Heft 
(1983) 35
Seite
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Eigenart und geschichtliche Wirksamkeit den Dichter ein Leben lang an­zogen. Denn soviel stand ihm unverrückbar fest, daßder niedersächsische Stamm: Altmärker, Halberstädter, Magdeburger, Hannoveraner, Braun­schweiger, Westphalen, Schleswig-Hosteiner, Hanseaten, Oldenburger, Ost­friesen ... allen andern Stämmen physisch und moralisch überlegen sei. Er sprach von derhistorischen Mission der Stämme zwischen Elbe, Weser und Ems und nannte ihre geschichtliche Leistungein richtiges erfreu­liches Beispiel von Ursache und Wirkung und ihren Lebensraum die Wiege jenes Angelsachsentums, dem die moderne Welt entsprossen ist 8 . An der Küste hin schmeckte ihm allesnach England, Skandinavien und Handel, in Brandenburg und Lausitz . .. nach Kiefer und Kaserne. Gleidiwohl hat er die von ihm so deutlich favorisierten Niedersachsen niemals etwa gänzlich unkritisch gesehen. Er verschwieg nicht, worin sie ihmwenig angenehm erschienen und wo sich neben ihreTugenden auch gewisseBedrüeklichkeiten stellten.

Aber die Hannoveraner sind feine Leute, so versichert Sander im Schach von Wuthenow.Ja, das sind sie, bestätigt Frau von Carayon und fügt hinzu:Vielleicht auch etwas hochmütig. Damit nicht genug. Fontane schrieb den Niedersachsen sogar einen gewissen Mangel an rech­ter Liebenswürdigkeit zu, welcher ihm freilich aufgewogen wurde durch deren unbestechliches Gefühl, Mut, Tapferkeit, Nüchternheit, Charakter­stärke, Klugheit und Anstelligkeit. Ebensowenig wie Bülow vermochte er an eineSpezialaufgabe Kalenbergs und der Lüneburger Heide zu glau­ben und tadelte den Hang zur Selbstgerechtigkeit, dennoch überwog bei ihm stets die positive Einschätzung alles Niedersächsischen, welche sich bisweilen sogar bis zur Huldigung steigern konnte.

Tatsächlich wuchsen dem Hohenzollernstaat von niedersächsischem Bo­den immer wieder hochqualifizierte Menschen (Hardenberg, Thaer, Scharnhorst, Windthorst, Miquel u. v. a.) zu, ein Zustrom, der sich nach 1866 dergestalt belebte, daß der Anspruch umgehen konnte, Hannover habe Preußen annektiert.

Kein Wunder, wenn Fontane seinem Besuch in der alten Weifenresidenz, welchen er auch schriftstellerisch zu nutzen gedachte, mit besonderen Er­wartungen entgegensah. Damals plante er eine Novelle unter dem Titel Eleonore (sie blieb Fragment), die im Hannover des letzten Weifen­königs Georgs V. spielen sollte 0 . Seiner Gewohnheit folgend, wollte er den künftigen Schauplatz um seinenLokalton befragen. Er schied von der Stadt mit unterschiedlichen Empfindungen. Wohl registrierte er deren kühle Vornehmheit, jedoch ließ ihn dasRaufgepuffte, die forcierte Neugotik, mit welcher sich Hannover im Zeitalter des Historismus zu schmücken begonnen hatte, zugleich auf Distanz gehen.

Fontane kam damals (1880) von Ostfriesland, wo er Archivstudien für das Hoppenrade-Kapitel (Wanderungen, Bd. V) betrieben und zugleich freundschaftliche Kontakte zu einer der ersten niedersächsischen Adels­familien (Inn- und Knyphausen) geknüpft hatte, welche sich durch zwei Sommeraufenthalte auf Norderney (1882 und 1883) und darüber hinaus fortsetzen sollten.

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