Varnhagen sagte von ihm: „(...) seine soldatische Persönlichkeit schritt durch die Welt als eine Gestalt, deren Erscheinung die ungebundene Kraft und Naivität einer weit entlegenen Vorzeit mit den beschränkenden Anforderungen eines modern pedantischen Zeitalters zu verbinden hatte.“® Fontane sah den Dessauer ähnlich, obwohl ihm eine antikisierende Rückbeziehung des Vollmenschen und ganzen Mannes auf ein heroisches Zeitalter, wie es der Hegelschen Geschichtskonstruktion entsprach, denkbar fern lag. Aber den Gedanken einer heroischen Vergangenheit, die zum Gegenbild für seine kleinmütige, engherzige und tatenlose Zeit taugte, machte er sich im „Tunnel“ zu eigen. In diesem übers Politische, das er einschloß, weit hinausreichenden Gedanken traf sich seine Vorliebe fürs Altenglisch-Schottische mit der Vorliebe, die er für das alte, namentlidi das friderizianische Preußen entwickelte, das von den Monarchen und ihren Paladinen getragen wurde.
Die „ausgeprägte Vorliebe für die Historie“, die er später im Brief an Storm als das von Kindheit an bestimmende Element seiner geistigen Biographie darstellte, erhält dadurch erst die ihr zukommende Dimension. Und der Rückblick, den er im selben Zusammenhang auf die vierziger Jahre warf, wird besser verständlich: „Es kam die Herwegh-Zeit. Ich machte den Schwindel gründlich mit, und das Historische schlug ins Politische um. Dem vielgeschmähten Tunnel verdanke ich es, daß ich mich wiederfand und wieder den Gaul bestieg, auf den ich nun mal gehöre (.. .) Nur sowie ich die Geschichte als Basis habe, gebiet ich über Kräfte, die mir sonst fremd sind, wie einer, dem auf heimatlicher Erde die Seele wieder stark wurde.“ Fontane hatte ersichtlich nicht die Geschichte schlechthin mit ihrem „Zahlen- und Gedächtsniskram“™ im Sinn, sondern Geschichte als den Nährboden seiner Poesie. (Dies war ungleich mehr als ein Stoffreservoir, obwohl ihm lange etwas davon anhaftete; beispielsweise überlegte er später, ob er nicht Preußenlieder in Serie anfertigen sollte.)
So gesehen, vollzog Fontane mit dem „Alten Dessauer“ — mehr als mit den anderen Preußenliedern — einen bedeutungsvollen Schritt zur Eroberung seiner poetischen Provinz und zur Entwicklung seiner poetischen Konzeption. Die Preußensatire der ersten vierziger Jahre, die sich der Tradition von 1813 bewußt war und sich in dem Gedicht „Zwei Preußen“ oder in den beiden „Liedern vom Lederriem“ Luft machte, wurde auf lange Sicht verdrängt von der Poetisierung des Preußischen, mit der er sich in bedeutungsvollen Intervallen, auf die hier nicht einzugehen ist, und unter mehrfach gewechselten Vorzeichen sein Lebtag befassen und auseinandersetzen sollte.
Er war sich damals noch nicht recht im klaren, daß das Heroische, wenn es sich auf die Heldenhaftigkeit allein beschränkte, für diese Poetisierung nicht ausreichte. Der „Tunnel“ hat es ihm aus Anlaß des „Schwerin“ bedeutet, wo Fontane lediglich den Tod des Feldmarschalls in der Schlacht bei Prag wiedergab. Das ideologische Einverständnis des Publikums gewährleistete nicht den Erfolg: Damit die Wirkungsstrategie der Preußenlieder funktionierte, mußten offenbar selbst in diesem Kreis zum erwfe-
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