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Deutsche Roman-Bibliothek.
strebens, als wenn ein Abgrund von Blut und Thronen, Fluch und Schande zwischen uns läge.
„Nun, Herr Oberst, ist es gefällig?" sagte der alte Herr und wollte mir den Vortritt lassen.
„Alles erwogen, Batjuschka," erwiederte ich, „machen Sie lieber erst Ihre Angelegenheit mit Sherwood ab. Erwähnen Sie auch vorläufig meine Anwesenheit nicht. Ich werde inzwischen bei Ma- tnschka Ustinja bleiben."
Und so trat ich in das Zimmer der Frau des Geistlichen, wo ich mich ermüdet niederließ. Mein Gespräch mit Frau Ustinja gedieh übrigens nicht weit, denn sie wurde bald daraus wiederholt von einer Magd in häuslichen Angelegenheiten abbernfen.
So blieb ich denn den größten Theil der Zeit allein in dem großen Zimmer und konnte deutlich jedes Wort hören, das im anstoßenden Kabinet des Popen gesprochen wurde. Die obere Hälfte der Thür, welche hineinführte, bestand aus einem großen Fenster, welches von einem Vorhang bedeckt war.
Zuerst unterschied ich die Stimme Frau Nad- jeschda's, und sie klang heiterer und voller als früher. Man sprach anfangs allerlei Höfliches und Verbindliches. Von Sherwood hörte ich kein Wort.
Plötzlich und ohne weitere Einleitung begann Nadjeschda:
„Denken Sie doch, Batjuschka, mein James hat manchmal wunderliche Grillen, und dann meint er, nur Sie könnten ihn davon erlösen. Deßhalb sind wir eigentlich hier, denn bei mir findet er kein Gehör dafür, ich bin viel Zu glücklich und zerstreut jetzt."
„Freut mich, daß Du es so leicht nimmst, liebe Nadja," klang Sherwood's Stimme, und sie hatte denselben sonoren, sympathischen Klang wie sonst. „Wenn's wirklich nur Grillen wären, wollte ich allein damit fertig werden. Sehen Sie, Batjuschka," fuhr er fort, immer noch mit jovialem, nachlässigem Tone, „hier steht eine Frau aus vornehmer Familie, eine liebenswürdige Frau, die ich einst den Ihrigen entriß. Ich will gar nichts von ihrer Vortrefflichkeit sagen, die meine Unwürdigkeit tief in den Schatten stellt. Bitte, laß mich nur ausreden, Nadja," unterbrach er sich. „Ich weiß von Deiner Treue und Geduld, von Deinem jahrelangen Ausharren in Noth und Elend — während ich draußen dem sogenannten Glück nachjagte; das ist nun vorbei — ja — das Ziel ist erreicht, aber Ihr möchtet doch auch wissen wie, nicht wahr? Warum fragt Ihr nicht? Ich danke Dir, Nadja, daß Du nicht darnach gefragt hast. Wir werden uns nun für immer angehören, unser Glück braucht kein Geheimniß mehr zu sein. So will's der Kaiser. Aber sehen Sie, Batjuschka, ich möchte mein Glück doch nicht bloß einem Machtspruch verdanken und auch keiner Täuschung — nicht um Alles in der Welt. Und deßhalb muß ich endlich reden!
„Ich weiß nur nicht, wo und wie ich anfangen soll. So sehr ich mich manchmal auf diesen Tag gefreut habe, jetzt ist all' das Glück wie Schaum, wie Wolken, die über mich hinziehen, — wie ein schöner, fremder Garten, auf den ich kein Recht mehr habe,
auch wenn ich Alles nur ans Ehrgeiz gethan und aus wahnsinniger Liebe!"
Jetzt trat eine Pause ein; das war offenbar eine ernste Gewissensbeichte, die da begann. Ich hätte mich entfernen sollen, aber als einziger Mit- wiffender glaubte ich ein Recht Zu haben, Zu bleiben.
„Sehen Sie," begann er wieder, „Andere nehmen dergleichen leicht. Ich kann's nicht, ich Hab' nur den einen Wunsch, mich von all' den Qualen und Zweifeln loszumachen. Nadja will, wir sollen morgen bei Ihnen kommuniziren. Ich halte von dergleichen nicht viel, aber ich will auch nicht dagegen sein. Es ist nur das, was drum und dran hängt. Andere haben leicht beichten, wo nichts zu beichten ist, aus einem leeren Leben, das nichts bedeutet. Bei mir ist's anders, Werthester Herr, und ich wüßte nicht, wo ich beginnen sollte, wenn es einmal zum Beichten käme. Ich sehe schon, ich werde nicht darum herumkommen. Erst wenn Sie mich freisprechen können, als ein herzenskundiger, als ein alter Mann, der weiß, wie nichtswürdig die Welt und wie unfrei der Einzelne ist — dann will ich auch glauben, daß Nadja darüber hinwegkommt, daß wir ungestört vereint bleiben, daß sie keinen Anstoß daran nimmt, wenn einmal — — ja wohl, liebste Nadja, ich wiederhole es immer von Neuem. Der Kaiser kann immerhin befehlen, daß Herr von Uschakoff mir seine Tochter gebe, aber ob alle seine Gnade mir Deine Achtung Zurückgibt, Deine Liebe erhält — wenn Du mich erst ganz kennst — das kann er mit all' seiner Macht nicht verbürgen!"
„Aber, mein Gott, was soll das Alles heißen?" rief Frau Nadjeschda. „Es hat ja Jeder seine Sünden, aber warum das Alles so feierlich nehmen? Sehen Sie, Batjuschka, mit solchen Reden quält er mich nun seit zwei Tagen, daß mir manchmal ganz bange werden kann. Und was ist denn das Unsagbare, was ich nicht wissen soll?"
Auch der alte Geistliche Wassili Smirnoff warf jetzt einige begütigende, salbungsvolle Worte ein, vom Gnadenschatz der Kirche, von der unendlichen Langmuth Gottes, die den Tod des Sünders nicht wolle, sondern daß er sich bekehre, und dergleichen.
„Ich danke Ihnen, Batjuschka," sagte Sherwood, und sein Ton war wieder der leichte, spielende wie sonst. „Nehmen Sie also an, ich wäre zum Beispiel ein großer Verbrecher."
„Den der Kaiser auszeichnet," lachte Frau Nadjeschda. „Aber es ist wahr. In Smolensk sprachen auch Andere so und warnten mich vor Dir, Du lieber, böser James. Die Jakouschins meine ich. Was habe ich da Arges hören müssen alle Tage — als wenn Du Falschmünzer wärest, Spieler und Glücksritter, vielleicht gar Verschwörer — ja, so schlecht ist die Welt, aber ich lachte dazu. Sie sehen, Batjuschka, so kommen wir nicht weiter miteinander. Bitte, fragen Sie ihn doch selbst auf sein Gewissen, was er denn Abscheuliches gethan hat, daß ihn der Kaiser zum Offizier gemacht und in den Adelsstand erhoben hat?"
Und wieder sprach Sherwood:
„So, so — also die Welt hat Dich gewarnt bei Zeiten, künftig wird sie Dich vielleicht nur be-