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sie sich einfach einer Unwahrheit schuldig machte; sie hatte sich > so verrannt in ihre Auffassung, daß sie fest überzeugt war, der Oberforstmeister halte nur aus Widerspruchsgelst und Antonie nur aus Gntmüthigkeit an einem Verkehr fest, der ihnen selbst peinlich sei, und war fest entschlossen, der Sache ein Ende zu machen. Da geschah etwas ganz Unerwartetes; Willibald, der noch immer auf der Schwelle stand, trat in das Zimmer und sagte, halb bittend und halb vorwurfsvoll:
„Aber Mama!"
„Du bist es, Willy? Was thust Du hier?" fragte Frau von Eschenhagen, die ihn erst jetzt bemerkte und der die Unterbrechung sehr unwillkommen war.
Willibald sah und hörte es recht gut, daß die Frau Mutter höchst ungnädig war, und Pflegte sonst stets den Rückzug zu nehmen, wenn er sie in dieser Stimmung wußte. Heute aber hielt er mit ungewohnter Tapferkeit stand. Er trat noch naher und wiederholte:
„Aber Mama, ich bitte Dich, Toni hat ja nie daran gedacht, Fräulein Volkmar —"
„Was unterstehst Du Dich? Willst Du mich vielleicht Lügen strafen?" fuhr ihn die gereizte Mutter an. „Was geht es Dich an, was ich mit Fräulein Volkmar verhandle. Deine Braut ist nicht hier, das siehst Du doch, also mach', daß Du fortkommst!"
Der junge Majoratsherr wurde dunkelroth bei diesem Tone, an den er allerdings gewöhnt war; aber er schien sich vor dem jungen Mädchen doch einigermaßen dieser Behandlung zu schämen und sah aus, als wolle er einen Widerspruch versuchen. Sein Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an, auf ein drohendes ' „Nun, hast Du nicht gehört?" aus dem Munde seiner Mutter aber siegte die alte Gewohnheit. Er wandte sich zögernd zum Gehen und ging auch wirklich, aber die Thür blieb zur Hälfte offen.
Marietta blickte ihm mit verächtlich gekräuselten Lippen nach und wandte sich dann zu ihrer Gegnerin.
„Sie können unbesorgt sein, gnädige Frau, ich bin das letzte Mal in Fürstenstein gewesen. Als der Herr Oberforstmeister mich mit der alten Güte und Antonie mit der alten Herzlichkeit empfingen, da konnte ich nicht ahnen, daß mir jetzt in ihren Augen ein Makel aufgedrückt ist, sonst wäre ich ihnen sicher nicht lästig gefallen mit meinen Besuchen. Es wird in Zukunft nicht geschehen — nie mehr!"
Die Stimme versagte, ihr, sie drängte gewaltsam die Thränen zurück, aber um den kleinen Mund zuckte es so bitter und schmerzlich, daß Frau von Eschenhagen doch fühlte, sie sei in der Rücksichtslosigkeit zu weit gegangen.
„Ich wollte Sie nicht kränken, mein Kind," sagte sie eiu- lenkend. „Ich beabsichtigte nur, Ihnen klar zu machen —"
„Nicht kränken wollen Sie mich und sagen mir solche Dinge?" unterbrach das junge Mädchen sie in aufflammendem Zorn. „Sie behandeln mich ja wie eine Ausgestoßene, die es nicht mehr wagen darf, anständigen Kreisen zu nahen, weil ich mit einem Talent, das mir Gott gegeben hat, mein Brot erwerbe und den Menschen Freude mache. Sie schmähen meinen alten lieben Großvater, der so mühselig die Opfer für meine Ausbildung gebracht hat, der mich mit so schwerem Herzen in die Welt hinausziehen ließ. Die bitteren Thränen haben ihm in den Augen gestanden, als er mich beim Abschied noch einmal in seine Arme zog und sagte: ,Bleib' brav, meine Marietta, man kann es in jedem Stande sein. Ich kann Dir nichts zurücklassen, wenn ich heut oder morgen die Augen schließe, Du mußt für Dich selbst sorgen ü Nun, ich bin brav geblieben und werde es bleiben, wenn es mir auch nicht so leicht gemacht wird wie der Toni, die das Kind eines reichen Vaters ist und ihr Elternhaus nur verläßt, um in das Haus ihres Mannes zu gehen. Aber ich beneide sie nicht um das Glück, Sie Mutter zu nennen!"
„Fräulein Volkmar, Sie vergessen sich!" rief Regine beleidigt, indem sie sich zu ihrer ganzen stattlichen Höhe aufrichtete. Aber Marietta ließ sich nicht einschüchtern, sie wurde nur noch heftiger.
„O nein, ich bin es nicht, die sich vergißt, Sie waren es, die mich ohne allen Grund beleidigte, und ich weiß auch, daß der Oberforstmeister und Antonie unter Ihrem Einfluß stehen, wenn sie sich von mir abwenden. Gleichviel, ich will keine Güte und keine Freundschaft, die so wenig fest steht, und mit einer Freundin, die mich aufgiebt nur auf Befehl ihrer Schwiegermutter, bin ich ein für allemal fertig — sagen Sie ihr das, Fran von Eschenhagen!"
Sie wandte sich mit einer stürmischen Bewegung ab und verließ das Gemach. Draußen im Vorzimmer aber wollte die mühsam behauptete Fassung nicht mehr standhalten, der Schmerz überwog den Zorn und die bisher so tapfer bekämpften Thränen brachen heiß hervor. Mit einem leidenschaftlichen Schluchzen lehnte das junge Mädchen den Kopf an die Wand und weinte bitter und schmerzlich über die erlittene Kränkung.
Da hörte sie leise und schüchtern ihren Namen nennen und aufblickend gewahrte sie Willibald voll Escheuhageil, der vor ihr stand und ihr das Papier entgegenhielt, das er Vorhill so eilig verborgen hatte. Es war jetzt auseinandergeschlagen und darill lag eill Rosenzweig, der eine wundervolle, duftende Blüthe und zwei halb erschlossene Knospen trug.
„Fräulein Volkmar," wiederholte er stockend, „Sie wünschten Vorhill eine Rose — bitte, nehmen Sie —"
In seinen Augen und seiner ganzen Haltung lag deutlich genug eine stumme Abbitte wegen der Rücksichtslosigkeit seiner Mutter. Marietta hatte ihr Schluchzen unterdrückt, in ihren dunklen Augen funkelten noch die Thränen, aber es lag zugleich ein unsäglich verächtlicher Ausdruck darin.
„Ich danke, Herr voll Eschenhagen," versetzte sie herb. „Sie haben ja wohl gehört, was da drinnen gesprochen wurde, und jedenfalls den Befehl erhalten, mich auch zu meiden. Warum gehorchen Sie denn nicht?"
„Meine Mutter hat Ihnen unrecht gethau," sagte Willibald halblaut, „und sie sprach auch nicht im Namen der anderen. Toni weiß nichts davon, glaubell Sie es mir —"
„So, das wissen Sie und haben nicht ein Wort des Widerspruches gefunden?" unterbrach ihn das junge Mädchen glühend vor Zorn. „Sie haben es mit allgehört, wie Ihre Mutter ein schutzloses Mädchen kränkte und beleidigte, und hatten nicht einmal so viel Ritterlichkeit, dazwischen zu treten? Freilich, Sie versuchten es ja, aber Sie wurden ausgescholten und fortgeschickt wie ein Schulknabe und ließen sich das geduldig gefallen!"
Willibald stand da wie vom Donner gerührt. Er hatte allerdings tief die Ungerechtigkeit seiner Mutter empfunden und sie nach Kräften wieder gutmachell wollen, und nun wurde er so behandelt! Ganz betäubt starrte er auf Marietta, die durch sein Schweigen nur noch zorniger wurde.
„Und null kommen Sie und brillgell mir Blumen," fuhr sie nlit steigender Leidenschaftlichkeit fort, „heimlich hinter dem Rücken Ihrer Mutter, und meinen, ich würde eine solche Entschuldigung annehmen? Erst lernen Sie, wie ein Mann sich zu benehmen bat, wenn er Zeuge solcher Ungerechtigkeiten ist, und dann bringen Sie Ihre Aufmerksamkeiten all. Jetzt — jetzt will ich Ihnen zeigen, was ich von Ihrem Geschenk und von Ihnen halte."
Sie riß ihm das Papier sammt seinem Inhalt aus der Hand, warf es zu Boden und in der nächsten Sekunde zertrat der kleine Fuß kräftig die duftenden Roseil.
„Mein Fräulein —!" Willibald, schwankend zwischen Scham und Entrüstung, wollte ausfahren, aber ein sprühender Blick aus den sonst so schelmischen dunklen Augen machte ihn verstummen, und zum Ueberfluß wurden die armen Rosen noch verächtlich mit dem Fuße fortgestoßen.
„So, nun sind wir zu Ende! Wenn Toni wirklich nichts von der Sache weiß, so thut es mir leid, deshalb muß ich ihr in Zukunft doch fern bleibell, denn ich werde mich nicht neuen Kränkungen aussetzen. Möge sie glücklich sein, ich wäre.es nicht an ihrer Stelle. Ich bin ein armes Mädchen, aber einen Mann, der sich noch vor der Ruthe seiner Mutter fürchtet, nähme ich nicht, und wenn er zehnmal Majoratsherr voll Bnrgsdorf wäre."
Damit ließ sie den armen Majoratsherrn stehen und war in der nächsten Minute verschwunden.
„Willy, was soll das heißen?" tollte plötzlich die Stimme der Frau von Eschenhagen, die in der halboffenen Thür stand. Als keine Antwort erfolgte, trat sie Heralls und schritt mit unheilverkündender Miene auf ihren Sohn zu.
„Das war ja eine ganz merkwürdige Seene, die ich da mit ansehell mußte. Willst Du nicht so gut sein und mir erklären, was sie eigentlich bedeutet? Dies kleine Ding sprühte ja wie ein Kobold vor Zorn und sagte Dir die empörendsten Dinge in das Gesicht, und Du standest dabei wie ein Schaf, ohne Dich zu wehren."
„Weil sie recht hatte," murmelte Willy, der noch immer auf die zertretenen Rosen blickte.