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Deutsche Noman-Sibliothek.
denn durch einen Mann der Kirche. Die verstehen sich ans Gewissenssachen — allen Respekt vor ihnen — ob sie es verdienen, weiß ich nicht!"
Und als der würdige Geistliche ernsthafte Einwendungen ob solcher Bemerkung machte, sagte er:
„Spart Euren Eiser sür Besseres, Batjuschka. Euch habe ich nicht beleidigen wollen. Dann und wann gibt es Fälle, wo auch das Gewissen sich abnutzt und das feinste am ehesten; und wenn es hinfällig und blind und morsch geworden, dann braucht man eine bessere Bürgschaft. Thun Sie mir die Liebe, Oberst, und theilen Sie Batjuschka Alles mit, was Sie von mir wissen. Mir will es schlechterdings nicht von der Zunge. Dann mag er mir sagen, ob er mich freisprechen kann Zum ehrlichen Menschen."
Da aber hatte sich Frau Nadjeschda wieder erhoben; sie war sehr ernst geworden.
„Nein, jetzt begehre ich Alles Zn wissen, und von Dir selbst, James, von keinem Andern."
Eine feierliche Pause trat ein, die dadurch verlängert wurde, daß Frau Ustinja Matuschka eintrat und mit vieler Herzlichkeit eine Sakuska brachte. Erst als Niemand zulangte und Alles in beklommenem Schweigen blieb, setzte sie das Präsentirbrett auf den Tisch und entfernte sich scheu wieder.
„Gut, mein Kind," sagte Sherwood, „Du hast es gewollt, daß ich rede, und so feige bin ich nicht, vor einer Frau zu zittern, wo ich Männer nicht gefürchtet habe. Also höre mich wohl an: Noch vor einem halben Jahre gab es eine Menge hochangesehener junger Leute, elegante Kavaliere, gelehrte, kenntnißreiche Offiziere, charaktervolle Männer, die Jugendblüthe Rußlands, Du hast vielleicht ihre Namen gelesen — Fürsten, Grafen, Bojaren, Sprossen der ältesten Geschlechter. Heute haben sie am Galgen geendet, oder sie fahren mit Ketten belastet in's Land der Nacht und des Elends, von wanneu es keine Wiederkehr gibt.
„Und warum sind sie zu diesem furchtbaren Loose verurtheilt, lebendig begraben zu werden? Weil sie ihrem Vaterland neue Gesetze geben wollten, weil sie ein verwahrlostes Volk zu freien Menschen machen wollten, allerdings auf ihre Manier, ohne hohe obrigkeitliche Erlaubniß, in der Weise alter Römer und Griechen, die ihr Leben einsetzten für die Freiheit. Und warum konnten sie es nicht durchführend Weil ein Bube sie verrathen hat, ein wahnsinnig Verliebter, der um jeden Preis eine Laufbahn machen wollte — und diesen Elenden, den man jetzt mit Gnaden und Würden abgelohnt hat, dessen Name in der Geschichte fortleben wird wie der des Ephialtes und Herostrat — diesen Schurken nennst Du Deinen Mann, an ihn sollst Du lebenslang gekettet sein, wenn Dich nicht Schauder und Grauen aus seinen Armen reißt. Nun weißt Du Alles!"
Nadjeschda hatte den furchtbaren Worten mit Aufmerksamkeit zugehört, ihr Antlitz war farblos wie Marmor geworden, mit weitgeöffneten Augen starrte sie ihren Gatten an, ihre Lippen bebten, brachten aber keinen Laut hervor.
„Nun, hochwürdiger Herr, was sagen Sied" fragte Sherwood den Popen.
Der alte Mann erhob die Hand wie beschwörend. „Beruhigen Sie sich, Herr Kapitän. Sie haben mich in ein zerknirschtes Menschenherz sehen lassen, aber ferne sei es von mir, den Stab Zu brechen. Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Wer wollte sich so vermessen dünken, mit der Vorsehung zu rechten, die ihre Werkzeuge auserwählt aus allerlei Sterbliche::, und wie sollte ich Unwürdiger ur- theilen, nachdem Seine Majestät der Kaiser selbst entschieden hat, daß Sie Rußland einen weltgeschichtlichen Dienst erwiesen haben!"
Finster wandte sich Sherwood ab. „Die Vorsehung hat es auch zngelassen, daß ein Judas sein Werk trieb. Nun, Herr Oberst, was sagen Sied" und er wandte sich Zn mir.
Ich sprach ihn: offen meine Verwunderung aus über seine maßlose Ueberspanntheit und Selbstquälerei. Immerhin war es seine gute Absicht, Rußland Vörden Greueln einer Revolution zu bewahren und die Verblendeten zugleich zu retten; wenn dieß schließlich mißlungen, so liege die Schuld an den Empörern allein; übrigens sei es kein Geheimniß mehr, daß die Gefahr nicht durch ihn allein verrathen worden, und der Gang der Ereignisse wäre genau derselbe gewesen, auch ohne feine Enthüllungen.
Beiläufig sprach ich ihm meine Anerkennung für die Offenheit feines Bekenntnisses ans und daß er sein Glück nicht habe erschleichen wollen. Freilich sei es um den Ruf eines Denunzianten ein übles Ding, aber er müsse die moralische Stärke haben, der Welt die Stirn zu bieten; vielleicht sei es auch für ihn am empfehlenswerthesten, wenn er bei nächster Gelegenheit Urlaub nehme, um auf einige Jahre in's Ausland zu gehen.
„Derselbe Rath, den ich den Anderen gab," erwiderte er. „So klug bin ich übrigens selbst gewesen. Ich habe bereits Urlaub ans ein Jahr. Und Du, Nadjeschda?"
Die junge Frau faß immer noch wie erstarrt und wie geistesabwesend. Es war, als ob ein Theil der großen Seele in ihr zerbrochen wäre unter dem großen, furchtbaren Gewicht, das sich mit diesem Bekenntniß aus sie legte.
Nach langem Schweigen sagte sie: „James, was Du gesagt hast, ist entsetzlich — ein Abgrund voll Grauen — hättest Du doch lieber geschwiegen — aber wisse auch, ich habe Dir einmal meine Hand gereicht am Altar als Dein Weib. Ich kenne meine Pflichten fortan und ich hoffe, sie zu erfüllen, aber frage mich nichts weiter. Und wozu die Welt fürchten; wenn die Dinge so stehen, so brauchen wir die Welt nicht. Wir können glücklich sein in der Einsamkeit und des bunten Rockes braucht es auch nicht mehr. Nimm Deinen Abschied und bleibe bei uns. Doch darüber reden wir noch."
Da stürzte er auf seine Kniee nieder und küßte die Hände seiner Frau.
„Nadja, ich danke Dir. Du und Deine Liebe nur kann mich entsühnen. Jetzt will ich an ein neues Leben glauben!"
Und der wackere Wassili Smirnoff erhob abermals seine Hände znm Segnen.
„Es wird Jeglichem sein Theil von Gott auf-