Heft 
(1983) 35
Seite
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Er stellte schließlichRotspon und Onkel Bräsig höher als denganzen Borussismus, und sein Blick schärfte sich für geistige Signaturen wie etwa München und Weimar. So stimmte er, wenngleich unter ganz anderen Prämissen, Bismarck darin zu, daß es auch Lipper geben müsse. Der da­mals (1893) nur 1215 km' 2 große und lediglich 121 000 Einwohner zählende zweitkleinste Staat des Deutschen Reiches galt ihm als Teil des ..Farben­bunten, geeignet, dem vom so übermächtigen Preußen ausgehenden Sog zum Uniformen und Funktionsgerechten entgegenzuwirken und damit eine wesentliche humane Dimension zu bewahren. Auf der auch unter preu­ßischer Herrschaft unverändert hannoversch geprägten Insel Norderney, welcher das welfische Königshaus einst Prägung und Niveau gegeben hatte, mißfiel dem sensiblen Gast aus Berlin,Heil Dir im Siegerkranz zum hundersten Male am Tage geblasen zu hören.

So wenig die welfische Frage unter der Kanzlerschaft Bismarcks ja über seinen Sturz hinaus verstummen wollte, so wenig verlor Fontane diesen Problemkreis aus den Augen. Er ließ das Thema Hannover in seinem Alterswerk häufiger diskutieren, und zwar, wie H.-H. Reuter treffend be­merkt, mit feiner Ironie gegenüber einem partikularistischen Patriotismus, den schon der junge Apotheker 1848 bekämpft hatte, aber auch mit spür­baren Vorbehalten gegen den Rechtsbruch der preußischen Regierung unter dem Vorwand der Lösung der deutschen Frage. So z. B. inIrrun­gen, Wirrungen, wo er aus dem Munde des Schotten Mr. Armstrong jeden Unterschied zwischen Länderraub und Viehraub glatt verneinen und damit auf die Ereignisse von 1866 anspielen läßt.

Nicht anders als Käthe von Rienäcker während ihres kurzen Zwischen­aufenthaltes in der einstigen Weifenresidenz, so vermerkt Fontane in seinen Briefen mit Sorge die fortdauernde Abneigung breiter welfischer Bevölkerungskreise gegenüber allem Preußischen selbst mehr als zwanzig Jahre nach Langensalza.

InCecile spricht der Emeritus aus Braunschweig mit Blick auf den be­vorstehenden Thronwechsel in dem kleinen Herzogtum (1884), jenerletz­ten Scholle welfischer Erde, davon, daß es leichte und schwere Pietäten gebe, welche es im Zeitalter Bismarcks zu einem gefährlichen Evangelium machten, für dasHaus Welf in gleicher Weise einzutreten wie etwa für das nach wie vor in Anhalt regierende Haus Askanien 7 . Tatsächlich konnte damals nicht als opportun gelten, selbst in Braunschweig, mit den Ansprü­chen des Weifenhauses zu sympathisieren und sich damit vom Kanzler unter dieReichsfeinde einreihen zu lassen.

ImSchach von Wuthenow hat Fontane die welfische Frage abermals berührt, indem er der vor der Katastrophe des preußischen Staates bei Jena und Auerstedt (1806) spielenden historischen Erzählung zugleich eine aktuelle zeitgeschichtliche Dimension hinzufügt, welche das künftige Geschick Braunschweigs ebenso wie die 1866 vollzogene Annexion Han­novers mit ins Blickfeld treten läßt.

Neben solchen aktuellen politischen Akzenten waren es freilich vor allem Land und Leute zwischen Elbe, Weser und Ems, waren es die aus sächsi­schem und friesischem Stammestum hervorgegangenen Menschen, deren

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