hinaus“ (S. 163) definiert. Die abschließende Gegenüberstellung beider Autoren betont, daß Gottfried Keller in „eher ,projektiver' Weise“ und Fontane in „eher ,simulativer‘ Weise“ (S. 170) zur realistischen Gestaltung von Zeit und Gesellschaft im künstlerischen Abbild beigetragen habe.
Das Verdienst von Hauschilds Arbeit liegt darin, daß sie durch die Untersuchung wirklichkeitshaltiger „Realitätspartikeln“ zur Konkretisierung und Differenzierung des Autoren- und auch des Realismus-Bildes beiträgt. Zugleich werden Gottfried Keller und Fontane in ihrer gesellschafts- und temperamentsbedingten Gegensätzlichkeit erfaßt. Die Konfrontation birgt aber auch typologische Gefahren-. Bei Fontane droht der Verfasserin durch die Betonung des Simulativen, Szenischen, Arrangementhaften und Multiperspektivischen (vgl. S. 107, 158, 167) die Gefahr der Unterschätzung der künstlerischen Subjektivität und der Dialektik zwischen Wirklichem und Möglichem. Auch zeigen sich Unsicherheiten bei der Distanzierung Fontanes von der Trivialiteratur (S. 98 f.). Die Fontane-Verfilmungen sind zu pauschal-negativ als auf das Handlungshafte konzentriert gesehen (S. 3, 99), was mindestens für den „Schritt vom Wege“ und für die Fernsehverfilmungen von „Mathilde Möhring“, „Stechlin“ und „Stine“ nicht zutrifft.
Es ist insgesamt eine mehr systematische als historische Arbeit. Systematisch wird der Gestaltung bestimmter Wirklichkeitselemente im Schaffen beider Autoren nachgeangen. Die Ergebnisse werden jedoch nur vereinzelt (S. 128, 143) mit der Entwicklung der Schriftsteller in Zusammenhang gebracht. Es fehlt ein bewußt historisierendes Kapitel innerhalb der jeweiligen Autorenanalyse. Grenzen in der Geschichtlichkeit offenbaren sich darüber hinaus in der Absage an die historischen Realismus-Kategorien (S. 170).
Anmerkungen
1 „Reichsunmittelbarkeit der Poesie“ bedeutet das Bekenntnis zu bejahender, verklärender Poesie. Gottfried Keller verkörpert wohl am ehesten den seltenen Fall realistischer hochbürgerlicher, bejahender bürgerlicher Dichtung, den Fall der Apologetik mit gutem Gewissen. Der Festdichter Gottfried Keller stellt gleichsam den erfüllten bürgerlichen Augenblick zwischen gesellschaftlichem Auf- und Abstieg dar, dessen Vergänglichkeit er als nichthistorischer Materialist und als Raumdichter einer relativ geschlossenen Gesellschaft nicht wahrhaben wollte. Aus dieser Situation erklären sich im Falle Kellers die literaturgeschichtlichen Einordnungsschwierigkeiten zwischen Vor- und Nachmärz, zwischen klassischem Realismus, bürgerlichem Realismus und kritischem Realismus.
Zum kritischen Realisten wurde der zum hochbürgerlichen Realisten prädestinierte Gottfried Keller gleichsam wider Willen, ähnlich wie Theodor Storm. der am 24. Dez. 1883 an Paul Heyse über sich selbst schrieb: „Ich kämpfe jetzt selbst mit solchem Zu-deutlich-werden, zu direktem Losgehen; Du wirst demnächst schon Deinerseits sehen, wie ich unterliege, vielleicht ganz und gar.“ Theodor Storm vermochte infolge seiner stärker auf das einzelne Schicksal einfühlsam eingestellten literarischen Konzeption der weiteren gesellschaftlichen und literarischen Entwicklung eher zu folgen als der aufs Gesamte und Kollektive orientierte bürgerlich-demokratische Paraboliker Gottfried Keller, dessen novellistische menschliche Komödie in ihrer relativen menschlich-sozialen Homogenität und poetischen Plastizität vom Kapitalismus der freien Konkurrenz regelrecht zersetzt wurde. —
Walter Hollerer sieht das geistig-methodische Profil Hans Mayers aus folgenden Schichten zusammengesetzt: 1. aus den „wohlausgebildeten Kastensystemen des Historismus“, aus der beispielhaften literatur- und kulturhistorischen Einordnungsfähigkeit, 2. aus dem Bekenntnis zur „Reichsunmittelbarkeit der Poesie“, zum einmalig Schönen des jeweiligen Kunstwerks als Kontrast zum literatur- und kulturhistorischen Relativismus (beispielhaft dafür Mayers schon 1930 getroffene
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