Sherwood von Julius Grosse.
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mitleiden. Glücksritter also nannte man mich, Spieler und Falschmünzer, nun, die Leute haben es recht gut gemeint. Schade, daß ich ihrem Scharfsinn so wenig Ehre machte. Und das Alles wäre ja nur Spielerei gewesen, aber im vollsten Ernst, Batjuschka. Es ist Schlimmeres, was ans mir lastet!"
„Aber so höre endlich auf, James!" rief Nad- jeschda ungeduldig. „Ich will nichts weiter hören, ich darf es auch nicht wissen, heut und niemals. Ich nahm Dich einst Zum Mann im Vertrauen auf Deinen Werth, auf Deine Liebe und Treue, und so mag's bleiben, wärst Du auch ein Blaubart, ein Ungeheuer, Du Schalk!"
Bis hieher war das Gespräch immer noch gleichsam in neckendem, halb scherzhaftem Tone geführt worden, so gefährlich das Thema war.
Ich war aufgestanden und bemerkte, daß der Vorhang am Glasfenster der Thür aus der einen Seite etwas verschoben war. Mein Blick fiel unwillkürlich in den Hellen Raum, der von der Abendsonne strahlend erleuchtet war. Da stand der neue Kapitän der Gardedragoner in funkelnder, eleganter Uniform, wie ein junger Kriegsheld, aber seine Wangen waren fahl und hohl und feine Augen glühten wie in Fieberhitze. Ich hätte den jungen Mann in seiner äußeren und inneren Metamorphose kaum wieder erkannt.
„So mag es bleiben!" rief er, indem er ihre Worte wiederholte und die ansgestreckte Hand feiner Frau ergriff. „Ich danke Dir, Nadja; aber wird es auch so bleiben, wenn wir nun hinaustreten in die Welt? Wenn man mit Fingern auf mich weist, wenn die Leute aufstehen, wenn wir uns nahen, wenn man mich meidet als den Gezeichneten, wenn der Jammer von Wittwen und Waisen laut wird, wenn ich keinen Schlaf mehr finde vor jenen Schreckensbildern?
„Ich weiß ja," unterbrach er sich, „man hat Alles mit sich selbst anszumachen, und nur das eigene Gewissen absolvirt vor Gott, aber so einfach ist das doch nicht. Das Gewissen der Welt ist freilich ein anderes und wägt mit anderen Gewichten, mit plumperen Gewichten, und sie gelten etwas, drum muß es Priester geben, die da Bescheid wissen und feiner wägen können, und der Kaiser selbst versteht es gewiß am besten als oberster Priester — aber das ist Alles nicht genug. Dich frage ich, Batjuschka, ob Du einen Schurken lossprechen kannst vor Gott und vor seinem eigenen Gewissen?"
Und in dieser Weise sich steigernd in heftigsten Selbstanklagen, raste er noch eine Weile fort, bis Nadjeschda auf einmal vor ihm zurückwich und sich in die Arme des Popen warf.
„Heiliger Gott — er ist wahnsinnig geworden! Schützen Sie mich, Batjuschka, ich fürchte mich vor ihm —- ich Unglückliche — was soll das werden mit uns. Ich weiß nicht, wie mir wird — mir vergehen die Sinne," und sie sank ohnmächtig aus einen Stuhl.
„Verantworten Sie vor Gott, was Sie thun, Sie Rasender," sagte der Geistliche. Dann öffnete er die Thür und rief nach seiner Frau und nach Wasser.
Sherwood aber lachte vor sich hin. „Siehst Du, Nadja. Das wird Dein Wahnsinn werden wie der meine, das Ende vom Lied. Heut bin ich noch vernünftig, heut bin ich noch im Traum des Glücks, heut nenn' ich Dich noch mein — wer weiß, wie lange noch — gib mir Deine Hand, Nadjeschda!"
Sie aber fuhr empor. „Laß mich — — weg von hier — — das ist entsetzlich!"
Und sie flüchtete durch die offene Thür in das Zimmer, wo ich mich befand. Bei meinem Anblick stutzte sie einen Moment, aber es war kein Ausdruck des Erschreckens, sondern eher der der Freude und des Trostes, mich so unerwartet zu finden, und so flüchtete sie in meine Arme, als sollte ich sie gegen eine Welt vertheidigen.
Sherwood war ihr gefolgt und erblickte mich jetzt.
Anfangs fuhr er zurück, als stände er vor seinem Richter, dann aber faßte er sich rasch.
„Ah, Sie sind da, Oberst, das nenne ich apropos. Wo in aller Welt kommen Sie her? — Doch ich will nicht fragen. Und Sie sind hier gewesen, schon vorher — sind Zeuge gewesen — desto besser! Und jetzt meine kleine Frau in Ihren Armen — parbtsu, ein tröstliches Bild. Wenn ich Talent zur Eifersucht hätte, könnte ich jetzt rasen. Aber es ist gut so, es ist gut so — beschirmen Sie die Engelsseele vor mir und vor sich selber. Ich danke Ihnen, Oberst, Sie sind der Einzige auf Erden, der Alles weiß, wie es so weit gekommen mit mir. Geben Sie mir die Hand, wenn ich es verdiene."
Er kam näher und wir begrüßten uns. Seine Haltung war in wenig Minuten wieder gemessen und voll Selbstbeherrschung.
Frau Nadjeschda hatte sich inzwischen meinen Armen entwunden und blickte starr bald auf ihren Gatten, bald auf mich und den Geistlichen. Dann strich sie mit beiden Händen über die Stirn, athmete tief auf und blickte um sich, als müsse sie sich besinnen, wo sie sei und was mit ihr vorgegangen.
„Das war ein häßlicher Auftritt, James," sagte sie. „Wie Du mich erschrecken konntest mit Deinen bösen Worten. Thue das nicht wieder, ich bitte Dich darum. Gottlob, daß Sie da sind, Herr Oberst. Sie verstehen ihn als alter Freund. Sie haben immer gut von ihm gedacht. Wie viel Dank sind wir Beide Ihnen schon schuldig gewordeu." Und in herzlichsten Worten bewillkommnete sie mich, als wenn der vorige Auftritt uur ein Traum gewesen wäre.
Ich nahm das Gespräch mit der schönen Frau sofort auf, erwähnte meine Reise über Charkow, meine Absicht, nach Moskau zu gehen, und hütete mich wohl, auf die Ursache ihres Erschreckens zurückzukommen. Selbstverständlich gratulirte ich ihr zu der glücklichen Wiedervereinigung mit ihrem Gatten, lobte sein stattliches Aeußere, seine brave Haltung im Dienst, die Ausdauer seiner langen Selbstverleugnung und schließlich sein besonderes Glück, das die Augen des Kaisers auf ihn gelenkt, so daß er in kurzer Zeit den Gipfel der Ehren und Würden erklommen.
„Lassen Sie das, Oberst," unterbrach mich Sherwood heftig. „Das verdunkelt die Sache nur. Ich will keine Rechtfertigung noch Verteidigung, es sei