Heft 
(1983) 35
Seite
341
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Das GedichtArm oder reich 2 ist zuerst in der Ausgabe von 1898 ent­halten, der Entstehung nach auf die letzten Lebensjahre Fontanes zu datieren. Bereits sein Titel impliziert eine Frage. Als Frage an das Ich des Gedichts, ob ihm Gold und Güter denn so wenig bedeuten, gewinnt sie in den ersten Versen (V. 16) zunächst Gestalt. Alle weiteren Verse verstehen sich also als Antwort. Sie fällt in der zusammenfassenden über­schau zunächst eigentümlich unentschieden aus: ... ich sage dann ,ja und sag auch ,nein (V. 8). Aber die Weiterführung sagt sogleich, daß das nicht auf mangelnde Meinungsbildung zurückgeht, sondern auf eine kritische Ausbalancierung des Für und Wider, die sich im alternativen Gegenüber des Gedichttitels bereits ankündigt.

Die Struktur von Frage und Antwort bedingt gleichzeitig den argumen­tativen Gestus des Gedichts, dem wir zunächst in textnaher Erläuterung folgen wollen. Der erste Teil der differenzierenden Antwort begründet, warum und unter welchen Voraussetzungen der Armut der Vorzug gegeben wird. Dabei mehren sich die Anzeichen einer Auseinandersetzung mit einer geschichtlichen Konstellation. Ein erstes Argument gibt das Bekenntnis zumArmsein als Kehrseite einer beobachteten Diskrepanz von Anspruch und Leistung, vorgegebenem Schein und tatsächlicher Dürftigkeit zu ver­stehen:hierlandes reicht derSpatzenflug derAdler nicht weit übers Scheunentor (V. 912). Das Adverbhierlandes bindet den Prozeß der Urteilsbildung an einen konkreten Lebensraum; und mit dem Bild des Adlers ist das preußische Wappentier zu assoziieren. Die Präzisierung des Zeitbezugs läßt in den folgenden Versen auch gar nicht auf sich warten. Sie erfolgt zunächst von zwei Seiten aus. Das Gedicht-Ich gibt sich als das eines Schriftstellers zu erkennen, der sich als Beispiel des Armseins zitiert (V. 1330). An den Übereinstimmungen mit der Biographie Fontanes ist der autobiographische Rekurs des Gedichts dabei unschwer ablesbar. Es ist nicht ganz unernst gemeint, wenn Fontane hier die Bequemlichkeiten des Armseins und den Spielraum, sich selbst zu leben, preist. Und doch ist Selbstironie im Spiel, die zwischenzeilig den Existenzkampf des Schrift­stellers andeutet, der gerade aus leidvoller Erfahrung sehr wohl die Bedeutung des Geldes kennt und den mangelnden Respekt auf die Summen bezieht, die man ihm bietet.Ich finde die Summen hier immer zu klein: Der Satz erweist sich als Klammer, die im Anschluß an das Vorausliegende die schlechte Honorierung des Schriftstellers andeutet, aber nach vorwärts auch die dürftigen Reichtümer meint, die ihn umgeben:

Was, um mich herum hier, mit Golde sich ziert, Ist meistens derartig, daß michs geniert;

Der Grünkramhändler, der Weißbierbudiker. Der Tantenbecourer, der Erbschaftsschlieker,

Der Züchter von Southdownhammelherden, Hoppegartenbarone mit Rennstallpferden, Wuchrer, hochfahrend und untertänig

Sie haben mir alle viel, viel zu wenig.

(V. 31-38)