Heft 
(1885) 40
Seite
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Sherwood von Julius Grosse.

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Seimgen, und der verlorene Sohn kam heim von den Träbern. So ist's, morgen gibt die Herrschaft ein großes Erntefest. Das ist etwas Neues hier, aber Frau Nadja hat sich's so ausgedacht. Wie wird sie sich freuen, daß Sie dabei sind."

Aber wie stimmt das Alles Zu Ihren Jere- miaden, Batjnschka? Erklären Sie sich deutlicher, wenn ich bitten darf."

Das erklärt sich ja Alles von selbst," sagte der Alte.Denken Sie doch, Sherwood ist hier seit drei Tagen ja wohl, der Herr Kapitän sind hier. Er ist gekommen mit allem Pomp, um seine Gemahlin Zu holen. Mit vier Pferden ist er an­gefahren wie ein kleiner Fürst. Alle Hochachtung, Herr Oberst, das ist ein Mann geworden, ein großer Mann!"

Mir schien es beinahe barock, daß der Abenteurer so buchstäblich sein Wort wahr gemacht, wenn es nicht ein neuer Schwindel war. Eine närrische, unbegreifliche Welt das! Also Sherwood hier nach alledem und trotz alledem unglaublich!

Aber der alte Herr fuhr fort:Ja, denken Sie, er ist vollständig versöhnt mit seinem Schwieger­vater. Das sagt nicht Alles. Herr von Uschakoff ist stolz daraus, solchen Mann seinen Eidam zu nennen. Zwar auch wenn er nicht wollte, er würde müssen, auf Befehl des Kaisers. So ist es, versteh' es ein Anderer! Als armer Teufel ist er einst ge­flohen aus Tarussa, dann war er lange Freiwilliger und Unteroffizier ich weiß es von ihm selbst aber schon seit Ostern ward er Fähnrich im Leib­regiment der Gardedragoner, und jetzt schon ist er Stabskapitän. So ist er wiedergekommen, geadelt vom Kaiser und überhäuft mit Gnaden -- eine glänzende Carriöre, nicht wahr, Herr Oberst? Und das ist noch nicht Alles! Er muß sich außerordent­liche Verdienste erworben haben. Denken Sie: Seine Majestät hat ihn mit einem besonderen Beinamen dekorirt. Er heißt Sherwood Wjerny. Sherwood der Getreue! Und dann seine Ehe ich sagte cs wohl vorher schon; seine Vermählung ist dem Kaiser bekannt geworden, und auf Befehl Seiner Majestät, auf ausdrücklichen Befehl, ist Herr von Uschakoff, man darf nicht sagen gezwungen, aber veranlaßt worden, den armen Ausländer als seinen Schwieger­sohn und Erben anzuerkennen. Was sagen Sie dazu? Morgen ist der erste feierliche Kirchgang mit seiner Frau, und die ganze Familie wird dabei das heilige Abendmahl nehmen, gleichsam als Akt der Ver­söhnung, wenn man will, anstatt einer neuen Ein­segnung; so wünscht es Frau Nadjeschda, und Herr von Uschakoff sagt zu Allem Ja. Ganz natürlich, man fragt ihn gar nicht weiter. Nun, Sie werden ja selbst dabei sein."

Mir klangen die Worte des redseligen Alten so abenteuerlich wie ein morgenländisches Märchen. Aber wer da weiß, wie rasch und wunderbar gerade in Rußland schon glänzende Carrisren gemacht wurden man braucht nicht an den Pastetenbäcker Menschikoff und an den Stallknecht Biron und andere Ausländer zu denken der konnte auch das begreiflich finden. Gedachte ich freilich daran, welcher Natur die Ver­dienste waren, denen der Denunziant sein Glück

dankte, so war er wenig beneidenswerth, und daß diese Verdienste jedenfalls den Seinen ein Geheim- niß geblieben und auch künftig bleiben mußten, das legte sich doch wie ein Wolkenschleier über dieses sonnige Glücksbild.

Sie haben also Sherwood kennen gelernt?" sagte ich.Was halten Sie von ihm?"

Wie meinen Herr Oberst?" erwiederte der Geistliche.Ich kannte ihn ja schon früher, aber ich will es eingestehen, ich habe ihn damals ver­kannt, als er noch Lehrer war, oder vielmehr, wir haben uns eigentlich gar nicht gekannt. Jetzt ist es ein eleganter Kavalier, ein Musterbild von Offizier, ein merkwürdiger, genialer Mensch, dem man nur das Beste zutrauen kann. Jedenfalls muß er sich ausgezeichnet haben als tapferer Kämpfer, Matnschka Ustinja meint, bei dem schrecklichen Aufstand. Das sind freilich traurige Heldenthaten, aber er that es im Dienst des Kaisers, und der Kaiser hat ihn be­lohnt. Eines allerdings bleibt mir unbegreiflich bei alledem."

Also doch ein Bedenken?"

Ja, wenn Sie erlauben, Herr Oberst. Bei solchen Auszeichnungen sollte man meinen, müßte ein junger Mann sich gehoben fühlen. Und wenn er stolz und hochmüthig geworden von solchen Gnaden, so wäre es menschlich aber sonderbar, der Herr- Kapitän ist nichts von alledem. Er ist liebenswürdig und einfach, aber dabei ernst und düster und in sich gekehrt wie Einer, der etwas Schweres auf der Seele hat, ein Mensch, den man bedauern möchte. Gestern sagte er mir, er müsse einmal ausführlich mit mir reden, und fragte, wann ich Zeit hätte. Was kann er von mir wollen? Ein Soldat von einem armen Landpriester? Haben Sie ihn früher so gekannt? Matnschka Ustinja meint, man könne sich manchmal vor ihm fürchten."

Das klang nun allerdings wenig nach Glück und bestätigte meine Befürchtungen.

Ich äußerte nichts davon, sondern stellte eine Frage nach Frau Nadjeschda.

Da wurde der alte Mann warm und seine Worte flössen von Bewunderung und Verehrung über.Ja, das ist eine Engelsseele," schloß er,und glücklich und strahlend, als wenn ihr jetzt die ganze Welt gehörte. Nun, Sie werden sie ja bald selbst sehen."

Mittlerweile hatten wir uns langsam der Woh­nung des Popen genähert, aber ehe wir noch ein- trateu, pochte Jemand von innen an eines der Fenster. Gleich darauf öffnete sich die Thür und Frau Ustinja trat erregt ihrem Gatten entgegen, dem sie hastig etwas zuflüsterte:

Wie ich Dir sage, Batjnschka. Sie sind da, sie sind Beide da," und sie deutete auf das Innere der Wohnung.

Wer ist da?" fragte Wassili Smirnoff.

Nun, wer sonst!" rief sie.Der Herr Kapitän selbst sie warten schon lange auf Dich, sie hätten mit Dir dringend zu reden, was weiß ich, wovon." Dann erst wandte sie sich zu mir und begrüßte mich staunend und erfreut als alten Freund.

Meine erste Regung war, Sherwood entgegen Zu eilen, meine zweite jedoch eine Art inneren Wider-