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Deutsche Noman-Sibliothek.
vorhanden sei, mit dieser Gedankenoperation aufzuhören, und so war das erste Erfassen des Unendlichkeitsbegriffes geschehen.
Das Verständnis; von der erhabenen Unwandelbarkeit der Weltordnung, von der untrüglichen Festigkeit der Naturgesetze, hätten wir wohl auch nie erlangt, wenn wir nicht gelernt hätten, mit unseren Zirkeln und mit unseren Meß- und Wäg- instrumentcn die uns umgebenden Erscheinungen auf ihre nimmerschwankcndc Zahlensicherheit zu prüfen. Welch' einen Einblick in die Oekonomie der'Natur danken wir allenthalben den geziffcrten Beobachtungen; welch' komplizirte Genauigkeit in der Anordnung alles Seins haben wir so bewundern gelernt ; welche Großartigkeit in der Anhäufung der hohen Zahlen und in der Bruchtheilung der Einheit!
Betrachten wir einige bezifferte Beispiele:
Ein Waizenkorn trägt 10 Aehren; eine Aehre gibt 80 Körner; in der zweiten Ernte 640,000, in der dritten 512 Millionen und in der vierten 4 Milliarden Körner. Was ist aber diese Fruchtbarkeit im Verhältniß zu den Mohnpflanzen, welche 32,000, oder den Tabakpflanzen, welche 360,000 Körner tragen? Dieß der Neichthum in den Vermehrungsproportionen der Natur. Weitere Zahlengcschichtchen: die Sporen der Kryptogamen sind zu Tausenden in Saftbläschen enthalten, welche so klein sind, daß erst mehrere Hundert davon die Größe eines Stecknadelkopfes betragen. Ein Zellengewebe kann sich in einer Minute zu 60 Millionen vervielfältigen. 47 Millionen Koralleninfusorien wiegen 1 Gran. Von den rothen Algen, welche ani Meere lange Strecken roth färben, gehen 40,000 auf einen Millimeter. Das über die ganze Erde verbreitete Eruptivgestein der mittcltertiärcn Zeit weist Basalte auf, welche, nach Fischer's Berechnung, 350 Millionen Jahre zum Abkühlen gebraucht haben. Der Kern der Kometen, welcher der kompakteste Theil daran ist, ist nur neunmal dichter als die Luft, die in unseren ausgeschöpften Luftpumpen zurückbleibt; der Kometenschweif aber hat eine noch 10 Billionen mal geringere Dichtigkeit. Ueberall, wo wir nachrechnen, unglaubliche Zahlen! Was wir immer messen, ob Großes, ob Kleines; ob Ausdehnung, Dichtigkeit, Dauer, Akkumulation, Notation, Vibration, — immer Wunderbares!
Auf dieses mächtige Gedankenwerkzeug, genannt die Zahl, sind die herrlichsten Entdeckungen des menschlichen Geistes zurück- zusühren. Mittelst eines imaginären Liniennetzes, das wir über unfern Globus gebreitet, mittelst eines in Grade ein- gctheilten Meridians können wir uns auf allen Punkten der Erde orientiren; mittelst Graden und Winkeln, die wir am Lichtstrahl messen, haben wir unsere Sonde sogar in jene anderen Welten geworfen, die dem rechnungsunfähigen Blicke wohl nur wie flimmernder Aufputz des Himmelsplafonds erscheinen, die aber dem zahlenbeherrschenden Geist eine solche Reihe von Wundern erschließen, daß er von Andacht durchschauert wird. Wenn man überdenkt, daß jene bleichleuchtenden Nebel Myriaden von Sternen sind; wenn man die Millionen von Erdweiten berechnet, durch welche das Licht im Aether zittert, um uns Kunde von Sonnen zu bringen, welche so und so viel mal größer als unsere Sonne sind, deren ganzes System nur ein Musterbildchcn ist von den anderen, in der Milchstraße aneinandergercihten Weltsystemen ... Wenn man solche Gedanken geblendet, begeistert, bewunderungsschwindelnd zu fassen versucht, so heißt das wohl mit Zahlen beten!
Der Zifferweisheit danken wir die Erkenntniß vom berühmten Gesetze der „großen Zahl", welches bei Ueberzählung von Thatsachen eine stets wiederkehrende Durchschnittssicherheit aufweist, und uns so auf die scheinbar verwickeltsten Fragen klare Antwort gibt. Wenn wir nach Grundsätzen handeln, so thun wir dieß nicht nur aus moralischem Gefühle, sondern wir folgen klugermaßen den Maximen, welche sich sozusagen als ein Durchschnittsergebniß der gesammelten Menschheitserfahrungen unbewußt ergeben haben. Die Ausnahmen, das
heißt die schwankenden kleinen Zahlen zeigen gar oft, daß gewisse Grundsätze unbewährt bleiben, daß trotz des bekannten „Ehrlich währt am längsten" dennoch manche Betrüger floriren; daß Lotteriespieler ein Vermögen gewinnen, daß Traviatas von Fürsten geheirathet werden; aber die große Zahl zeigt doch, daß die grundsätzlichen Ansichten im Rechte sind: daß der Betrüger zu Schaden kommt, der Spieler zu Grunde geht, die Traviata im Spitale stirbt.
Was gibt es wohl auf dieser Welt, das sich nicht beziffern ließe? Die^ Wallung des Gefühls? Der Pulsometer kann genau die «schlage zählen, die das von Haß, Liebe oder Furcht bewegte Herz in der Minute pocht. Die Effekte der Kunst? Hier ist die Zahl erst recht im Spiele. Was ist Harmonie Anderes als Zahlenverhältniß? Wenn unter den Tausenden von Schwingungen eines wohlklingenden Akkordes nur einige fehlen würden, so wäre der Akkord schon falsch. Eine aufgelöste Dissonanz, die beruhigend oder entzückend unserem Sinne schmeichelt, ist weiter nichts als — nach momentanem Rückhalt — das Eintreten der richtigen Schwingungszahl; der befriedigende Dreiklang am Schluffe eines Stückes ist sozusagen die Summenziffer der in den letzten Takten enthaltenen Additionskolonne. Jeder Wohlklang der Intervalle beruht auf Uebereinstimmung der Zahl. Unbewußt ist die Musik eine Rechnerin mit Tönen. Und die Schwestcrkunst Malerei — könnte sie wohl der Zahl entrathen? Sind die Prismenfarben nicht gleich den schwingenden Tönen gezählt, — ist Perspektive nicht strengstes geometrisches Verhältniß? Und die Dichtkunst, wird sie nicht vom Rhythmus getragen? Und die Anmuth der Tanzbewegungen, die Schönheit der architektonischen und skulpturalen Werke — beruht sie nicht auf Linienharmonie?
Die Natur geht überall nach mathematischen Regeln vor, in den elliptischen Kurven der Sternenpfade sowohl, als in der Bildung der Krystalle. Alle Formen der letzteren lassen sich auf Systeme von drei oder vier geraden Linien beziehen. Gewaltige und dabei haarspaltgenaue fehlerfreie Rechnungen füllen rings die Welt. Da, wo die Menschen jenen arithmetischen Mysterien auf die Spur kommen, wo es ihnen gelingt, jene Negelstrengc, jenes Ebenmaß, jenen Zahlcneinklang hcrauszufühlen, nachzurechnen oder nachzuahmen, da werden sie Weise, Gelehrte oder Künstler genannt.
Wofaik.
Doktor und Hctdmarschall. Blücher, welchen die Berliner Universität zum Doktor der Philosophie creirt hatte, war bei Fürst Hardenberg zur Tafel. Auch der derb-witzige Arzt Or. Heim war anwesend. Dieser ergriff das Glas und rief: „Es lebe der Doktor unter den Feldmarschällen, Fürst Blücher!" Der alte Vorwärts stand auf und antwortete lachend: „Es lebe der Feldmarschall unter den Doktors, Kollege Heim!"
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Auf den Kasus kommt rs au. Die Eitlen lieben den Nominativus, die Eheleute den Genetivus, die Armen den Dativus, die Advokaten den Akkusativus, die Verliebten den Vokativus, die Edelleute den Ablativus.
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Was man Alles liebt. Lehrerin (in der oberen Klasse eines Mädchenpensionates dozirend): Die Neigungen des Menschen wechseln vielfach mit seinem Lebensalter. Wenn man alt ist, liebt man die Ruhe, die Zurückgezogenheit, den Frieden, dagegen wenn man jung ist, liebt man — nun, Bertha? — Bertha: Den Lieutenant.
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Dio ünlino Nüllorstoolrtsi', clor Lolrroitmls, dis iUriso. Ga-'t. N. 2.
Redaktion: vr. Edmund Zoller. — Druck und Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt (vormals Eduard Hallbergcr) in Stuttgart.