166
scheint die Sprache ganz und gar abhanden gekommen zu sein. Wie habt Ihr Euch denn eigentlich verlobt? Hat er wirklich,dabei gesprochen, oder hat das seine Frau Mama besorgt?"
„Laß doch die Possen!" versetzte Antonie unwillig. „Willy ist nur in Deiner Gegenwart so schweigsam, wenn wir allein sind, kann er recht mittheilsam sein."
„Ja, über die neue Dreschmaschine, die er sich augeschafft hat. Ich horchte nämlich vorhin bei meinem Kommen, ehe ich eintrat, da sang er das Lob der besagten Dreschmaschine und Du hörtest gauz andächtig zu. O, Ihr werdet als ein Musterehepaar auf der Burgsdorfschen Musterwirthschaft herrschen, aber — der Himmel bewahre mich gnädiglich vor solchem Eheglück!"
„Marietta, Du bist recht unartig," sagte die junge Baroneß, die jetzt wirklich ärgerlich wurde, aber in derselben Minute hing der kleine Uebermüth auch schon schmeichelnd an ihrem Halse.
„Nicht böse sein, Toni! Ich meine es ja nicht schlimm und gönne Dir Dein Glück von Herzen; aber siehst Du — mein Mann müßte doch etwas anders beschaffen sein."
„So, und wie denn?" fragte Toni halb schmollend und halb versöhnt durch die schmeichelnde Bitte.
„Erstens muß er nur unter meinem Pantoffel stehen, nicht unter dem seiner Mutter, zweitens muß er ein echter, rechter Mann sein, in dessen Schutz ich mich sicher fühle — das verträgt sich ganz gut mit einen: sanften Pantoffelregiment. Zu reden braucht er nicht viel, das besorge ich, aber er muß mich so lieb haben — so lieb, daß er weder nach Papa und Mama, noch nach seinen Gütern, noch nach der neuen Dreschmaschine fragt, sondern sie allesammt zum Kuckuck gehen läßt, wenn er mich nur hat!"
Toni zuckte mit mitleidiger Ueberlegenheit die Achseln.
„Du hast bisweilen noch recht kindische Ansichten, Marietta; aber nun wollen wir endlich von den Kleidern reden!"
„Ja, das wollen wir, sonst kommt Dein Bräutigam zurück und pflanzt sich wieder neben uns auf wie eine Schildwache. Er hat ein merkwürdiges Talent zun: Schildwachestehen. Also Du nimmst zu der blauen Seide —"
Die Toilettenfrage sollte auch diesmal nicht zur Erledigung kommen, denn soeben öffnete sich die Thür, Frau von Eschenhagen trat ein und rief ihre künftige Schwiegertochter ab, deren Gegenwart bei einer häuslichen Anordnung nothwendig war. Antonie erhob sich bereitwillig und verließ das Zimmer, Frau Regine machte aber keine Miene, ihr zu folgen, sondern ließ sich aus den leeren Platz am Fenster nieder.
Die regierende Herrin vor: Burgsdorf war nun einmal nicht diplomatisch angelegt wie ihr Bruder, sie mußte überall mit Gewaltmitteln eingreifen. Sie war ungeduldig geworden, denn Willy hatte so gut wie gar nichts berichtet, er wurde jedesmal roth und stotterte, wenn er wiederholen sollte, was die „Theaterprinzessin" denn eigentlich gesagt oder gethan Hatte , und seine Mutter, die nicht an ein harmloses Mädchengeplauder glauben wollte, beschloß daher, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Marietta hatte sich pflichtschuldigst erhoben bei dem Eintritt der älteren Dame, die sie bei ihrem ersten Besuche nur flüchtig gesehen und deren feindselige Haltung sie in der Freude des Wiedersehens gar nicht bemerkt hatte. Sie fand nur, daß Tonis künftige Schwiegermutter wenig Freundliches habe, und kümmerte sich nicht weiter um die gestrenge Frau, die sie jetzt mit einer wahren Richtermiene von oben bis unten musterte.
Im Grunde sah diese Marietta aus wie alle anderen jungen Mädchen, aber sie war hübsch, sehr hübsch — um so schlimmer! Sie trug das Haar in kurzen krausen Locken, das war unpassend! Die übrigen schlimmen Eigenschaften kamen sicher zum Vorschein in der Unterhaltung, die jetzt eingeleitet wurde.
„Sie sind mit der Braut meines Sohnes befreundet, mein Kind?"
„Jawohl, gnädige Frau/' war die unbefangene Antwort.
„Eine Jugendbekanntschaft, die noch aus der Kinderzeit stammt, wie ich höre. Sie wurden im Hause des Doktors Volkmar erzogen?"
„Gewiß, ich habe meine Eltern sehr früh verloren."
„Ganz recht, mein Schwager erzählte es nur. Und welchem Berufe gehörte Ihr Vater an?"
„Er war Arzt wie mein Großvater," versetzte Marietta, mehr belustigt als befremdet über dies Examen, dessen Zweck sie
! nicht errieth. „Auch meine Mutter war die Tochter eines Arztes, ! eine ganze medizinische Familie, nicht wahr? Nur ich bin aus ! der Art geschlagen."
! „Ja — leider!" sagte Frau von Eschenhagen mit Nachdruck. ! Das junge Mädchen sah sie verwundert an. Sollte das Scherz sein? Die Miene der Dame war aber durchaus nicht scherzhaft,
^ als sie fortfuhr: „Sie werden mir zugeben, mein Kind, daß, wenn man das Glück hat, aus einer achtbaren und ehrenwerthen Familie zu stammen, man sich dessen würdig zeigen muß. Sie hätten Ihren Beruf danach wählen sollen."
„Mein Gott, ich kann doch nicht auch Medizin studieren, wie mein Vater und Großvater!" rief Marietta hell auflachend.
^ Die Sache machte ihr unendlichen Spaß, die Bemerkung mißfiel ^ jedoch ihrer strengen Richteritt, die mit voller Schärfe erwiderte:
„Es giebt Gott sei Dank noch genug anständige und ehren- ! volle Berufswege für ein junges Mädchen. Sie find Sängerin?"
! „Ja, gnädige Frau, am Hoftheater."
- „Ich weiß es! — Sind Sie geneigt, Ihre Entlassung zu > nehmen?"
Die Frage wurde so plötzlich und in einem so herrischen ^ Tone gestellt, daß Marietta unwillkürlich zurückwich. Sie war ! noch immer der Meinung, daß der Majoratsherr von Burgsdorf l mit seiner hartnäckigen Schweigsamkeit und seinem stürmischen ! Davonlaufen nicht ganz zurechnungsfähig sei, und jetzt kam ihr der Gedanke, das könne ein Familienübel sein, das er von seiner Mutter ererbt habe; denn mit dieser war es offenbar auch nicht ganz richtig.
„Meine Entlassung?" wiederholte sie. „Aber weshalb denn?"
„Aus Gründen der Moral! Ich bin bereit, Ihnen dazu ! die helfende Hand zu bieten. Wenden Sie sich ab von diesem j Pfade des Leichtsinns, und ich mache mich anheischig, Ihnen eine ! Stelle als Gesellschafterin zu verschaffen."
Die junge Sängerin begriff jetzt endlich, um was es sich ! handelte; halb gereizt und halb spöttisch warf sie das Köpfchen ! mit den krausen Locken zurück.
! „Ich muß sehr danken. Ich liebe meinen Beruf und denke
j nicht daran, ihn gegen eine abhängige Stellung zu vertauschen;
! ich passe überhaupt nicht zu einer höheren Kammerjungfer."
„Die Antwort habe ich erwartet," sagte Frau von Eschen- hageu mit einem düsteren Kopfnicken; „aber ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen noch einmal ins Gewissen zu reden. Sie sind noch sehr jung und daher nicht im vollen Maße verantwortlich: der schwerste Vorwurf fällt auf den Doktor Volkmar, der das Kind seines Sohnes einen: solchen Leben überantwortete."
„Gnädige Frau, ich muß bitten, meinen Großvater aus
dem Spiel zu lassen," fuhr Marietta heftig auf. „Sie sind
Tonis künftige Schwiegermutter, sonst hätte ich Ihrem Examen überhaupt nicht standgehalten. Eine Beleidigung meines Großvaters aber dulde ich nicht, von keinem Menschen auf der Welt!"
Die beiden bemerkten es in ihrer Erregung nicht, daß die ! nach dem Vorzimmer führende Thür leise geöffnet wurde und ! Willibald erschien. Er erschrak sichtlich, als er seine Mutter er- ! blickte, und versenkte etwas, das er sorgfältig in Papier eingehüllt in der Hand trug, schleunigst in seine Rocktasche, aber er blieb auf der Schwelle stehen.
„Ich beabsichtige nicht, mit Ihnen zu streiten, mein Kind," sagte Frau Regine in sehr hohem Tone; „aber ich bin allerdings Tonis künftige Schwiegermutter und habe als solche das Recht, sie vor einem Umgang zu bewahren, der mir nicht passend erscheint. Bitte, mißverstehen Sie mich nicht! Ich bin nicht hoch- müthig, und die Enkelin des Doktors Volkmar wäre in meinen Augen durchaus berechtigt zur Fortsetzung dieser Jugendfreundschaft; aber eine Dame vom Theater hat ihren Verkehr wohl ausschließlich in Theaterkreisen zu suchen, und hier in Fürstenstein — ich hoffe, Sie verstehen mich."
„O ja, ich verstehe Sie, gnädige Frau!" rief Marietta, deren Antlitz sich plötzlich in flammende Gluth tauchte. „Sie brauchen nichts weiter zu sagen, ich bitte nur noch um ein Wort. Ist Herr von Schönau, ist Antonie einverstanden mit dem, was Sie mir da mittheilen?"
„In der Sache selbst allerdings, aber mau wollte Sie begreiflicherweise nicht durch eine Abweisung " ein sehr bezeich- ! nendes Achselzucken vervollständigte den Satz. Die sonst so ge- ^ rechte und wahrheitsliebende Fran fühlte es nicht einmal, daß