Heft 
(1885) 51
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

Bettina barg das Antlitz auf dem über die Sopha- lehne gestreckten Arm; dann plötzlich strich sie, sich wieder aufrichtend, das Haar ans der Stirn.

Damals," rief sie mit rauher Stimme,als ich jenen Elenden liebte, war ich wie ein tolles Kind, das ein ganzes Haus in Brand steckt, wenn es seinen Willen nicht bekommt! Woher sollte ich wissen, was Vernunft ist! Hat man mich das jemals gelehrt? Du erinnerst Dich jener Nacht, in der wir zum ersten Mal mit einander plauderten. In Lumpen erzogen unter rohen Menschen, hörte ich die Reichen ver­unglimpfen und beneiden; es gab nichts Schlechtes, was ich nicht schon hätte mit anhören müssen; selbst der Knabe, mit dem ich aufwnchs, übte seine Roh­heiten an mir und verhöhnte mich, ich sei über vor­nehmer Leute Zaun in ihren Keller gefallen. Sie hätten wohl viel zu thun gehabt, die reichen Leute, die mich zu sich nahmen, um all' das Unkraut aus­zurotten, das während meiner ersten Kindheit in mir gewuchert. Frau von Schüller verstand das am wenigsten, sie ließ mich gewähren, wenn sie nur große Geschenke bekam, und Moralsprüche und Bibel- verse thaten es später noch weniger, am wenigsten aber eine Mutter, die mich, ihr Kind, verleugnete, während ich doch ihr Geheimniß errathen. Hätten auch sie mich gewähren lassen, ich wäre des Geigers Weib geworden, und was kümmerte es sie, was dar­nach geschehen wäre? An ihrem Tode bin ich nicht schuld, an dem seinigen vielleicht, aber nicht mit Absicht. Alles, was ich gethan habe, seit sie mich von ihm trennten, war Tollheit, ich weiß es, aber ich konnte nicht anders. Jetzt bin ich müde derselben; meine Nerven, die ich nie gekannt, sind wohl krank geworden, so sagte mir ein Arzt, dem ich klagte, meine Gedanken seien immer mit Gift beschäftigt, denn selbst die Speisen, die ich vor mir sehe, ekeln mich an; ich werde Hungers sterben, wenn es so fortgehe. Er nannte das eine fixe Idee, die von mir weichen werde, wenn ich engen Anschluß an Menschen suche, die mir sympathisch seien . ..

Aber wo finde ich sie!" rief sie verzagt.Ich bin in dieser Gesellschaft wie eine Wilde geblieben, die nicht versteht und nicht verstanden wird; die Männer verfolgen mich, weil ich allein und schutzlos, die Frauen blicken mich staunend und befremdet an, als könne ich ihnen etwas anthun, und dabei" sie preßte wiederum die Hände vor die Stirn diese ewige, verrückte Idee, die nicht von mir weicht. Lola," sie sprang auf und ergriff deren Hände, Du bist ja die Einzige, die mich verstehen könnte! Sag' Walbeck, es thue mir leid, ihn verletzt zu haben; er soll mich wenigstens nicht fliehen, nicht verachten, er soll es versuchen, er werde mich ganz anders finden als damals . .. Sieh' mich an, Lola, bin ich denn bei meiner Jugend nicht mehr schön, nicht mehr begehrenswerth?"

Lola's Angen hatten sich gefeuchtet; dieses sonst so stolze, trotzige, unbändige Weib, zwar bleich und abgehärmt, aber in der vollen Pracht ihrer Schönheit, verzweifelte an sich selber, es suchte nach Hülfe und Rettung gerade da, wo sie ihr kaum gewährt werden konnte.

Gewiß bist Du es und wohl mehr denn je!" tröstete sie.Walbeck hat Dir nie wirklich gezürnt, er wird Dir gern die Freundeshand reichen, aber..." Sie stockte...Nicht wahr," setzte sie verzagt, un­ruhig hinzu,Du verlangst nicht mehr, denn .. ."

DiesesNicht mehr" übte die Wirkung eines elektri­schen Schlages auf Bettina. Regungslos starrte sie Lola an; ein Zittern lief durch ihre Glieder; sie hob die Arme, trat zu der vor ihr furchtsam Zurückweichenden und legte die Hände auf ihre Schultern.

Nicht mehr!" Ein Blitz aus ihren Augen zer­schmetterte die Geistesgegenwart Lola's, die sie diesem auflodernden Sturm gegenüber zu behaupten gesucht. Begehrst Du etwa dieses Mehr? Hatte ich nicht Recht... Wage, zu leugnen! Ich sagt' es Dir: Du... Du... Und ich Närrin, ich kam noch zu Dir, mit der ich Unglück gehabt, seit ich Dich kennen gelernt; Du hast mich schon einmal verrathen, Du sollst es nicht zum zweiten Mal! Vergiß, was ich Dir sagte. .. Schwörst Du mir, es zu vergessen?" Sie preßte Lola's Hand, daß sie schmerzte.

Aber Bettina!" Die Lippen des Mädchens waren farblos.Du bist wieder toll ... Begehrte ich denn Dein Vertrauen? Gönne mir endlich die Ruhe, die ich hatte, ehe Du..."

Ja, ich bin wieder toll! Hab' ich das ge­leugnet? Ich bin es längst! Wäre ich sonst so elend? Glaubst Du nicht, man müsse verrückt werden, wenn man ewig so allein ist?"

Warum bist Du es?"

Warum . . . Warum!" Bettina preßte ihre Schläfen.Weiß ich denn, warum ich die Ueber- zeugung habe, daß alle Menschen mir übel wollen und mich verfolgen? Aber auch daran bist Du schuld! Du sagtest mir: ,Jch möchte Dein Gewissen nicht haben .. ? Warum sagtest Du es? ... Als ich vor einigen Tagen in der Oper saß und bei dem Banket der Borgia sie Alle zu der Lucretia traten und sie anklagten, mußte ich hinaus, ich konnt's in der Loge nicht aushalten... Warum? Was Hab' ich gethan... Weßhalb möchtest Du mein Gewissen nicht haben? Ich wollt' es längst von Dir hören!"

Lola verstand sie. Die inneren Vorwürfe machten die Arme ruhelos. Mitfühlend bat sie:

Beruhige Dich, Bettina! Du gabst meinen Worten einen falschen Sinn! Gönne mir nur kurze Frist, ich stehe vor dem Tage, der über meine Zu­kunft entscheiden soll. Darnach wollen wir zusammen plaudern, ich werde Zeit und Gedanken für Dich haben!"

Bettina war auf einen Sessel gesunken; die Hände auf den Knieen, vor sich niederschauend, hatte sie Lola angehört. Ihre Worte schienen beruhigend auf sie zu wirken. Sie erhob sich langsam, gelassener; dann aber plötzlich, als sie Lola in's Gesicht schaute, kehrte ihr Mißtrauen wieder. Sie zog die Hand zurück, die sie ihr reichen wollte, wandte sich mit einem Ausdruck fast des Abscheus von ihr und eilte hinaus.

Sie ist unverbesserlich... Ich will nicht an sie denken..."

(Schluß folgt.)

Redaktion^ I)r, Edmund Zoller. Druck und Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt (vormals Eduard Hallberger) in Stuttgart.