Heft 
(1983) 35
Seite
346
Einzelbild herunterladen

der Formung ist nicht zu übersehen. Besonders deutlich verrät sie sich in den Stilfiguren, die die Aussage strukturieren. Bereits vom Titel her fäilt die Neigung zur Antithese auf, die als Illustration vonreich undarm dann geradezu zu einem übergeordneten Kompositionsprinzip des Gedichts wird. Auffällig auch das Element der Reihung (bes. deutlich V. 34 ff. und 39 ff., aber auch etwa als reihende Anordnung der Ich-Aussagen V. 1430), verbunden mit der Tendenz, solche Reihen am Ende einer Versgruppe mit sinnbeschwerten Aussagen abzuschließen, die pointieren und zusammen­fassen (z. B. V. 38 und V. 53, verwandt aber auch V. 12, 22 und 30): ein Verfahren, das mit den letzten beiden Zeilen abermals auch den über­geordneten Zusammenhang des Gedichts prägt. Aller literarische Auf­wand wird freilich eher heruntergespielt als hervorgekehrt. Der Reiz die­ser Lyrik liegt gerade darin, daß unter der Oberfläche eines prosanahen Sprechens, das sich eigentümlich anspruchslos gibt, die hochgradige Kunst­bewußtheit faßbar bleibt als thematische Strukturierung, sprachliche Sensibilität oder auch metrische Rhythmisierung.

Entscheidende Vermittlungen übernimmt nun in diesem Zusammenhang gerade auch der Humor. Denn auf der einen Seite begünstigt er das Un­pathetische und die Nähe zum Alltag, auf der anderen Seite trägt er als dichterische Einbildungskraft'' 1 maßgeblich dazu bei, den Kunstcharakter zu verbürgen. Wir assoziieren mit Humor gemeinhin die Erwartung einer Einschränkung von Kritik, und auch bei Fontane trägt er gewiß dazu bei, die Schärfe der Satire zu brechen. Andererseits gehen gerade bei diesem Autor Humor und Zeitkritik eine enge Verbindung ein. In unserem Ge­dicht nutzt der Humor das Element des Alltäglichen zu einer desillusio- nierenden Kontrastierung. Bereits im kleinen ist das zu beobachten. Da wird der Flug derAdler zumSpatzenflug degradiert, der Baron mit Rennstallpferden zumHoppegartenbaron (nach dem volkstümlichen Namen einer Pferderennbahn). Baron und Hoppegarten: die Konfrontation desHohen und desNiederen bringt Komik hervor, und die Wort­ungetüme, die der Dichter vomGrünkramhändler an häuft, signalisieren gleichzeitig etwas vom materiell Aufgeplusterten der hier angesprochenen gesellschaftlichen Existenzen. Abgewertet werden sie. gleichzeitig auch dadurch, daß in der großflächigeren Abfolge des Gedichts solcher Bana­lität nun das vermeintlich Höhere undIdealere entgegengestellt wird. Schon die klangvollen Namen Demidoff, Yussupoff oder Dolgorucky sprechen für ein neues Moment desPoetischen, demgegenüber das Vor­ausliegende denkbar prosaisch erscheint. Verdächtig sind andererseits be­reits die Akzente des Unwirklichen, die der Zitierung zeitgeschichtlicher Autoritäten beigemischt werden: vor allem der Eindruck der Ferne und Fremde, verbunden mit einem scheinbar selbstgenügsamen Schwelgen in exotischen Klangwirkungen, bevor die letzten Verse, wiederum den Kon­trast zum Alltag nutzend, das Illusionäre tatsächlich bewußt machen. Nadi beiden Seiten hin werden die Kontraste also aufgeboten, um eines durch das andere zu desillusionieren, erweist sich die Demaskierung des Schein­haften als durchgängiges Thema des Gedichts.

In der Äußerungsweise des Gedicht-Ich wird dabei eine Subjektivität greif­bar, die zu den Bedingungen des Humors wie auch der Lyrik insgesamt

346