Heft 
(1984) 37
Seite
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Theodor Fontane und Wilhelm Bölsche Eine Dokumentation

Herausgegeben und kommentiert von Helmut Richter (Berlin)

Hans-Heinrich Reuter hat wiederholt nachdrücklich auf den hohen Rang der kritischen und essayistischen Arbeiten Wilhelm Bölsches (18611939) über Fontane hingewiesen und gleichzeitig mit Bedauern festgestellt, daß sich in den Werken und den bisher publizierten Briefen Fontanes nur eine einzige Erwähnung Bölsches findet. 1 Einige unveröffentlichte Briefe Fon­tanes, die im folgenden mit der freundlichen Erlaubnis der Bibliothek der Boleslav-Bierut-Universität Wroclaw vorgestellt werden können, erhellen nunmehr Fontanes Stellung zu seinem Rezensenten Bölsche einem der kundigsten Beobachter und Teilhaber der naturalistischen Literatur­bewegung 2 und ergänzen die Darstellung, die Bölsche 1898 in seinen stark autobiographischenAphorismen über Fontane gegeben hat, in authen­tischer Weise. Damit wird eine schon wegen der gegenwärtig nicht zu beantwortenden Frage nach eventuellen Gegenbriefen Bölsches erste und vorläufige Dokumentation der literarischen Beziehungen zwischen diesen beiden Repräsentanten des literarischen Lebens um 1890 möglich. Ihr lite­rarhistorischer Wert wie ihr persönlicher Reiz ergeben sich aus diesem Rang der Autoren und ihrer engagierten, sich einfühlsam auf den Partner einstellenden und doch die Eigenständigkeit des Schreibers unübersehbar wahrenden Schreibweise; darüber hinaus bietet sie neue, wenngleich in erster Linie ergänzende, nicht überraschende Aussagen zu Problemkreisen, die wie Fontanes Stellung zu Preußen und die ästhetisch-poetologischen Auffassungen des Dichters nach wie vor zentrale Themen der Diskussion sind, so daß es weder notwendig noch aus Gründen des Umfangs möglich ist, im Rahmen einer solchen Dokumentation auch die umfassende Ein­ordnung und kritische Wertung der Texte zu versuchen. Zugleich rücken die Dokumente ein anderes Mal die Notwendigkeit ins Bewußtsein, sich auch solchen weniger oder noch gar nicht untersuchten Schaffensgebieten Fontanes zuzuwenden wie seiner Lyrik und den Kriegsbüchern.

Ein überraschender Kenntniszuwachs fehlt dennoch nicht: Er ergibt sich aus den Belegen dafür, daß Wilhelm Bölsches teilnehmendes und scharf­sichtiges Interesse an Fontane bereits durch seinen Vater Karl Bölsche (18131891) vorbereitet worden war, der schon um 1870 offenbar mehrere publizistische Werke Fontanes besprochen und ihn auch um sein Urteil über das Manuskript der Dichtung eines ungenannt, bleibenden, kaum mehr zu erschließenden Autors gebeten hatte. Den ersten brieflichen Kontakt zwischen Fontane und Wilhelm Bölsche brachte dessen kritische Würdigung der 3. Auflage derGedichte Fontanes anläßlich des 70. Geburtstages ihres Verfassers zustande, die etwa gleichzeitig im Januar 1890 in einer Sammel­rezension derDeutschen Rundschau und in erweiterter Form in dem AufsatzTheodor Fontane als Lyriker (Die Gegenwart vom 4. 1. 1890) erschienen war. Nachdem Bölsche schon 1898 Fontanes briefliche Stellung­nahme zu seiner Rezension des RomansQuitt in derDeutschen Rund-

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