also ein literaturwissenschaftlicher Strukturalismus, der um die Dialektik von Wirklichkeit und Abbild und um Historizität bemüht ist. Man könnte auch von systematisierter und historisierter Motivforschung sprechen. Der Abriß über die Entwicklung von Geselligkeit und Naturbegegnung in Geschichte und Kunst bis ins 19. Jahrhundert beschränkt sich notwendig auf wesentliche Stationen. Der erste große Abschnitt ist Gottfried Keller gewidmet. Hauschild geht davon aus, daß der Dichter des „Grünen Heinrich“ und der Seldwyler und Züricher Novellen weitaus eher „Klassiker der Demokratie“ denn „Märchenerzähler“ ist. Lukäcs’ umfassende Revision von Fontanes Keller-Bild bestimmt also weitgehend die Arbeit.
Als theoretisches Zeugnis für Kellers klassisches Demokratieverständnis wird sein Aufsatz „Am Mythenstein“ aus dem Jahre 1860, aus der Zeit des Höhe- und Wendepunktes von Gottfried Kellers poetischem Schaffen, analytisch vorangestellt. Die darin entwickelte Theorie des Volksfestes als höchster Form der Geselligkeit wird jedoch nur zum Teil objektiv erfaßt. Der Forderung des Dichters nach dialektischen Übergängen zwischen Alltag und Fest, von Erfahrung und Erziehung wird zugestimmt. Die konkreteren Bestimmungen von Kellers „Nationalästhetik“ werden jedoch antikommunistisch ausgedeutet (S. 29, auch S. 95). Das Verhältnis zwischen Realität und Utopie bei Keller ist nicht historisch genau erfaßt.
Drei Formen der Geselligkeit in der Kellerschen Dichtung als relativ stark geselliger, nicht-entfremdeter, realistischer Literatur wird intensiv nachgegangen: dem Familientisch, dem sog. geselligen Zirkel und dem Volksfest. Alle detailreichen und interessanten Exkurse münden in die Feststellung, daß Gottfried Keller Wirklichkeit nicht unmittelbar nachzeichnet, sondern intentionell modellhaft umgestaltet (S. 50, 58, 62, 74). Über der Tendenz zur Geselligkeit wird die Beobachter- und Zuschauerrolle besonders Heinrich Lees als Folge von Entfremdungsproblematik nicht übersehen. Der Aspekt der Entwicklung des Dichters ist. im Kapitel über das Naturverhältnis in gewisser Weise berücksichtigt. Naturbegegnung findet notwendig vor allem im Roman statt. Während jedoch im „Grünen Heinrich“ die Natur die Fähigkeit aufweise, „als Vorbild, Maßstab, mahnende und korrigierende Instanz in den menschlichen Bereich hineinzuwirken“ (S. 86), bleibe sie im „Martin Salander“ grüne Kulisse, der kaum noch rekreajjive Bedeutung für den Menschen zukomme. Was die künstlerischen Mittel betrifft, wird besonders auf die relative Armut an „direktem Dia- ^ log“ (S. 92) hingewiesen, die im Widerspruch zur stark betonten Geselligkeit zu stehen scheint. Die Dominanz der Darstellung von Handlung und der Wiedergabe von Reflexionen durch den medialen Erzähler wird aus der Konzentration auf die „Praxis als Bewährung und Vollzug des Wirklichen“ (S. 92) erklärt. Auf den Feuerbadischen Materialismus auch als mögliche Begrenzung dialogisch-individualisierender Menschengestaltung wird nicht rekurriert. Der Kellersche Realismus wird schließlich in den Begriffen „Volkstümlichkeit“, „Verklärung“ und „Reichsunmittelbarkeit der Poesie“ zusammengefaßt. Als zentrale Kategorie erweist sich dabei die „Verklärung“ als Bekenntnis zur Dialektik zwischen Wirklichem und Möglichem, von Kritik und positiver, „reichsunmittelbarer“ Poesie 1 , in gewisser, allerdings noch entschiedener durchführbarer Abgrenzung von der bloßen
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