Heft 
(1885) 30
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

Herren gehörig der Kopf gewaschen. Man forderte die Polizei und Kommandantur auf, Maßregeln zu treffen, daß harmlose Gäste und vor allen Dingen anständige Damen nicht fürder in einer solch' geradezu unerhörten Weise, wie gestern geschehen sei, durch Leute, welche noch dazu Uniform Krügen oder sich Zu den Gebildeten rechneten, belästigt würden.

Man nannte die Namen: von Rothkirch, von Stern und von Steinsurt, erbot sich Zeugen zu nen­nen und forderte Bestrafung.

Hier, lies welch' eine wohlverdiente Zurecht­weisung!" sprach Elisabeth, Marie das Blatt hinüber­reichend,sie stehen Alle in der Zeitung."

Ah! wohl nur Dein Scherz!" versetzte diese ungläubig, begann aber gleich darauf laut zu lachen.

Das freut mich, jetzt werden wir künftig Ruhe haben," sprach sie in die Hände klatschend.

Lieber wäre es mir allerdings gewesen, wir wären in unserer Verborgenheit geblieben."

So? und dürften keinen Fuß mehr vor die Thür setzen."

Geh', befiehl heute Abend eine große Assembler in Deiner lieben Familie, denn ich habe große Lust,. den Diplomaten etwas zu zwicken. Thu' mir die Liebe, mach' heute wieder ein wenig die Tante."

Elisabeth saß sehr nachdenklich da. Diese ganze Geschichte verdroß die feinfühlende Seele ungemein; sie fand nicht sogleich ihren gewöhnlichen Humor wieder. Sie schaute mit einem Schatten auf der Stirn durch die Hellen Fensterscheiben hinaus in den blauen Morgenhimmel und überlegte, welche unan­genehme Folgen möglicherweise für sie aus dem gestrigen Zwischenfall und dieser Zeitungsnotiz noch erwachsen könnten. Dann plötzlich erhob sie sich.

Komm', wir wollen uns ankleiden; ich werde Deinen Rath befolgen und heute mich sichtbar machen. Es war schon längst meine Absicht." Eine halbe Stunde später verließen sie zu Fuß das Hotel und gingen wohlverschleiert heim.

Achtzehntes Kapitel.

Es gibt Personen, welche einen bestimmten Familienegoismus besitzen, das heißt solche, die Anderer Leid kühl läßt, wenn es den Ihren nur er­träglich geht, die aufgehen in ihren Angehörigen, sich opfern sogar, während ihr Herz gegen Alles, was außer denselben liegt, dreifach gepanzert ist; zu dieser Spezies gehörte Karola von Steinsurt.

Wenn die herbe Jungfrau in den Zeitungen von einem Erdbeben, oder einem Schiffbruche las, so ließen die Opfer, die solche Katastrophen kosteten, sie völlig kalt; nicht einmal die lokale Entfernung machte darin, wie bei den meisten anderen Menschen, einen Unterschied; ob in Hiuterindien oder im eigenen Lande Menschen Zu Hunderten verunglückten, was verschlug es sie, wenn nur die Ihren und sie selbst nichts anfocht!

Im Gegeutheil, sie fand sogar eine Art von Geungthuung darin, wenn es auch anderen schlecht ging.

War aber eines ihrer Geschwister unpäßlich, oder von Unannehmlichkeiten bedroht, oder las sie neuen Kummer von der Stirn ihres Vaters, dann kam

plötzlich Leben in dieses seltsame Wesen, dann ver­zehrten sie die Sorge und Unruhe und sie konnte sich selbstlos körperlich ausopfern, um Jenen zu helfen.

Der Tag, den Marie und Elisabeth gestern so stürmisch beschlossen hatten, war für Karola ein Tag unendlicher Trauer gewesen. Am Morgen hatte sie mit Erstaunen bemerkt, daß ihr Vater viel früher als ge­wöhnlich, ja ohne den Registrator abzuwarten, aus­gegangen war. Wie konnte er hinausgekommen sein, ohne daß ihr wachsames Auge ihn bemerkt hatte? Sogleich begannen nun natürlich ihre Sorgen, sie marterte sich ab mit den schrecklichsten Vorstellungen und empfand zugleich eine peinliche Neugierde, was ihn fortgeführt haben konnte.

In seinem Zimmer, in dem sie genau Bescheid wußte, gab nichts ihr Aufschluß über dieses Räthsel.

Sie mußte hernach aus den Markt, um ein­zukaufen; ihre Gedanken wurden dadurch ein wenig abgelenkt. Als sie dann nach Hause kam, erfuhr sie,

sie hatte hinübergeschickt daß ihr Vater auf seinem Bureau sei; sie athmete auf . . . mit einem Gottlob!

Die Aermste, ihre Phantasie war ihr Feind, sie zeigte ihr stets sogleich die schrecklichsten Bilder. Geknickt von der Härte des Schicksals war der Vater ihr in der letzten Zeit erschienen, wie leicht, wenn der Becher überlies, konnte derselbe nicht auf böse Gedanken kommen!... Sie schauderte.. . Aber er war ja da, auf seinem Bureau, er lebte sie athmete freier, die Aermste.

Als der Präsident hernach aber heim kam und sie seine sorgenschwere Miene sah, begann der Kummer von Neuem. Sie ahnte das Rechte, sie kannte ihn zu genau und bald begann er auch zu reden: Schmelzer hatte Konkurs angemeldet, er mußte zahlen, eine große Summe, in wenigen Tagen schon. Wie sie erblaßte und nach dem Herzen griff!

Er war bereits in aller Frühe bei einem seiner dunklen Geschäftsfreunde gewesen, aber umsonst; er wollte es am Abend nun bei einem andern ver­suchen, das war seine letzte Rettung! . .. Fast dreitausend Thaler mußte er schaffen, sonst war er entehrt.

Der Abendgang zu jenem andern Wucherer war ebenfalls vergebens gewesen, ganz gebeugt kam der Präsident zurück, in Schweiß gebadet, beinahe unkenntlich. Er hatte gebeten, vorgestellt, sich ge- demüthigt vor jenem Schurken, wer weiß, wie tief

umsonst!

Da faßte Karola einen heroischen Entschluß: ohne Jemandem ein Wort zu sagen, brach dieselbe leise, auf den Zehen in das verbotene Revier der Tante ein. Sie wollte diese sprechen, erweichen, um jeden Preis, sie trug es so nicht länger . .. Eine Frau, die fünf Millionen besaß, was waren drei­tausend Thaler!

Sie trat in das erste Zimmer. Ein leiser Grog­geruch drang in ihre verwöhnte Nase, das Bett war ein wenig in Unordnung, ein Treffenhut und etliche Kleidungsstücke lagen verstreut, sonst war es leer. Ohne Wanken betrat das tapfere Fräulein den nächsten Raum, sie schlug die Portiere zurück und sah in dem matten Lichte, welches aus dem Nebenzimmer fiel,