Heft 
(1983) 35
Seite
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Vergoldung durch den sog.poetischen Realismus 1 '. Das von Fontane fest­gestellte und kritisierteMärchenhafte konkretisiert sich zur parabelhaft­pädagogischen Tendenz. Nach meiner Ansicht verkörpert Kellers von einer Überaufgabe, der Erziehung zum bewußten Demokraten, also von einem zu bewahrenden und zu verbessernden gesellschaftlichen Ganzen, ausge­hende zyklische poetische Konzeption eine parabelhafte poetische Konzep­tion, eine Form der novellistischen menschlichen Komödie zwischen der Auf­klärung, etwa den Ideenromanen Voltaires, und Brecht, so merkwürdig dies klingen mag.- Kellers novellistische Zyklen sind auf der besonderen Grundlage der Schweizer Demokratie ein Gegenstück zurMenschlichen Komödie Balzacs.

Kellers novellistiseh-komödisches Marionettentheater (ursprünglich wollte Keller ja auch Dramatiker werden) verkörpert natürlich eine sehr sinn­liche Variante des Parabelhaften, mit vielernovellistischer Petersilie'. Andererseits sind die moralischen Reflexionen und vor allem die starke, gar nicht shakespearehafte Familienähnlichkeit der Figuren, ihre straffe Funktionalisierung, etwa derdrei gerechten Kammacher', im Dienste der Überaufgabe, der ideell-ideologischen Prämisse, nicht zu übersehen. Zudem wuchert diedidaktische Knochenhaftigkeit im Spätwerk immer stärker hervor und führt mit zum Verfall der Kellerschen Erzählkunst, zur Auflösung ihrer wunderbaren, leuchtkräftigen Plastizität.

Das dritte und umfangreichste Kapitel giltDiner und Landpartie in den Romanen Theodor Fontanes. Schwerpunkte sindGeselligkeit als Reprä­sentation;Verbotene Liebe und gestörte Idylle am fin de siede und besonders dasGespräch als Repräsentation und Vollzug des Wirklichen. Im Unterschied zu Gottfried Keller findet sich kein normativ-geselliger Ausgang für die Untersuchung, wie er beim bewußt ideologischen Schwei­zer Erzähler in Gestalt des AufsatzesAm Mythenstein' gegeben ist. Die Ursache dafür sieht Hauschild darin, daß Fontane schallensmäßig im Un­terschied zur Kellerschen Erfindungssunst mehr in der Wirklichkeit vor­findend und auswählend verfährt (S. 147, 167). Interessante Einblicke er­möglicht die vorliegende Arbeit in das schwerelose, verweisende, nicht­naturalistische und nicht-symbolische Dinglich-Szenische in Fontanes Ro­manen, in die Relation zwischen Liebe und Idyll und in die soziale Zu­sammensetzung und sprachliche Differenzierung der Gesprächskreise. In­teressant ist zum Beispiel die Feststellung (auf S. 126), daß inStine im Unterschied zuIrrungen, Wirrungen infolge der Konventionalisierung der Beziehungen zwischen adligen Suitiers und Kleinbürgerinnen und in­folge der Schwäche Waldemars und Stines die Landpartie und der Aus­bruchsversuch in die Idylle fehlen. Herausgehoben seien auch die Aus­führungen über dienobilitierende Sprachbehandlung (S. 154 f.) als Mittel zur humoristisch-ironischen Enthüllung von Pseudobildung bzw. als Ausdruck ohnmächtiger Geistigkeit. Das Gespräch wird schließlich (auf S. 160) als das eigentlich Menschliche und Wirkliche in der Epik Fon­tanes eingeschätzt, demgrößere Verbindlichkeit zukommt als den Dingen und Konventionen.

Am Schlüsse des Fontane-Abschnittes wirdVerklärung durch Fontane alsWeg zur Wahrheitsfindung über die Darstellung des bloß Richtigen*

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