Heft 
(1885) 51
Seite
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Die tolle Setty von Hans Wachenhusen.

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Hättest Du es gekonnt, wenn Du einen Andern liebtest?" herrschte sie Lola an.

Nein, aber so unverständig und unreif ich auch damals gewesen, ich glaube doch, daß ich den Rechten von Beiden geliebt hätte!"

Mach* mich nicht heftig, Lola! Du weißt, daß ich damals den ... Andern liebte und mit einer wahren Tollheit liebte, denn ich kann nicht anders lieben ... Du sprichst mit einer Unvernunft, die nicht zu verzeihen!"

So laß uns abbrechen, wenn Du glaubst, daß ich auch heute die Unvernünftige sei!" Lola sprach ge­lassen, aber mit Ueberdruß und wollte sich abwenden.

Nein, ich will mit Dir reden! Ich bin deß- halb gekommen! Du sollst hören, wie vernünftig ich spreche!" Sie warf sich auf die Causeuse zurück. Ich weiß nicht, was es in mir ist, warum ich mich für keinen der Männer interessiren kann, die mich überall mit ihrer Aufmerksamkeit verfolgen und mich zur Einsamkeit zwingen. Es ist auch nicht wahr, wenn Du glaubst, ich liebe.. . Jenen noch, denn ich hasse ihn, ich wüßte nicht, zu was ich im Stande wäre, wenn ich ihm wieder begegnete! Ich bin ja nicht mehr die Närrin, die in ihm ihre ganze Welt sah! Mein Herz pocht mir oft mitten in der Nacht mit einer Gewalt, daß es mir die Brust sprengen möchte, wenn ich denke, was Alles ich um seinet­willen zu thun im Stande gewesen, und dann kom­men auch die Beiden mir vor die Augen, die so schnell in's Grab getragen werden mußten, und gerade sie ruft mir immer seinen Namen und sagt: ,Du wirst nicht eher ruhig werden, bis Du wieder gut gemacht, was ich für Dein Glück gehalten?"

Sie verhüllte das Antlitz; Lola glaubte, sie weine, aber plötzlich schaute Bettina wieder auf.

Du kannst Walbeck sagen, warum ich ihn damals habe verabscheuen müssen, so verabscheuen, daß mir sein Anblick selbst unerträglich..."

Darf ich Dich mit einem Wort unterbrechend" fragte Lola, als Bettina stockte.Als ich Dich nach dem Schluß der Oper sah, sagte ich mir unwill­kürlich: ,Wenn sie Walbeck früher nur ein einziges Mal dieses einen Blickes gewürdigt hätte!'"

Bettina fuhr auf.

Welchen Blickes?" rief sie entrüstet.

Nun, Du sähest, Du bemerktest ihn eben, was Du früher nicht gethan."

Wozu die Worte! Bist Du bereit also, ihm zu sagen..."

Du setzest mich in Verlegenheit! Walbeck ist vielleicht nicht mehr hier!"

Bettina erschrak heimlich, ihre Hand preßte krampf­haft das Taschentuch, ihre Lippen schlossen sich fest.

Ich sah ihn gestern noch ... nur durch Zufall, ganz flüchtig!"

Ich verstehe!" flüsterte Lola unhörbar vor sich hin, während ihr Blick mitleidig auf ihr ruhte.

Walbeck wird wohl nur wenige Tage hier ver­weilen, seine Geschäfte rufen ihn fort. Mein Bruder Egon, dem er eine Existenz bereitet, weiß nicht genug des Rühmens von ihm; er soll daheim als Ingenieur an großartigen Unternehmungen betheiligt sein, die seine ganze Zeit ausfüllen."

Bettina versank in sich; ihre Augen blieben ge­senkt, ihre Hände bewegten nervös das Taschentuch im Schooß.

Du sagst also, er sei glücklich?" fragte sie endlich dumpf und mit sichtbarem Beben um die Mundwinkel. Es war ihr nie in den Sinn ge­kommen, daß auch Andere das Recht hatten, glücklich sein zu wollen.

Ein Mann wie er, kraftvoll, schön, talentvoll, gesucht von der Welt! Ich hörte ihn kürzlich sagen, das Mißgeschick sei ja der beste Führer auf dem Weg des Glücks, wenn man diesen selbst nicht zu finden verstanden. Auch Du, Bettina, wirst diesen Weg ja finden; was Du mir sprachst, ist wohl schon ein Schritt auf diesem Weg."

Ich wußte, daß ich bei Dir keine hülfreiche Hand finden werde!" sprach Bettina muthlos.Worte... Redensarten... sie sind Dir so wohlfeil, feit Du Dich selbst wenigstens glücklich zu fühlen scheinst."

So sprich deutlich: was begehrst Du von mir? Nicht wahr, Du lerntest endlich einsehen, daß Du Unrecht gegen Walbeck und Dich selbst gethan? Du willst, daß ich.. ." Lola stand fragend vor ihr.

Foltere mich nicht!" rief Bettina, die Arme erhebend.Du willst das Wort aus mir Heraus­pressen zu meiner Demüthignng! Es ist Dir eine Genugthuung, mich elend zu sehen! Du, die damals in dem einsamen Wirthshause Zeugin gewesen, wie ich ihn von mir gestoßen, als er mit Gewalt seine Rechte über mich geltend machen wollte, Du möchtest Dir die Freude bereiten, auch zu sehen, wie ich zu seinen Füßen um Gnade und Verzeihung winselte!"

Sie erhob sich, ihre Zähne knirschten auf einander, ihre Wildheit, ihre Heftigkeit kämpften mit einem Verlangen, das, seit sie Walbeck wieder gesehen und täglich wieder zu sehen gesucht, zu einer unbezähm­baren Gewalt in ihr gewachsen.

Verlaß Dich darauf," rief sie außer sich,ich werde es Dir nie verzeihen, daß Du mich wie eine Bittende vor Dir stehen läßt, zu der ich kommen mußte, weil... Mein Gott, mein Gott!" Sie preßte die Hände gegen die Stirn und wand sich unter dieser Gewalt, gegen die ihr Stolz noch immer sich bäumte.Mußt Du denn das Geständniß mir ab­zwingen, daß, seit ich ihn wieder gesehen, mich Tag und Nacht die Vorstellung verfolgt, als könne nur er den Fluch von mir nehmen, der nicht von mir weichen will und mich endlich zu einer That des Wahnsinns treiben kann! Glaube nicht, ich liebe ihn! O nein, ich bin zu stolz zu einer solchen Schwäche, aber ... gerade seine Gegenwart war mir sonst eine Qual und jetzt ist es, als rufe es in mir nach ihm . . . nicht weil ich ihn liebe, nein, nie. . . Es ist mein verrücktes Gehirn, nicht das Herz, denn das ist ausgebrannt, ein Aschenherd; ich selbst habe mich bemüht, es todt zu machen; mein Haß ist ein glühend Eisen, unter dem es verkohlte... Aber Ruhe will ich haben vor meinen Nächten; mein Ge- müth ist vergiftet... O Gott, weiß ich denn selber, was es ist, das seit Kurzem Nachts wie Irrwische um mich her tanzt! Nur, wenn ich im Geiste seine Hand ergreife und mich an sie klammere, dann er­löschen sie!"