Heft 
(1983) 35
Seite
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diese, im Volke lebenden Vorstellungen hab ich mich gestützt; ich habe das Bild erweitert, aber kein fremdes untergeschoben . 7

Der populäre Zug an der populären Gestalt, dessen Produktivität Fon­tane für sich im Geltungsbereich preußischer Überlieferung entdeckte, hat in anderen Bereichen zum Ausgangspunkt für Werke gedient, die der Weltliteratur angehören. Mit dem Finden poetischen Ausdrucks und orga­nischer Bilderweiterung war es da nicht getan. Aber Fontane verkleinerte bei seiner Erläuterung auch das eigene Zutun, das aus der Weiterführung der eigentlich schon anachronistischenvolkstümlichen historischen Preis­lieder 8 im Fall desAlten Dessauers nicht gerade ein modernes, aber zweifellos ein zeitgenössisches Gedicht entstehen ließ. Unter die Gegen­sätze, die darin balanciert werden, zählt auch der Umstand, daß der Sänger, den man nun doch in Anführungszeichen setzen muß, der an­schaulichen Lapidarsprache zum Trotz durchaus reflektierend auftritt und die Eigenart seines Helden, auf die er ausgeht, in diesem insgesamt anti­thetisch strukturierten Text aus expliziten Antithesen entwickelt. Im Unterschied zu jenemVolk mit den festen, einfachen Vorstellungen, an das er sich zu halten und zu wenden meint, 9 spricht ein moderner Mensch, der eben aus dem Dubiosen seines Helden und der geteilten Meinung von ihm sein Kapitel schlägt. Eine ironische Haltung einnehmend, stellt er sich über beide Seiten, blickt er auch zum Dessauer nicht bloß hinauf.

In dieser ironischen Antithetik wurden das nichtsdestoweniger über­raschende spruchartige Schlußurteil und das Bekenntnis zum Zopf vor­bereitet, auf das nun zurückzukommen ist. Der Griff, mit dem Fontane das geläufige Motiv umkehrte, zeigt gleichfalls die geschickte Hand. Denn er nahm damit demonstrativ, selbstbewußt und originell eine politische und literarische Debatte wieder auf, die längst entschieden schien. Sie galt der Überwindung spätabsolutistischer Anachronismen im militärischen und zivilen, staatlichen und privaten Leben. In diesem Sinne hatte Fontane zuvor gewissermaßen selbstverständlich mit eingestimmt.

Als die national gesinnte Studentenschaft 1817 auf dem Wartburgfest zu­sammen mit einem Korporalstock und einer Ulanenschnürbrust auch einen Zopf in die Flammen warf, erblickte sie darin die Insignien desKama- schendienstes, die Schmach des ernsten, heiligen Wehrstandes. 10 Obwohl der Zopf neben dem Haarbeutel zuerst in Frankreich aufgekommen war, haftete ihm nicht nur etwasAltfränkisches 11 an, sondern vor allem etwas Altpreußisches und Militärisches. Friedrich Wilhelm I. hatte Auf­sehen erregt, als er ihn 1713 zu seiner Frisur machte und ihn dann seiner Armee verordnete. 13 Gegenüber der Perücke war das wohl eine Verein­fachung, die auch in die zivile Kleidung Eingang fand und sich über Europa verbreitete. Zum Odium wurde der Zopf, seit die Französische Revolution - nicht anders als andere große Umwälzungen - auch in die Moden eingegriffen hatte. Nach den Köpfen der Aristokraten waren auch die standesgemäßen, gesteiften und gepuderten Frisuren gefallen, zu denen der Zopf zählte Die Sansculotten trugen das Haar nach Art der ein­fachen Leute lang und offen, die Bürger bevorzugten den kurzlockigen Tituskopf.

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