Heft 
(1885) 40
Seite
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Deutsche Roman-Bibliothek.

Aber was soll nun werden, wenn, was der Himmel verhüten möge, ein trauriges Ereigniß dennoch un­vermeidlich wäre? Von dem unseligen Gatten Frau Nadja's verlautet nichts und aus seine Rückkehr ist wohl nimmermehr zu hoffen; er scheint untergegangen Zu sein.

Wie oft denken ich und meine Frau Ustinja der kurzen Zeit Ihres Hierseins. Wie sehnen wir uns Alle, Sie wiederzusehen. Können Sie es nicht so einrichten, uns in diesen schönen Sommertagen zu besuchen? Es wäre dieß in mehr als einer Hin­sicht wünschenswerth; ich mag nicht Alles dem Papier anvertrauen. Kommen Sie ja, wenn Sie können; es steht nicht gut mit uns, Herr Oberst, drum möchte ich schließen mit den Worten: aus baldiges Wieder­sehen! Inzwischen nehme Sie der Herr in seinen gnädigsten Schutz. Mit diesem Wunsche Ihr unter- thänig ergebener Wassili Smirnoff."

Dieser Ruf aus der Ferne rüttelte mich empor, und da die Zeit gekommen war, wo ich alljährlich gewisse Inspektionsreisen Zn machen hatte, gedachte ich diese Gelegenheit zu benutzen, auch Tarnssa wieder auszusuchen. Dazu kam noch manches Andere: Ge­schäfte in Charkow, dann eine Reise nach Moskau. Bisher hatte man die feierliche Krönung des Kaisers Nikolaus, vielleicht weil man Unruhen befürchtete, von Monat zu Monat hinausgeschoben. Endlich war sie aus Anfang September festgesetzt worden. Nach Vor­schlag unseres Kommandanten von Novomirgorod war es längst eine ausgemachte Sache, daß unser getreues Ulanenregiment wie unsere ganze Garnison in feierlicher Deputation bei der Krönung vertreten sein müsse. So wirkte denn Vieles Zusammen, den einmal gefaßten Beschluß schleunigst auszuführen.

Eines schönen Morgens flog meine Telega wieder nach Norden durch Feld und Wald und durch die unermeßlichen weiten Ebenen, die in afrikanischer Glut dampften. Ich sprach von Geschäften in Char­kow. Ebendort, wo mir eine übrigens nicht be­deutende Erbschaft zugefallen war, fand bei dieser Gelegenheit eine Zusammenkunft von allerlei Mit­gliedern unserer Familie statt verschollene alte Herren, würdige Matronen, herangewachsene Söhne und Töchter, von deren Existenz man bisher keine Kunde gehabt. Eine der Letzten, und zwar Die­jenige, welcher der Löwenantheil der Erbschaft Zusiel, wurde mir von geschäftigen Basen unter der Hand als Frau angetragen, und ich will es gar nicht leugnen, daß vielleicht Alles nach Wunsch gegangen wäre, wenn ich mir hätte Zeit nehmen können und wollen, dieser liebenswürdigen, reichen Erbin, deren vielumworbene Schönheit auch Andere als mich blendete, mit Muße den Hof zu machen. Allein daran war nicht zu denken; die Reise nach Moskau drängte, mehr noch der Umweg über Taruffa, und so schlug ich denn auch dieß problematische Glück wie so manches ähnliche in früheren Jahren in den Wind, habe auch keine Ursache gehabt, diese Unterlassungs­sünde später zu bereuen, lieber allen jenen Umwegen und bei den ungeheuren Entfernungen war bereits die letzte Woche des August herangekommen, als ich

endlich an einem sonnigen Nachmittag in Tarnssa glücklich anlangte.

Meine Absicht war wie damals im Winter, zu­erst bei meinem alten Freunde, beim Popen Wassili Smirnoff, vorzufahren und dort weitere Erkundi­gungen einzuziehen.

Meine Vorstellungen über das Mögliche waren die hoffnungslosesten. Wer konnte überhaupt wissen, ob ich den alten Uschakoff noch am Leben treffen würde? Und was außerdem wollte mir Smirnoff in seinen Briefen verschweigen? Etwa Vermögens­verluste, den materiellen Ruin des Wohlstands der vornehmen Familie? Auch in Rußland ist der un­erschöpflichste Reichthum schon die Beute fremder Hände geworden. Bei der Unzurechnungsfähigkeit des Herrn waren alle Unregelmäßigkeiten und Ueber- griffe einer ungetreuen Verwaltung denkbar.

Da ich dießmal von Süden ankam, berührte ich andere Theile der Ortschaft und mußte gleich anfangs dicht am Herrenhause vorüber, von dessen Thürmchen mich soeben das Glockenspiel der Schloßuhr begrüßte, eines Kunstwerks, das die MelodienEoä savo tbo IrwgZ abspielte. Auf dem Hofe sah ich einen hohen Mastbaum errichtet mit bunten Tüchern und Bändern. Dabei erscholl Musik und Gesang aus den umliegenden Seitengebäuden. Was hatte das Alles zu bedeuten?

Bis zur Wohnung des Popen war es noch eine gute Strecke. Da, als ich eben über die alters­morsche Brücke aus Baumstämmen fuhr, schritt eine gebeugte Gestalt vor meinem Wagen her. Jetzt, aufgeschreckt von den Glöckchen der Pferde, blieb sie stehen, wandte sich um und zog, sich tief verbeugend, den Hut.

Es war kein Anderer als der würdige Pope selbst. Sofort ließ ich halten, rief den alten Herrn heran und sprang aus meiner Telega.

Ein Freudenstrahl flog über sein greises Antlitz, als er mich erkannte. Keine Spur von Kummer oder Sorge war in den Hellen Augen zu sehen, die mich staunend begrüßten.Was muß ich sehen, Herr Oberst, Sie selbst? Nun, das haben Sie recht gemacht, daß Sie endlich kommen und gerade heut," sagte er, indem er mir die Hand schüttelte. Nun, Sie haben uns noch gefehlt, um die Freude vollständig zu machen."

Wie meinen Sie das? Wie stehen die Dinge?"

Alles gut, Herr Oberst, Alles gut," erwiederte er mit leuchtenden Augen.Ja wohl, Gott der Herr mischt seine Gaben wunderbar, und seine Wege sind nicht unsere Wege. Die Gastmahle der Lust endet er mit Schrecken, aber im Hause der Trübsal läßt er Freude anfblühen. Seine Fügungen sind unersorschlich."

Ebenso wie Ihre Worte für mich, Batjuschka; aber was ist denn geschehen?"

Der alte Mann hatte offenbar seine Freude an meiner Neugier, aber er ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen und deutete auf die weiten Felder. Sehen Sie, Herr Oberst, aus Sturm und Wetter muß der Segen gedeihen, und so auch dort bei unserer Herrschaft. Wie hat sich Alles verwandelt so rasch der Friede ist eingezogen in das Haus des Betrübten. Auch Hiob kam wieder zu all' dem