Im Hinweis auf den gesellschaftlichen Kontext, in dem sich der Schriftsteller sieht, wird der Zeitbezug hier von einer anderen Seite aus illustriert. Daß Fontane dabei nicht die Fabrikanten und Bankiers seiner Zeit als Repräsentanten des Reichtums nennt, sondern gewöhnlichere Existenzen, hat seine eigene Logik. Denn daß sich selbst der „Grünkramhändler“ und der „Weißbierbudiker“ mit,Golde zieren“, deutet eine gewisse Allgegenwart des Strebens nach Reichtum an. Gleichzeitig profiliert es den ironischen Kontrast, daß sie es zu Geld gebracht haben, wo der Schriftsteller nur von seiner Armut berichten kann. In der lakonischen Reihung von „Grünkramhändler“ und „Weißbierbudiker“ über den „Tantenbecourer“ und „Erb- schaftsschlieker“ bis hin zum „Wuchrer“ mehren sich freilich auch die pejorativen Akzente und deuten an, daß es hier nicht ausschließlich um Zeugen des Reichtums geht, sondern auch das Zugleich von Anspruch und Mediokrität. Die doppelbödige Argumentation des Gedichts, die im letzten Teil dann vollends zutage tritt, zeichnet sich ab. Oberflächlich besehen geht es um einen Vergleich des Armseins mit unterschiedlichen Stufen des Reichtums. Doch mit zunehmender Deutlichkeit wird die Frage nach dem Verhältnis von materiellem und menschlichem Anspruch zum eigentlichen Thema des Gedichts.
Auch der letzte Teil des Gedichts (V. 39—54) bestätigt dies. Nehmen wir die Argumentation zunächst ganz wörtlich. Den Gegebenheiten „hierlandes“, die in leichter Anspielung auf den Roman Wilhelm Raabes noch einmal zusammengefaßt werden — „Hierlandes schmeckt alles nach Hungerpastor“ —, werden nun in kühnem Flug über Länder und Kontinente unermeßliche Reichtümer an die Seite gestellt. Die Bewunderung des Gedicht-Ich scheint solchem Reichtum sicher, weil hier Anspruch und Wirklichkeit nicht auseinanderfallen, die tatsächlichen Verhältnisse seiner Vorstellung von großem Reichtum genügen, Was dann als „Mein Interesse“, „mein Ideal“ ausgegeben wird, zeigt freilich auch hier seine ironische Doppelbödigkeit. Eine erste Desillusionierung liegt schon in den gelegentlichen Notierungen, was die Angesprochenen so treiben: etwa als Sklavenhalter oder als Vertreter eines ,Kattun-Christentums“. Der Blick auf andere zeitlich benachbarte Texte verdeutlicht, was wir gerade von dieser Verbindung von Baumwolle und Christentum zu halten haben. Der sympathische Pastor Lorenzen hält sie im „Stechlin“ den Engländern seiner Zeit als verbreitete heuchlerische Verbrämung des Kults „vor dem goldenen Kalbe“ vor (23. Kapitel), und das Gedicht „Britannia an ihren Sohn John Bull“ entlarvt sie noch schärfer als Verbindung von vorgegebener christlicher Missionierung und tatsächlicher brutaler imperialistischer Ausbeutung. 3 Aber desillusionierend in unserem Gedicht „Arm oder reich“ ist bereits das übermütige Gebaren des Gedicht-Ich selbst. Auch hier ist Selbstironie im Spiel, wenn der vergleichsweise arme Poet seinen Begriff von Reichtum just an den Größten orientiert, die exotische Ferne umgibt. Als Herrscher eines Nil-Reichs adaptiert er geradezu die Geste des Imperialismus: ein weiteres Indiz, das den geschichtlichen Verweisungszusammenhängen des Gedichts nun auch die Auseinandersetzung mit den imperialistischen Tendenzen der Zeit anreiht. Doch nun erst kommt das Entscheidende. Die Herrschergebärde wird bewußt übersteigert:
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