Heft 
(1885) 35
Seite
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Deutsche Noman-Sitrtiothek.

ungerechnet, ließ sein Gesundhcitsstand nichts zu wünschen übrig. Die Söhne wurden brave Männer und die Töchter bekamen dergleichen.

Eines Morgens las der Alte wie immer aufmerksam die Zeitung. Plötzlich legte er Blatt und Brille hin, faltete die Hände und schüttelte das Haupt.

Wat Heft Du, Natter?" fragte ihn die Frau.

Dor, liß, Fro," erwiederte er,de Constitution schall sloopt wecrn! ... Ick föhk, mit mi geiht et nu ok bald to Enne; ick weer ok sloopt."Was doch nich verrückt, Vatter. Drink mal en lüttjcn Bittern!"

Er schüttelte nur den Kopf und sagte nicht viel mehr.

-X-

Seemann hatte Recht gehabt. Seine Kräfte fingen an zu schwinden, ja sic nahmen reißend ab. Das Schlimmste war zu fürchten. Jndcß blieb sein Geist rege; er erging sich in Erinnerungen an die Vergangenheit, an die Reisen, welche er gemacht hatte, an alle die vielen Erlebnisse eines langen, wenn auch noch so einfachen Menschendascins. Und immer wieder knüpften sich seine Gedanken und die Bilder seiner Phantasieen an die alte Constitution. Es war, als hinge er mit tausend Fäden an ihr. Er konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, daßsein" altes Schiff gesloopt werden sollte, und mehr als einmal sprach er die Ueberzeugung aus, der Tag, an welchem ihre Ueberreste in Auktion verkauft werden sollten, werde sein Todestag sein. Kein Dawiderreden half die Gedanken des Alten waren nicht davon abzubringen. Alle seine Wünsche konzentrirten sich in dem einen Verlangen:Lat min Sark ut'n paar Planken von't ole Schipp malen." Nicht eher wurde er ruhig, als bis man ihm versprochen hatte, den Wunsch zu erfüllen.

Der Tag der Auktion über die Reste der Constitution kam heran. Die liebe Armuth aus den umliegenden Ortschaften war vollzählig erschienen, um sich billiges Brennholz zu kaufen, und Abends schleppten sie auf Schiebkarren und Handwagen die halbvermoderten Balken und Bretter in ihre Hütten. Für Kapitän Seemann waren einige schöne, noch gesunde Planken erstanden worden, für welche der Auktionator kein Geld an­nehmen wollte.

Als das Holz im Armcnhause anlangte, hatte ebcnzuvor der Alte seine Seele ausgehaucht. Allgemeine Trauer ergriff die ge­brechlichen Leute, welche freilich wenig Thränen mehr hatten, aber kaum Worte genug, um die Tugenden ihres seligen Vaters" zu rühmen. Die Tischler des Hauses vereinigten sich, den Sarg aus den harten, durch das Seewasser schwarz ge­goltenen Planken der Constitution zu bauen, den Sarg, welcher ein Meisterwerk in seiner Art wurde, und über welchen ein geschichtskundiger Häusler sprach:Dor schall he in liggcn so lauft as Lord Nelson in dat Mastholt von't franz'sche Admiral- schipp."

Die männlichen Insassen desSchlosses", krumme und schiefe, hüstelnde und von den Gebrechen des Alters geplagte, in altmodigcn Kleidröcken und abenteuerlichen Kopfbedeckungen folgten nach wenigen Tagen dem Leichenwagen, der die sterb­liche Hülle Seemann's nach dem städtischen Friedhofe führte. Die Winterabcndsonne leuchtete über dem Grabe, die Glocken läuteten von den Thürmen den Sonntag ein. Staub kam zu Staub, Asche zu Asche. Was vergänglich ist, es wargesloopt" wie jenes alte Schiff. Aber seinem alten Kapitän folgte die Liebe nach, welche er gesät hatte, man redete von Ewigkeitshoffnung und von dem Glauben an eine fröhliche Auferstehung. Gesagt haben die vom Grabe Heimkchrenden es nicht, aber den Gedanken be­wegten sie im Herzen:

Wir haben

Einen guten Mann begraben,

Und uns war er mehr!"

W o sai k.

Spanische Ensthofs- und Kaffeehanssttten. In meiner Fonda, erzählt Passarge in seinem neuesten Buch über Spanien und Portugal, speisen nur Spanier, meist junge Kaufleute, oder Beamte mit ihren Frauen, die keinen eigenen Haushalt führen. Die Speisen, namentlich die Fische, sind vortrefflich, doch sümmtlich mit Oel zubereitet, das hier nach dem Ara­

bischen a22g.it aeoits genannt wird. Auf dem Tische stehen immer in Salz eingemachte Oliven, aceitunas aäobaäas, an deren Geschmack man sich freilich gewöhnen muß. Jetzt genießt man sie als appetitreizcnd libitum beim Beginn oder während der Mahlzeit; früher müssen sie aber als Nach­tisch gedient haben; denn IleZur a las aesltunas heißt so viel als zu spät kommen. Man speist nach der Karte, das heißt der freundliche Wirkt) sagt Jedem in gelassener Weise, was es heute gebe. Wirft man einen Blick hinaus, so kann man die Köche schauen, welche das Gemüse in unermeßlicher Fülle bereiten, oder an den Oelpfanncn stehen, in denen Fische oder Fleischstücke schmoren. Ganz merkwürdig sind die busvos kritos, unsere Spiegeleier, die in dem siedenden Oel offenbar plötzlich erstarren, so daß sie in einer Art Eiweißfell auf­getragen werden. Der Spanier trennt dieses und schöpft den flüssigen Inhalt mit einer Semmel heraus. Den Wein be­kommt ein Jeder in einer kleinen Flasche mit pfeifenartigem Gießer; man hebt dieselbe in die Höhe, biegt den Kopf zurück, macht den Mund auf und läßt den blutrothen Strahl in den Hals laufen. Das nennen sie bester ccm xorron, oder un kra^o (Schluck) ccm xorrcm. Die Servietten (servitletas) faltet man nicht wie bei uns, sondern nach Art eines Hals­tuches und steckt sie zusammengelegt in einen Ring, beim Fort­gehen aber in ein brettartiges Gestell, das neben der Thüre an der Wand hängt. Der Eintretende greift denn auch im­mer zuerst nach seiner Serviette. Die Leute benehmen sich keineswegs steif und formell, sondern haben einen gewissen jovialen Zug. Sie reden mich, den Fremden, ohne Weiteres an, und ich bemerke immer den veränderten frohen Gesichts­ausdruck, wenn sie hören, ich sei kein krances, sondern ein aleirmn. Man hüte sich nur etwa, nach Analogie des Eng­lischen, un Asrmano zu sagen; denn dieses klingt ungefähr wie bcrmano und bedeutet Bruder. Einem solchen ,,§er- mano« würde ein Spanier wahrscheinlich erwiedern: »Lomes toäos stermanos« (wir sind Alle Brüder).

Sein Frühstück nimmt man in einem Cafe, die aber vor neun Uhr kaum geöffnet werden, oder in einer der schon früh offenen Chocolaterias. Man erhält in dieser ein Täßchen vor­trefflicher Chokolade (et, nicht ta, cbocolaks) und ein kuchen- artiges Gebäck, Ensiamada. Kein Spanier genießt den Inhalt mit einem Löffel (cucstarita); er zerreißt vielmehr die Ensia­mada und schöpft die Tasse damit aus. Unter Bollo, das manche Reisenden wohl auch als Theil des ctesazmno nennen, versteht man nichts als eine Semmel; in länglicher Form heißt sie ein InnAuts. Noch besser fordert man ein pan, das dann immer ausgeschnitten gebracht wird, wie eine Buttcr- semmel. Verlangt man ein tostaäo, so erhält man dasselbe geröstet und wird ohne Zwang an die englischen toasts er­innert, die ja mit den spanischen bestes identisch sind. Ein tostaäo con nmnteca ist in Barcelona, wo cs gute Butter gibt, ganz vortrefflich. Da aber Butter in Spanien sonst eine feine und wcrthvolle Sache bildet, so ist der Ausdruck mautc-ca auch zu einer nicht seltenen Bezeichnung für Reich­thum geworden, gerade wie in dem salzlosen Binnenafrika das Salz. Kein Pariser Cafe kann sich an Größe mit diesen bar- celonesischcn vergleichen, die in doppelter Reihe die beiden Seiten der Nambla einnehmen und von Gold, Spiegeln und Krhstall strahlen. Da ist das Cafe Suiza, Colon, de las Delicias, Catalan, de Barcelona, dcl Liceo und viele andere. Selbst die großen Hotels mögen in ihrem Parterregeschoß diese sichere Einnahmequelle nicht entbehren. So viel ich be­merkt, sind sie nur in der Mittagsstunde und am Abend ge­füllt. Die Kellner (mo2os) ruft man durch lautes Hände­klatschen (picar). Das Publikum besteht fast ausnahmsweise nur aus den einfachen Ständen, kleinen Beamten, Kaufleuten, Handwerkern, Soldaten, Dienstmädchen,Cigarreras" rc. Immer wird am Abend ein Klavier gespielt, das auf einer Erhöhung in einer Ecke des großen Saales steht, und zum Theil vortrefflich. Doch hört Niemand auf die Musik und sie dient, wie in unseren Theegefcllschaften, meist nur dazu, die Konversation im Flusse zu erhalten. Ich weiß nicht, ob früher auch die feine Welt diese Cafes besucht hat; gegen­wärtig hält sie sich vollkommen fern; ja ich zweifle, ob eine feine Dame die Promenade der Rambla überhaupt oder anders als am Arm ihres Gatten betreten darf. Was auf Exklusivität Anspruch macht, fährt vor dem Diner (der comiäa) auf dein Paseo de Gracia auf und ab und besucht nach demselben das Theater.

Redaktion: Vr. Edmund Zoller. Druck und Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt (vormals Eduard Hallberger) in Stuttgart.