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Deutsche Noman-Sibliothek.
zwanzigjährigen Jugend!... Wenn die kleinen, flinken Hände etwas rasten, die munteren, netten Füßchen nicht weiter trippeln, das breite Sammetband auf dem Kopfe, welches eine Fülle dunkelblonden Haares zusammenhält, nicht unruhig hin und her schwankt — es gibt ein reizendes Bild.
Ein paar schlechte Witze, die nach Kaserne, Jockeyklub oder dem verdächtigen Parfüm jener Anekdoten duften, wie sie gegen Mitternacht in den Kneipen erzählt werden — manchem schnurrenden, näselnden Lieutenant schweben sie auf den Lippen. Angesichts der holdbestrickenden Weiblichkeit Kathi's wagt er jedoch nicht loszuschießen.
Eine nüancenreiche Karriere ist es, welche diese Karlsbader Mädchen a tu Kathi durchlaufen.
In früher Jugend, in der Zeit des Flügelkleides, sind sie Oblatenmädchen. Da lugen die blauen, treuherzigen Augen so vertrauensvoll in die Gesichter der Kurgäste, und wenn die kleinen Hände täglich dreißig Kreuzer verdienen, bilden sie sich ein, es sei ein Feiertag gewesen.
Darnach avancirt das Oblatenmädchen zur Brunnennymphe. Das sind schon sonnige Tage, besonders wenn mit dem Avancement auch eine kleine Verbesserung im Gehalt verbunden ist. Nun wird das liebe Berufsleben sogar durch eine Reihe funkelnder Freuden erhellt. Nicht selten findet sich ein reicher Pankce von jenseits des Ozeans, der dem ganzen Brunnen- müdchenschwarm ein Fest bei Pupp veranstaltet, ein Anderer läßt sie sämmtlich photographiren, ein Dritter kauft ihnen Kleidung . . .
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind. Aus der Brunnennymphe entpuppt sich das Kaffeemädchen. Jetzt ist sein Königreich im Pupp'schen Etablissement oder im Cafs Elefant. Jetzt weiß das holde Geschöpf bereits, daß das Wort Geld in der Geschichte des Lebens eine hochbedcutsame Nolle spielt. Dazu sind die hübschen Augen ausdrucksvoller, feuriger geworden. Ein frisches Roth haucht sich auf die Wangen. Die Lippen leuchten wie eine Erdbeere. Und die dunkelblonden Flechten! Versteht die Kleine vom ehemaligen Oblatenhandel vielleicht gar schon die hohen Künste der Koketterie? Bei Beobachtung des süßen Lächelns, des sanften Augenzwinkerns, des reizenden Schmollens möchte man es fast annehmen.
Da huscht sie anmuthblühend, traumverloren mit ein paar Journalen dahin — hopp, hopp, wie das springt! Ich glaube gar, die Lippen trällern ein Liedchen. Das paßt zu dem süßen Ahnen, welches in ihren Augen funkelt . . . Was mag sie in dem kleinen Herzen herumtragen? Wie da die Lebenslust so heiter pocht! . . .
Jetzt ist er für das Kaffeemädchcn gekommen, der gewisse Frühling, wie er für jedes Menschenherz einmal anbricht, mit seiner Blütenpracht, seiner beseligenden Glut, seinem wunderbaren Hoffen . .. Das Kaffeemüdchen liebt. Gott sei ihrer Seele gnädig!
Du meinst, daß er sie heirathet? Keine Idee. Die erste Liebe ist eben ein Regenbogen mit wunderherrlichem Farbenspiel, dessen Pracht nur zu bald zerstiebt — eine Sternschnuppe, die Durch den Himmel irrt, schön, glänzend, sprühend, aber von kurzer Dauer — ein prächtiges Juwel, das als süße Erinnerung für das spätere Leben funkelt.
Da kommt der Tag, wo er fortgeht, der treulose, kurgastliche Geliebte, weit, weit fort und das harrende Lieb im trauten Karlsbad vergißt. Das ist ein kritischer Zeitpunkt. Was thun, wenn sie sich plötzlich getäuscht, aus allen Himmeln verstoßen sieht? Wie dann in dem armen Herzen ein echtes Leid brennt! Wie das Gesicht erbleicht, die thrünendunklen Augen in die Leere starren!
Vielleicht reist sie gar mit hinaus in die weite Welt, weil ein biederer Goldonkel sie gern in seiner Nähe haben will. So schlendert sie am Golf von Neapel oder auf dem Boulevard des Italiens in Paris oder an den Gestaden der Nordsee in Norderney.
Aber ihrem Karlsbad wird sie deßhalb nicht untreu. Ehe zwei bis drei Jahre vergehen, ist sie wieder da, wird noch vier bis fünf Jahre älter, heirathet einen Schuster oder Schneider und etabtirt später zur Erhaltung ihrer zahlreichen Familie in der Pupp'schen Alles jene bekannte Vorrichtung mit der Aufschrift: „Hier kann man sich wägen lassen."
Mit dem Frühstück ist freilich die Liste der materiellen Genüsse des Kurgastes so gut wie erschöpft. Was nun folgt, sind Akte der Selbstentsagung. Ihr wißt, was zu einem guten Gastmahl gehört:
Ein freundlich Gesichte,
Viel gute Gerichte,
Weine von Gewichte,
Eine schöne Nichte,
Eine tustige Geschichte,
Hübsch hell und lichte,
Beim Sitzen nicht so dichte.
Zuletzt eine gute Versuchte.
Ach, dieses Rezept, so weit es sich auf die Eß- und Trinkfrage bezieht, ist von den drakonischen Gesetzen der Brunnen- diät auf's Schaurigste verändert und reduzirt. Hier, nach dem großen Karneval des Lebens, werden die großen Fasten gehalten, gilt es, sich zu kasteien, der Enthaltsamkeit zu huldigen, Buße zu thun.
Fürwahr, wenn man die Masse der keuchenden menschlichen Centner, der vielen wandelnden Vorgebirge betrachtet, erkennt man erst, wie viel gesündigt werden kann.
Halt, da trabt Einer daher, der für unsere Studie vortrefflich paßt.
Denkt euch einen kühn gerundeten, weitbogigen Bauch, daran, gleich zwei Tangenten an einem Kreise, rechts und links ein Paar Arme, darüber ein dickes Gesicht, eine parodi- stische Ausgabe des Unterkörpers en rniniaturs. Wenn diese menschgewordene Geometrie, dieses bei der leichten Kavallerie absolut nicht verwendbare Kurgästchen sich bewegt, so ist eS ein balancirendes Watscheln, wenn er niest, schreckt jeder Sperling vom Fenstersims empor, sich einbildend, das Leben vor einem Schuß gerettet zu haben. Wenn er athmet, äußert er einen solchen Aufwand von Lungcnkraft, daß damit auf der Stelle ein ganzer Kronleuchter ausgepustet werden könnte. Sobald er durch ein Zimmer schreitet, so knarren die Dielen, als beklagten sie sich ob dieser Mißhandlung, und die Nippsachen berühren sich mit den Köpfen, kichern und lärmen, als wollten sie ob des Erstaunens über diese voluminöse Erscheinung nicht müde werden. Wenn ihm etwas herunterfällt, so läßt er es hübsch liegen. Ihr glaubt Wohl, das Bücken ist ein Kinderspiel!
Das ist Einer, der daheim den tiefen Sinn des Wörtchens „essen" einmal gründlich erfaßte. Das dokumcntirt er auch hier am Mittagstisch, seinem Altar.
Er rückt vorerst zwei Stühle aneinander, wohl erwägend, wie viel auf deren solide Tragfähigkeit ankommt, und setzt sich nach Erlangung eines günstigen Resultates augenblicklich nieder, wenn auch die beiden unglücklichen Möbel in dumpfem Schmerze stöhnen, als wären ihnen tausend Nippen gebrochen worden, oder sich geberden, als seien sie die beklagenswerthesten Stühle des ganzen Erdballs.
Jetzt beginnt das Studium der Speisekarte. Das ist ein weihevoller Moment, eine Art Aufwand von geistiger Thätig- keit. Es liegt eben System, Methode, wenn ihr wollt, Melodie in der Auswahl unseres Hungrigen. Eine Masse Reminiscenzen an frühere Festgelage müssen ihm dabei behülslich sein. Er läßt alle Speisen, welche bei ihm in großem Ansehen stehen, Revue passiren. Was wollt ihr? Leute, welche das Essen künstlerisch betreiben, machen das so. Würzige Bratensaucen, die durch allerhand Zuthaten in den Adclstand erhoben wurden, wcißköpfige Champagnerflaschen, goldfunkelnder Wein im schlanken Glase, — das blinzelt wie ein neckischer Gruß aus der Erinnerung herüber; denn ein Schauerwort taucht vor ihm wie Banquo's Geist auf — das Schauerwort „kurgemüß".
Fahr' wohl, du Esterhazyrostbraten, du Gansbraten mit Sellerie und 8aräin68 cts Xanles, du perlender Champagner — es hat nicht sollen sein.
O dieses „Kurgemäß!"
Was ist von wohlwollenden Menschen nicht schon über dieses allgemein anerkannte Gesetz, um das sich hier Alles wie um einen Angelpunkt dreht, skandalirt und geschrieben worden! Nimmt man aus der Straße einen rascheren Schritt an, so heißt es sofort, das ist nicht „kurgemäß"; wird man in einer Debatte über Frauen etwas wärmer, so schweigt plötzlich der Partner mit seinen Argumenten, weil das nicht „kurgemäß"; hat man einen kleinen Anfall von Lüdcrlichkeit und möchte Abends im Restaurant noch ein wenig länger kampiren, so sieht man sich vereinsamt, weil das nicht „kurgemäß".
Doch wunderbar — der Mensch lebt sich nach und nach hinein in diesen immer erträglicher werdenden Zwang. Und scheidet er endlich, so zieht Wohl in sein Herz etwas von jenem süßen Weh, das man Heimweh nennt — Heimweh nach dem lieben Karlsbad.
Redaktion: kör. Edmund Zoller. — Druck und Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt (vormals Eduard Hallberger) in Stuttgart.