Heft 
(1983) 35
Seite
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fuhr .. . 17 Kein Zweifel, der Hang zum Ästhetischen ist ein Ausdruck seiner Schwäche, seiner Abneigung gegenüber dem bürgerlichen Berufs- und Arbeitszwang, dem Zwang zu Bindungen,Formen und Pflichten. Hier­aus geht keine greifbare Alternative hervor, die ernsthaft die Prosa des bürgerlichen Lebens überwinden könnte. Auch Rybinski repräsentiert letztlich eine Existenzweise, die sich unverbindlich hält und nicht wie eine wirklich künstlerische Existenzreell werden kann. Immerhin erkennt Thilde in all dem am Ende positive Lebensäußerungen, die ihr im wesent­lichen verschlossen sind.

Übrigens sind Hugos Bedenken gegen eine Verbindung mit Mathilde und den Möhrings nicht nur ästhetisch, sondern auch sozial motiviert. Es sind sogar hauptsächlich soziale Bedenken, die ihn zögern lassen, die Möhrings mit ins Theater zu nehmen. Die soziale Ungleichheit wird auch von der Nachbarschaft und von den Bekannten registiert. In alle seine Hoffnungen, doch vielleicht in seinem dunklen Drange das Rechte getroffen zu haben, schleicht sich der soziale Vorbehalt ein, daß die Möhringsetwas unter Stand seien. An ihm bewährt sich aber auch die Fähigkeit vieler Fon­tanescher Figuren, sich die Dinge zurechtzulegen, bis er auf dem Sterbe­bette rückblickend sein Leben an Mathildes Seite vorbehaltlos bejaht.

So klar und durchsichtig die Problematik, so einfach und zweckmäßig ist der Handlungsaufbau. Die Handlung konzentriert sich in wenigen Ereig­nissen, die den Fortgang der zentralen Figurenbeziehung und die Problem­entwicklung bezeichnen. Rahmengebende berichtende und erörternde Ge­spräche werden ergänzt durch knapp gehaltene Monologe und Briefe. In den Gesprächen, Briefen und Monologen wird das Geschehen innerlich verarbeitet. Zwischen deminneren Geschehen und der ereignishaften Handlungsentwicklung bestehen kausale Beziehungen und Richtungsgleich­heit. Eine Reihe peripherer Figuren bildet eineobjektiv-kommentierende Sphäre, ein Geflecht sozusagen unabhängiger und einander relativierender Bewertungen.

Der Handlung sind wieder politische Verhältnisse und Vorgänge einge­lagert. Sie skizzieren die Zeit,wo Bismarck ins Schwanken kam, wobei übrigens weder Hugo noch Mathilde entscheiden können, ob der Kanzler oder der Kaiser im Recht sei. Dieser Schwankezustand äußert sich auch in der politischen Situation Woldensteins. Hugo scheint zwar sehr preußisch zu empfinden, was sich während derHochzeitsreise andeutet, doch ist er feinfühlig genug, schon bei seinem ersten Auftritt als Bürgermeister die geplante Preußenapologie durch ein Bekenntnis zur Verfassung zu mildern. Er hatte rechtzeitig dasspöttische Lächeln einer kleinen Gruppe einfluß­reicher Bürger wahrgnommen.

Woldenstein pflegt konservativ zu wählen, doch ist eine gewisse politische Reizbarkeit nicht zu übersehen. Sie beruht auf Spannungen zwischen den drei Konfessionen, die Hugoin einem aufgehen sehen möchte, und dies sei Preußen. Gerade von dieserNathanschaft ist der Landrat wenig erbaut, zumal sich seine Frau, eine ehemalige Tänzerin, dieFestigung des christlich Germanischen zur Aufgabe gemacht hat . 18 Der Landrat wird erst gewonnen, als die von Mathilde lancierte Wahlkorrespondenz in der

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