Heft 
(1890) 06
Seite
96
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wollte, dann konnte jader andere^ bleiben und die Leute weiter quälen. Nein, er durfte nicht gehen! Wenn erging, war alles umsonst gewesen. So sann er auf seinem Wege hin und her, und als er bis Johannisbad gekommen war, war er entschlossen, den Weitermarsch bis Trautenau aufzugeben und in seine Wolfshauer Stellmacherei zurückzukehren. Es zog ihn mit einemmal wieder heim und ein seltsames Verlangen regte sich in ihm, Zeuge zu sein, wie nun alles kommen werde.

^ *

Der Abstieg war bequem gewesen, jetzt aber ging es wieder steil bergan und von Bequemlichkeit war keine Rede mehr. In­dessen er war ein guter Steiger und schon um Vier war er wieder auf dem Koppenkamm und um Sechs in Wolfshau.

Die Mutter, die die Siebenhaarsche Predigt unten in Arns­dorf nicht versäumt hatte, stand am Herd und hielt just einen Bunzlauer Kaffeetopf und ein Stück Streußelkuchen in Händen, als Lehnert unter Kopfnicken eintrat.

Guten Tag, Mutter!"

Tag, Lehnert!"

Weiter nichts, Mutter? Du bist doch sonst nicht so kurz. Nichts Neues? Nichts vorgefallen? Keine Menschenseele da­gewesen? Der Streußel da kann doch nicht durch den Schorn­stein gekommen sein, wie der Klapperstorch oder der Gottseibeiuns."

Ach, rede doch nicht von dem, der kommt doch, der kommt auch so."

Durch die Thür, meinst Du?"

Sie nickte, that einen Zug und starrte dann wieder schweigend vor sich hin, ohne Lehnert anzusehen. Der schwieg auch. Endlich sagte sie:Opitz ist noch nicht da."

So?"

Die Frau war hier und weinte."

Warum?"

Weil sie glaubt, daß ihm was passirt sein könne."

Lehnert lachte.Dann muß eine Förstersfrau jeden Tag weinen."

Und dann fragte sie nach Dir . . ."

So, so. Und was sagtest Du?"

Daß Du nach dem ,Waldhaus' gewollt hättest und vom Waldhaus nach Arnsdorf. . . vielleicht von wegen dem Has . . . zum Grafen. Aber ich wüßll es nicht genau."

Das ist recht, Mutter, daß Du das gesagt hast, daß Du gesagt hast, Du wüßtest es nicht genau. Das ist immer das beste, das mußt Du immer sagen. Und nun gieb mir einen Schluck von dem Kaffee da. Nein, laß lieber, ein Teller Milch ist mir besser. Ich bin verhungert und verdurstet. Seit heute früh keinen Bissen und keinen Tropfen."

Beide standen auf, Lehnert um sich umzuziehen und die Gamaschen abzuthun, die Mutter, um ihm die Milch zu holen, die nach Landesbrauch jn einer vom Ufer aus vorgebauten Steinhütte stand, durch welche die Lomnitz hindurch schoß und Kühle gab.

Als Lehnert wieder treppab kam, sah er, daß die Mutter ihm das Abendbrot vor dem Hause hergerichtet hatte, neben dem Rosenbusch, unter dessen überhängendem Gezweig er am liebsten saß. Drüben aber, in der Hausthür der Försterei, stand die gute Frau Opitz und sah abwechselnd nach dem Gehänge hinauf und dann wieder in die tiefroth untergehende Sonne.

Nicht hier, Mutter!"

Aber es ist doch Deine Lieblingsstelle!"

Ja, sonst. Aber heute nicht."

Und er hieß sie den Tisch mit anfassen und beide trugen ihn mit leichter Mühe durch den Flur, bis vor die Küchenthür. Da nahm er nun Platz und.

Als er damit geendigt hatte, stand er auf und ging wieder in die Vorderstube, in der jetzt völlige Dämmerung herrschte. Die Mutter war noch draußen, und so schritt er auf und ab und überlegte, was werden würde. Mit einemmal aber war es ihm, als würde die Klinke leis geöffnet und wieder ins Schloß ge­drückt, und als er sich umsah, sah er, daß Christine vor ihm stand.

Da, Lehnert!" Und sie hielt ihm bei diesen Worten ein nach Art eines amtlichen Schreibens zweimal zusammengefaltetes Papier hin. Als er es auseinandergeschlagen und, ans Fenster tretend, einen Blick hineingeworfen hatte, sah er, daß es der Bericht war, in dem Opitz seinen Strafantrag gestellt hatte.

Zerreiß' es!" sagte Christine.Ich Hab* es gefunden. Es lag auf seinem Schreibtisch."

Aber er wird es suchen, wenn er nach Hause . . . wenn er wieder kommt."

Er kommt nicht wieder."

Und damit war sie fort, und er sah nur, wie sie rasch über den Steg hinhuschte, wieder der Försterei zu.

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Er kommt nicht wieder," hatte Christine gesagt; sie konnte nicht wissen, was geschehen war, und sie wußt' es doch! Daß er von ihr nichts zu befürchten habe, das bewies das Papier, das er in Händen hielt, und doch könnt' er sich eines Gefühls banger Unruhe nicht entschlagen. Erst hatte die Mutter in An­deutungen gesprochen und nun Christine. Wenn er vor aller Welt der war, gegen den sich der Verdacht wie von selbst richten mußte, so war er verloren oder hatte doch auf lange hin einen schweren Stand. Er war müde von dem vielstündigen Bergauf und Bergab, aber seine Erregung war doch so stark, daß es ihn zu Hause nicht litt. Er mußte wieder hinaus, und die Frage war nur:wohin?"

Am nächsten lag ihm Vater Brauner, in dessen Ausschank Zur Rabenklippe" die Holzknechte zu verkehren und sich bei einer Stonsdorfer oder einem Ingwer gütlich zu thun pflegten; aber das war keine Gesellschaft, die heute für ihn paßte.Was macht Opitz?" oderist Opitz noch immer gut bei Wege?" Das waren Fragen, die sich hier in zurückliegender Zeit, und noch ganz vor kurzem, mehr als einmal und mitunter mit ganz be­sonderer Betonung an ihn gerichtet hatten, und er erschrak bei dem Gedanken, daß sie sich auch heute wieder an ihn richten könnten. Das sollte nicht sein, und so beschloß er denn, statt in dieRabenklippe" lieber ein Paar tausend Schritte weiter bis zu Exners in dieSchneekoppe" zu gehen und in der wohlbekannten niedrigen Gaststube mit Gebirgsführern und Sesselträgern oder vielleicht auch mit alten Kriegskameraden, was immer das beste war, eine Unterhaltung zu suchen. Denn er sehnte sich danach, eine Stimme außer feiner eigenen zu hören und von seiner Unruhe loszukommen. Er griff denn auch bald nach seiner Soldatenmütze, die neben dem Gewehr und dem alten Kalender am Riegel hing, und schritt auf Krnmmhübel zu. Halben Weges zwischen Brücken­berg und der Obermühle trat er von dem tiefergelegenen Wolfshau her auf den eine lange Schräglinie bildenden Fahrweg und sah nun einerseits nach Kirche Wang hinauf und andererseits nach Dorf Krummhübel hinunter, dessen weiße Giebel, trotz der schon herrschenden Dämmerung, in aller Deutlichkeit aus den vereinzelten Baumgruppen hervorblinkten. Der am deutlichsten blinkende Giebel aber war der von ExnersSchneekoppe", und das Helle Licht, das er dicht über der Straße flimmern sah, kam aus eben der Gaststube, drin er sich gütlich thun und hören und sprechen und alles, was ihn quälte, nach Möglichkeit vergessen wollte. Zwischen ihm und Exner lag nur noch der Gerichtskretscham und das kleine katholische Kapellchen mit seinem Sparrenwerk und seinem roth- gestrichenen Dache.

Der Abend fiel rasch ein, und nur über Arnsdorf, tief unten im Thal, hing noch ein rothes Gewölk, vor dem der Schattenriß eines Kirchthurms aufragte. Rechts daneben zog sich ein langes schloßartiges, matt erleuchtetes Fabrikgebäude, dessen Fenster durch den Abendnebel hin gespenstisch flimmerten. Lehnert, der rüstig znschritt, schickte sich eben an, die Fenster des obersten Stocks zu zählen, als er heftig zusammenschrak. Auf dem Kapellchen, an da5 er bis auf fünfzig Schritt heran war, begann es eben zu läuten und die zwischen dem Sparrenwerk hängende Glocke klang mit ihrem dünnen Tone hell und scharf durch die Luft. Es war dasselbe Läuten, das gestern, bald nach seiner Rast am Quell, vom Thale her zu der Kammhöhe hinaufgedrungen war, und unwillkürlich hielt er an und suchte, während er sich rückwärts wandte, die Stelle, drauf er gestern um eben diese Stunde ge­standen hatte. Da war auch die Mondsichel wieder, und so schwach in diesem Augenblick ihr Licht war, so war es doch hell genug, den Weg amGehänge" hin deutlich zu zeigen, auf dem er gestern um fast dieselbe Zeit emporgestiegen war. Und dort war die Stelle, wo der Seitenpfad, an dem Brunnen vorüber, in scharfer Krümmung abbog, und er mühte sich, ob er die nach der