und debattirten eifrig.

Verlier' den Muth nicht ich schaffe Rath; so oder so, denn natürlich, Schmelzer muß befriedigt werden!"

Damit erhob sich der Lieutenant zuletzt und ging zu Bett, denn frühzeitig mußte er nächsten Morgen schon wieder in den Dienst. Auch Karola packte ihr Nähzeug zusammen und begab sich in ihr Zimmer. Von der ganzen Familie schlief heute eigentlich nur Frida, denn auch der Assessor hatte Allerhand im Kopfe, was ihn wach erhielt, unter Anderem auch die Geschichte mit den beiden Damen, von welchen die eine so ungebildet war und nach dem Kellner rief.

(Fortsetzung folgt.)

Feuilleton.

Weas und Wesse r.

Von

vr. Isidor Müller.

Ein kleines, anspruchsloses Büchlein:Tyroler Alpen­bilder", das ein tüchtiger Bergsteiger und guter Erzähler, der in der Alpenwelt zu Hause ist, Isidor Müller, geschrieben, hat die Sektion Innsbruck-Landeck-Bludenz des österreichischen Touristenklubs (Bozen, Reinmann) herausgegeben. Der Ver­fasser hat ein offenes Auge für alle Reize der Natur, kennt die Menschen in den Bergen seiner Heimat und, was für das Buch sehr förderlich, besitzt einen glücklichen Humor, der sich in der Form seiner Schilderungen angenehm geltend macht. Ein kleines Bild, das wir hier geben, wird der Schrift dank­bare Leser verschaffen.

*

Wie mancher flotte Bergsteiger, wenn er in den Gebirgen Tyrols die innerste Thalsohle verlassend, über mächtig über­einander gelagerte Steinblöcke einem in den Himmel hinein­ragenden schwarzschimmernden Berggrat zugeklettert ist, hat auf einmal auf irgend einer vorspringenden Ecke ein Trüppchen Hornvieh entdeckt, schlanke, röthlich gefleckte Thierchen, mitunter scheckig in's Aschgraue schlagend, von denen einige verwundert dem etwas seltenen Gaste entgegenschauten, während andere noch zwischen dem Steingeröll heraus würziges Gras sammelten.

Erfreut hat der Bergsteiger diese Thierchen betrachtet, und wenn er mit denselben noch nicht näher vertraut war, hat er gestaunt, daß in Tyrol die Gamseln so zahm sind und klug, daß sie sich gar nicht fürchten, weil sie sehen, daß der Mann, der auf sie zugeht, einen Stock und kein Feuerrohr bei sich hat.

Endlich ist, zu noch größerer Ueberraschung, auf dem Grate eine Figur erschienen, ein junger Bursche, ein Spitzhütchen auf dem Kopfe, ein graues Mäntelchen um die Schultern, in der einen Hand einen Stock, in der andern Hand einen Stein haltend, den er schließlich wohlgezielt den Thierchen zusendet, worauf sie einen Sprung seitwärts oder abwärts machen, ohne sich jedoch im weiteren Futtersammeln aufhalten zu lassen. Es ist ein Hirte, die Thierchen seine Heerde.

Es ist gut, daß sich die Sache in dieser Weise aufklärt, denn sonst hätte die alpine Lesewelt in irgend einem Fach­journale die interessante Notiz zu lesen bekommen:Im letzt­verflossenen Sommer machte ich eine Tour durch's Verwallthal auf den Platriolkopf. Beim Aufstieg begegnete mir ein selt­sames Schauspiel zwanzig bis dreißig Gemsen schauten in voller Gemüthsruhe meinem Kommen entgegen, und ließen sich erst von ihrer Morgenmahlzeit etwas verscheuchen, als ich einen Stein ergriff und in die Schaar hineinschleuderte, welcher so wohl gezielt war, daß einem jungen Gemschen ein Krückel wegflog, welches ich zum Andenken in meinen Rücksack steckte."

Der Mann mit den: Spitzhütchen und dem grauen Mäntel­chen ist, wie gesagt, niemand Anderer als derNeaser", und das Trüppchen gehörnter Bergkletterer ein Theil seiner Heerde die Neaslen".

DieNeaslen" sind die Kinder, Söhne und Töchter der Gaise oder Schroffenkühe, wie sie von den Eigenthümern, die sonst meistens keine Kuh besitzen, mit etwas Galgenhumor genannt werden.

DieNeaslen" sind also ein- bis zweijährige Gaiskitzen, mitunter auch Böcklein, die auf diesen höchsten Regionen in unmittelbarer Nachbarschaft mit den Gamslen, mit denen sie wohl auch bisweilen die Waideplätze theilen, die hohe Schule