Heft 
(1885) 40
Seite
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Sherwood von Julius Grosse.

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erlegt und Keinem mehr, als er tragen kann. Was ist das Geschrei der Menschenzungen? ein Geräusch, das über die Haide fährt wie der Wind, der die Halmen beugt und das Schilfrohr, aber nachher stehen sie wieder aus. Und was ist die Ehre der Welt? eine taube Münze, die geprägt wird von Sterb­lichen, die das Lautere versetzen mit Unlauterem, eine Münze, die von Hand zu Hand geht, bis nichts mehr darauf zu erkennen ist und bis sie verschenkt wird als Almosen und Bettlerpfennig. Aber die Ehre vor Gott ist unwandelbar, ist das Beharren in der Liebe und Treue. Er allein schauet in die Herzen und richtet nach der Reinheit des Wollens, nicht nach dem Scheine der That. Und so segne ich euch von Neuem zum Bunde für dieses Leben."

Die Gatten hielten sich umschlungen, oder viel­mehr, Sherwood hielt seine Frau in seinen Armen und lauschte den wohlgemeinten Worten des greisen Seelsorgers, die ihm Versöhnung und Gewissens­ruhe Wiedergaben.

Es war eine weihevolle, feierliche Stunde, die das Letzte wegräumte, was zwischen den Gatten stand, und die Schatten in Licht auslöste.

Wir blieben noch geraume Zeit im Gespräch bei­sammen. Es wurde ausgemacht, daß Sherwood so bald als möglich auf ein Jahr mit seiner Frau in's Ausland gehen solle, um lästige Begegnungen zu vermeiden, nachher aber sofort den Abschied nehmen solle, um fortan in Tarussa zu bleiben. Weiter gaben wir uns die Zusicherung, das Geheimniß seiner That in unverbrüchlichem Schweigen zu bewahren. Die Einzigen, welche sonst noch darum wußten, waren außer dem Kaiser nur die Mitglieder des Gerichts­hofes und im klebrigen die Verurteilten. Jene ver­pflichtete das Amtsgeheimniß zum Schweigen. Die Anderen waren fern in Sibirien, und es konnten lange Jahre vergehen, bis einer derselben zurückkehrte.

*

Noch vor Einbruch der Nacht fuhr meine Telega vor, um uns Drei, Sherwood, Frau Nadjeschda und mich, Zum Herreuhause zu bringen, wo mich der alte Uschakoff mit bärenhafter Herzlichkeit empfing.

Sein Haar und Bart waren schneeweiß geworden und seine hohe Gestalt gebeugt.

Körperlich von aufgedunsener Fülle, bot er geistig das Bild eines Herabgekommeneu.

Meist lachte oder pfiff er leise vor sich, dann wieder schien er in stumpfsinniges Brüten versunken, nur in seinen lauernden Angen blitzte manchmal ein Ausdruck von Spott auf, als wollte er sagen:Nicht wahr, ihr haltet mich für einen Simpel, aber ich durchschaue euch Alle."

Gern folgte ich dießmal seiner Einladung, meine Wohnung im Schloß zu nehmen. Zur Mahlzeit erschienen nur die Verwalter und Forstleute, aber sie brachten allerlei Nachrichten aus Nähe und Ferne, und so vergingen die Abendstunden im raschen Fluge.

Das Sonderbarste war das Benehmen des alten Nschakoff gegen seinen Schwiegersohn, indeß doch nur für das Auge des Wissenden bemerkbar. Aeußerlich behandelte er ihn mit ausgesuchter, kriechender Höf­lichkeit, ich möchte sagen mit unwürdiger Unterwürfig­

keit, mit der nur die Kälte des Tons im Wider­spruch stand; manchmal aber, in unbeobachteten Momenten, ruhte sein Auge mit dem Ansdruck tief­sten Hasses und Abscheues auf ihm. Derselbe Wider­spruch zeigte sich in seiner Rede.

Seinen Worten nach zu schließen, war er stolz daraus, einen Kapitän von Adel seinen Schwieger­sohn zu nennen, dem eine glänzende Karriere offen stehe; gleichzeitig aber ergoß er sich in einer Fülle ironischer Sprüchwörter.

Ueberall ist's ebenso. Die meisten Neiter- lieder hört man von Fußgängern. Was aber einem Vogel an den Krallen fehlt, das hat er am Schnabel. Nicht wahr, Herr von Sherwood Wjerny ? Wer Granaten ernten will, braucht keinen Granit zu säen. Und die Wolke, die tief hängt, gibt den breitesten Schatten."

Dann sprang er ab und erzählte Geschichten aus dem großen Feldzug und vom Hofe, dann wieder vom Abenteurer Pugatscheff und vom Kaiser Ale­xander, Alles in buntem Durcheinander und äußer­lich unverfänglich, nur war es sonderbar, daß er dabei Nadjeschda's Fragen oder meine Bemerkungen beantwortete, diejenigen seines Schwiegersohnes aber meist überhörte.

Sherwood bemerkte dieß wohl, aber im Hoch­gefühl der heutigen Versöhnung schien er kein Ge­wicht darauf zu legen. Was lag ihm an Uschakoff's verholenem Ingrimm? War ihm die Welt doch neu geschenkt und morgen Abend war er auf dem Wege in's ferne Ausland.

Nur einmal verlor er seinen Gleichmuth, als der alte Uschakoff plötzlich einen Brief aus der Tasche zog.

Apropos, mein Herr Kapitän, bald hätt' ich's vergessen. Da ist ein Schreiben gekommen schon am Nachmittag. Mit dem Dienstsiegel; wird was Gutes sein. Ja, wer schlau ist, gräbt bei Tag den Teich, Nachts wird Gott die Karpfen Hineinsetzen. Viel Glück dazu," und er reichte den Brief herüber.

Sherwood las, seine Stirn runzelte sich und er stand auf. Dann gab er mir den Brief herüber zum Lesen.

Nun kommt es doch so, wie ich fürchtete," flüsterte er,und Gott weiß, wie es endet!"

Der Brief war ans Moskau datirt und enthielt nur wenige Zeilen vom General Diebitsch. Ich weiß den Wortlaut nicht mehr, aber der Inhalt besagte, daß Sherwood unverzüglich und vor Antritt seines Urlaubs nach Moskau befohlen sei zur Kaiserkrönuug. Auch wünsche Seine Majestät aus besonderer Gnade, daß Sherwood seine Gemahlin bei Hof vorstelle.

Nun, was gibt's?" ries der alte Uschakoff neu­gierig.Gewiß große Botschaft. Ja, es ist ein kühner Sperling, der sein Nest baut in des Löwen Mähne."

Als Sherwood mit kurzen Worten den erhalteneil Befehl mittheilte, erbleichte Frau Nadjeschda, und ihr angsterfüllter Blick suchte mich wie um Rath fragend.

Der alte Uschakoff aber sprang auf wie elektrisirt. Nun red' Einer von Mond und Sternen und die Sonne geht auf. Was habt ihr denn, Kinder?