Die Eingliederung der traditionsreichen Weifenmonarchie in den preußischen Staat fand Fontanes Zustimmung, wenngleich ihn auch die rechtliche Problematik der Annexion nicht unberührt ließ. Zwar war er „weitab davon“, der „Politik des Erfolges ohne alle Bedenken zu huldigen“, dennoch folgte er — wie die Mehrzahl seiner Zeitgenossen — in der Einschätzung des Vorgangs der propagandistisch äußerst wirksamen Begründung Bismarcks, wonach die Aufhebung der Eigenstaatlichkeit Hannovers dem Wunsche der Deutschen nach nationaler Einheit entspräche. Neben dem Recht der Nation, letztere herbeizuführen, wog insbesondere der Grundsatz monarchistischer Legitimität vergleichsweise leicht.
Dennoch bezog Fontane hierzu in späteren Jahren differenziertere Standpunkte. Mitbedingt durch verschiedene, in seinen Augen höchst bedenkliche Handlungsweisen Bismarcks, dem er zunehmend kritisch gegenübertrat, wurden ihm Legitimität und Loyalität zu Größen, deren Wert nicht nach den jeweiligen Machtverhältnissen bemessen werden durfte. In einem Brief an Friedlaender (1890) galt ihm Deutschlands führender Staatsmann schließlich als der „größte Prinzipienverächter“, den es je gegeben habe. Ihn bedrückte nicht zuletzt die Rigorosität, mit welcher der Kanzler, oft unter Verletzung von Rechtsgrundsätzen, gegen jeden vorging, der ihm politisch unbequem war.
Dies mußte auch der exilierte König von Hannover erfahren, mit dessen Privatvermögen Bismarck jahrelang zum Teil erheblichen Mißbrauch trieb. Fontane hingegen vermochte zu keiner Zeit und aus keinem Anlaß Einrichtung und Handhabung des Weifenfonds mit seiner Auffassung von Rechtsstaatlichkeit zu vereinbaren 0 . Unmißverständlich zählte er diesen Rechtsbruch ebenso wie den Kulturkampf, einen weiteren bedenklichen Parforceritt des Kanzlers, zu den schlimmen Kapiteln Bismarckscher Politik.
Allerdings sah er sich dadurch nicht veranlaßt, den restaurativ-partikula- ristischen Tendenzen der an Lautstärke zunehmenden welfischen Bewegung, welche sich mit der Annexion Hannovers nicht abflnden wollte, auch nur das geringste Wohlwollen entgegenzubringen. Vielmehr wuchs seine Kritik, weil er an einen Erfolg der welflsch Gesonnenen nicht glaubte und ihm ihre Agitation daher als völlig sinnlos, mithin als Unruhe um der Unruhe wilien erschien. Gleichwohl gelangte er mehr und mehr zu der Auffassung, das Fortbestehen des Landes Hannover unter seiner angestammten Dynastie hätte sich sehr wohl mit der 1871 verwirklichten deutschen Einheit vertragen. Jetzt freilich — im Jahre 1892 — sei an eine Restaurierung des Weifenstaates nicht mehr zu denken.
Äußerungen wie diese müssen auf dem Hintergrund der veränderten Einstellung des Dichters gegenüber den nichtpreußischen Ländern im Reichsverband gesehen werden. Man wird sagen dürfen, daß er deren Vielfalt und Anderssein in dem nämlichen Maße entdeckte, in welchem seine Kritik an der inneren Struktur des preußischen Staatswesens zunahm, nachdem er bemerken mußte, wie sehr Berlin allenthalten das Borussen- tum förderte, statt seinen militärischen die so notwendigen moralischen Eroberungen und der äußeren die innere Reichsgründung folgen zu lassen.
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