Heft 
(1983) 35
Seite
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lyrikgeschichtlicher Betrachtung. Schon das Thema des Geldes versteht sich im Licht der Tradition doch schwerlich alslyrisches Thema. Und wo uns Fontanes Lyrik mit vielfältigen Zeitbezügen konfrontiert, sind wir an zeitgenössischen Gedichten von Geibel, Heyse oder selbst C. F. Meyer bei allen Unterschieden des Ranges wie der Äußerungsweise doch eher eine Zeitferne gewohnt, die sich allenfalls auf Umwegen zur geschichtlichen Situation in Beziehung setzen läßt. Wo Fontanes Gedichte die Nähe zum Alltag suchen, begegnet man hier eher der Tendenz zum Erlesenen und zur alltagsüberhobenen Entrückung. Dem Humor auch in der Lyrik Fon­tanes stehen sonst in der Lyrik der Zeit doch eher Pathos und stilistische Höhenlagen entgegen, mit denen sich Humor nicht recht vertrüge. Doch gerade das im lyrikgeschichtlichen Kontext betrachtet eher Befremd­liche macht ganz wesentlich das Eigene und den Reiz des lyrischen Stils Fontanes aus, der im folgenden in den genannten Aspekten näher be­schrieben werden soll.

Nicht alle späten Gedichte Fontanes sind so deutlich zeitbezogen und zeit­kritisch wieArm oder reich. Oft überwiegt in ihnen die sich selbst zugewandte Reflexion, der Blick auf das eigene Leben. Zuweilen verzichtet der Autor dabei auf die Markierung eines geschichtlichen Kontexts, zu­weilen stellt er ihn wie im Vorübergehen her z. B. als Nennung Bis­marcks inJa, das möcht ich noch erleben, oder im Motiv des Zeitung­lesens, das die Teilhabe an der Zeit signalisiert (so inWürd es mir fehlen, würd ichs vermissen). Doch bei allen unterschiedlichen Akzen­tuierungen und Ausprägungen der Gedichte ist gerade eine solche Vermitt­lung des Persönlichen und eines allgemeineren geschichtlichen Kontexts in besonderer Weise charakteristisch. Zeit wird gesehen aus einer sehr per­sönlich gefärbten Perspektive, die ganz wesentlich das Farbige der Beob­achtungen ausmacht. Aber erst die Zuordnung zu einem geschichtlichen Kontext sichert dem Persönlichen wiederum die geschichtliche Verbind­lichkeit. Auch in unserem Gedicht war diese Vermittlung in der Art und Weise zu beobachten, wie autobiographische Erfahrung und allgemeinere zeitgeschichtliche Orientierung aufeinander bezogen werden. Bereits der dialogische Eingang, den auch andere Gedichte Fontanes kennen, über­nimmt die Funktion, Ich und Zeitgenossenschaft zueinander in Beziehung zu setzen. In der gesamten Appellstruktur des Gedichts erscheint dieser Bezug modifiziert. Das Personalpronomen inunsre Adler etwa stellt eine selbstverständliche Verbindung zwischen dem Gedicht-Ich und dem zeitgenössischen Leser her. Auch die Konkretisierung des Zeitbezugs kal­kuliert seine Mitwirkung ein. Ob die Vergegenwärtigung des Anschauungs­materials eher anonym von dem Grünkramhändler etc. spricht oder dann namentlich die Reichen der Welt benennt, die freilich auch so in ihrer Austauschbarkeit viel eher für das Typische stehen: der Leser ist gehalten, das eine wie das andere als Abbreviaturen einer allgemeineren Zeitlage aufzunehmen. Von ihr aus erhalten die um das Thema des Geldes grup­pierten Verhaltenmuster ihren geschichtlichen Sinn, aber auch das an ihnen ausgetragene Spiel der Wertungen und Umwertungen, das auf eigene Weise den Blick in die weite Welt mit der Orientierung am vertrauten Alltag verbindet.

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