fuhr .. .“ 17 Kein Zweifel, der Hang zum Ästhetischen ist ein Ausdruck seiner Schwäche, seiner Abneigung gegenüber dem bürgerlichen Berufs- und Arbeitszwang, dem Zwang zu Bindungen, „Formen“ und Pflichten. Hieraus geht keine greifbare Alternative hervor, die ernsthaft die Prosa des bürgerlichen Lebens überwinden könnte. Auch Rybinski repräsentiert letztlich eine Existenzweise, die sich unverbindlich hält und nicht wie eine wirklich künstlerische Existenz „reell“ werden kann. Immerhin erkennt Thilde in all dem am Ende positive Lebensäußerungen, die ihr im wesentlichen verschlossen sind.
Übrigens sind Hugos Bedenken gegen eine Verbindung mit Mathilde und den Möhrings nicht nur ästhetisch, sondern auch sozial motiviert. Es sind sogar hauptsächlich soziale Bedenken, die ihn zögern lassen, die Möhrings mit ins Theater zu nehmen. Die soziale Ungleichheit wird auch von der Nachbarschaft und von den Bekannten registiert. In alle seine Hoffnungen, „doch vielleicht in seinem dunklen Drange das Rechte getroffen zu haben“, schleicht sich der soziale Vorbehalt ein, daß die Möhrings „etwas unter Stand“ seien. An ihm bewährt sich aber auch die Fähigkeit vieler Fontanescher Figuren, sich die Dinge zurechtzulegen, bis er auf dem Sterbebette rückblickend sein Leben an Mathildes Seite vorbehaltlos bejaht.
So klar und durchsichtig die Problematik, so einfach und zweckmäßig ist der Handlungsaufbau. Die Handlung konzentriert sich in wenigen Ereignissen, die den Fortgang der zentralen Figurenbeziehung und die Problementwicklung bezeichnen. Rahmengebende berichtende und erörternde Gespräche werden ergänzt durch knapp gehaltene Monologe und Briefe. In den Gesprächen, Briefen und Monologen wird das Geschehen innerlich verarbeitet. Zwischen dem „inneren“ Geschehen und der ereignishaften Handlungsentwicklung bestehen kausale Beziehungen und Richtungsgleichheit. Eine Reihe peripherer Figuren bildet eine „objektiv“-kommentierende Sphäre, ein Geflecht sozusagen unabhängiger und einander relativierender Bewertungen.
Der Handlung sind wieder politische Verhältnisse und Vorgänge eingelagert. Sie skizzieren die Zeit, „wo Bismarck ins Schwanken kam“, wobei übrigens weder Hugo noch Mathilde entscheiden können, ob der Kanzler oder der Kaiser im Recht sei. Dieser Schwankezustand äußert sich auch in der politischen Situation Woldensteins. Hugo scheint zwar sehr preußisch zu empfinden, was sich während der „Hochzeitsreise“ andeutet, doch ist er feinfühlig genug, schon bei seinem ersten Auftritt als Bürgermeister die geplante Preußenapologie durch ein Bekenntnis zur Verfassung zu mildern. Er hatte rechtzeitig das „spöttische Lächeln“ einer kleinen Gruppe einflußreicher Bürger wahrgnommen.
Woldenstein pflegt konservativ zu wählen, doch ist eine gewisse politische Reizbarkeit nicht zu übersehen. Sie beruht auf Spannungen zwischen den drei Konfessionen, die Hugo „in einem“ aufgehen sehen möchte, und dies sei Preußen. Gerade von dieser „Nathanschaft“ ist der Landrat wenig erbaut, zumal sich seine Frau, eine ehemalige Tänzerin, die „Festigung des christlich Germanischen“ zur Aufgabe gemacht hat . 18 Der Landrat wird erst gewonnen, als die von Mathilde lancierte Wahlkorrespondenz in der
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