keinem rathen, es mir nachzumachen; es bleibt eine gefährliche Sache. Hat mir auch in zurückliegenden Tagen manche Nackenschläge eingetragen 511 . — Frau Emilie war wirklich abruzzenhaft; es war ihre größte und interessanteste Zeit. Wildlingschaft erobert ganz anders als Wohlerzogenheit 512 . In Ihrem Briefe bin ich Ihnen besonders dankbar für die Schlußstelle, wo Sie die vorgebliche Weltbedeutung des Theaters zur Heiterkeit stimmt 313 . O, wie so wahr! Nur eines ist da — so zu sagen eine Spezialseite der Sache — was mich noch lauter lachen macht, das, daß es im Theater immer wieder ein Zipfelchen Ehebruch sein muß, um dem Gericht das richtige Salz zu geben. Nur ein französisches Stück — ich glaube, es hieß „Fernande“ 31 '* — wußte dies Herkömmliche noch zu übertrumpfen, indem es, in der Brautnacht, die Darbietung des ewig Weiblichen von einer voraufgehenden Bekehrung zum englisch-amerikanischen Dissenterthum abhängig machte. Auch in meinen kühnsten Tagen hätte ich, angesichts dieser Bedingung, auf alles verzichtet. Den „letzten Deutschen von Blatna“ kenn ich von ziemlich langer Zeit her 515 ; ich stehe dazu wie Mommsen 516 und sehe darin, neben „Xanthippe“ Ihr bestes Buch 517 . Uebrigens wird heut, am Sedanstag 318 , in den Straßen Karlsbads, eine förmliche Schlacht zwischen Deutschen und Tschechen geschlagen 519 ; die knubbligen Deutschen mit ihren Gerichtsaufseher- und Torfinspektorgesichtern tragen alle Kornblumen 520 , die besser aussehenden Slaven (auch viele Polen) rothe Nelken 521 . Mit besten Wünschen für Ihr Wohlergehen, wie immer in vorzüglicher Ergebenheit Ihr Th. Fontane.
KOMMENTAR ZU DEN BRIEFEN IN ANMERKUNGEN
Nr. 30
292 Fontane nimmt hier Bezug aul die Vielfalt von Mauthners kulturellen Aktivitäten, insbes. die Tatsache, daß er, trotz seines enormen Arbeitspensums, noch die Zeit fand, Vorträge zu halten (vgl. Anm. 294).
293 Vgl. hierzu Heinrich Manns Roman Der Untertan (1918), worin u. a. auch die .Redewut* Kaiser Wilhelms II. während der 90er Jahre (die .erzählte Zeit* des Romans umspannt die Jahre 1890-1897; vgl. Wolfgang Emmerich: Heinrich Mann: ,Der Untertan* [München: Fink [= UTB 974] 1980], S. 9-10) satirisch verarbeitet wird (vgl. dazu Ernst Johann IHrsg.]: Reden des Kaisers. Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II. [München: DTV2906; 1966] u. Axel Matthes [Hrsg.]: Reden Kaiser Wilhelms II. [München: Rogner & Bernhard 1976]). Kritische Beobachter der damaligen politischen Verhältnisse erkannten offensichtlich bald, daß Wilhelm II., ein geborener Redner, seine eigenen Ideen bei Denkmalsenthüllungen u. Sängerfesten, nationalen Gedenktagen u. Fahnenweihen, bei Schiffstaufen u. Empfängen propagierte und dadurch dem neuen Regierungsstil, der solch fatale Auswirkungen auf die deutsche u. europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts haben sollte, Ausdruck verlieh. Zu Fontanes Bemerkung, daß Kaiser Wilhelm Typ der damaligen Gesellschaft sei, vgl. auch das Nachwort von Helmut Arntzen in Matthes’ Sammelband (,Die Gewalt der Rede oder der Leitartikler auf dem Thron*, S. 201—24), worin u. a. auf die Phraseologie in den Reden des Kaisers eingegangen wird: „Die Reden Wilhelms bedeuten Entscheidungen gegen die Sprache wie später die allermeisten öffentlichen Reden dieses Jahrhunderts, weil ihr Sprecher, statt in der Sprache zu denken, nur mit ihr operiert, weil in ihnen der Abbruch der Sprach- als Bewußtseinsgeschichte sich anzeigt, die Verkehrung der Sprache als Streit und Prozeß der Begriffe in ein Arsenal der Phrasen. Diese Verkehrung zeigt sich vor allem im Geklitterten der
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