Samuel Smilrs.
KM Kerold der Seskstbilse und Uflichtersüllung.
"VZeurtheilt man einen Schriftsteller nicht bloß nach dem künstlerischen Werthe, sondern auch nach dem thatsächlichen Erfolg seiner Werke, zieht man in Betracht, welche unmittelbare Wirkung er aus seinen Leserkreis hervorgebracht hat, dann muß Samuel Smiles, der englische Moralphilosoph, dessen Bücher über die ganze Welt verbreitet sind, als eine der hervorragendsten Erscheinungen des zeitgenössischen Schristthums bezeichnet werden. Seine Werke haben weit über England hinaus den Samen tief sittlicher Grundsätze verstreut, sie sind Hausbücher geworden in unzähligen Familien, und in größerem Umfange als den spannendsten Romanen hat sich ihnen die lebhafte Theilnahme von Millionen Lesern zugewendet. Es sind dies aber Werke, die man nicht bloß liest, um sie dann wegzu- leoen und für immer zu vergessen; wer sich überhaupt aus die Dauer mit ihnen befaßt, der trägt einen sittlichen Nutzen davon — es be- Währt sich in diesem Falle die So- kratische Lehre, daß das Gute erkennen auch schon es üben heißt.
Gerade uns Deutschen muß Smiles eine überaus vertraute Erscheinung sein, denn was unser Kant in den „kategorischen Imperativ" zusammengefaßt hat, das drückt Smiles in einfacher, nicht durch wissenschaftliche Kunstausdrücke verdunkelter Sprache aus: er predigt die Heiligkeit der Pflicht, welche erfüllt zu haben den stolzen Inhalt auch des äußerlich unscheinbarsten Lebenslaufes ausmacht. Diesen Stofs behandelt er in tausend wechselnden Arten; er gewinnt ihm immer neue Seiten ab, und wenn man meint, nun müsse er sich endgültig erschöpft haben, dann setzt er die Feder an und bringt zu Gunsten seiner Sache abermals eine reiche Fülle von Vernunftgründen und Mittheilungen vor. Er sagt eigentlich nichts, was nicht vor ihm schon andere gesagt hätten. Trotzdem liegt die Erklärung seines ungewöhnlichen Erfolges auf der Hand: er trifft wie kaum ein zweiter einen volksthümlichen, jedermann einleuchtenden Ton, er kleidet alles so ein, daß man immer die Stimme des einfachen gesunden Menschenverstandes vernimmt, er läßt es nicht bei allgemeinen Lehrsätzen bewenden, sondern holt aus der Erfahrung von Gegenwart und VergangenheitBeispiele heran, welche jene Lehrsätze vor dem Vorwurfe der Unausführbarkeit bewahren. Zweitens — und der eine Umstand ist so wichtig wie der andere — trägt jedes seiner Worte den Stempel der Ueberzeugung, das Gepräge der Wahrheit. Nie bedient Smiles sich einer hochtrabenden Phrase, nie gefällt er sich in Schwulst, man hat den Eindruck, daß hier ein ehrlicher Mann zu Tage fördert, was ihm tief in der Brust lebt. Smiles wendet sich an den Leser nur, wenn er ihm wirklich etwas zu sagen hat; die bloße Buchmacherei ohne höheren Zweck, ohne sittliche Absicht ist etwas ihm völlig Fremdes.
In Deutschland sind seine wichtigsten Schriften in Uebersetzungen bekannt geworden: „Selbsthilfe", „Sparsamkeit", „Charakter" und „Pflicht". Damit ist aber die Liste seiner literarischen Arbeiten nicht erschöpft. Es giebt von ihm noch eine Biographie von Stephenson, fünf Bände Biographien berühmter Ingenieure, einen Band Biographien hervorragender Industrieller, eine Abhandlung über die Hugenotten, die Charakterzeichnungen des Naturforschers Thomas Edward und des Geologen und Botanikers Robert Dick und verschiedenes andere. In allen seinen Schriften handelt es sich ihm darum, darzuthun, was des Menschen Wille und Thatkraft vermögen, wie vor der Ausdauer auf die Länge kein Hinderniß, keine Schranke bestehen kann, aber auch, wie die Reinheit des Charakters, die Makellosigkeit der Tugend, die strenge Auffassung des Berufes Vorbedingungen sind für ein Lebender Selbstzufriedenheit. Kein ungetrübtes Glück ohne das Bewußtsein der voll erfüllten Pflicht, keine echte Freude für diejenigen, die ihre Schuldigkeit nicht mit allen Kräften zu thun suchen — das ist der Wahlspruch von Samuel Smiles, und er leuchtet auch hervor, wo der Schreiber ihn nicht ausdrücklich vorbringt, so z. B. in seinem der Sparsamkeit gewidmeten Buche. Nach seiner Anschauung ist die Sparsamkeit eine Pflicht, die wir üben sollen gegen uns selbst, gegen unsere Familie, gegen die Gesellschaft, gegen den Staat, und so bedeutet auch Sparsamkeit Pflichterfüllung. Seine strenge, dabei aber keineswegs finstere, sondern durch und durch freudige und freundliche Lebensanschauung zieht sich als ein rother Faden durch seine sämmtlichen Schriften, und darum tragen diese ein einheitliches Gepräge und hängen innerlich zusammen. In den rein biographischen Werken verfolgt er die gleichen Zwecke wie in den übrigen: er schildert durchweg
solche Lebensläufe, aus denen ein großer Wille, eine ungewöhnliche Festigkeit des Wesens hervorleuchtet, und mit Vorliebe behandelt er die Schicksale von Männern, welche sich aus geringen Anfängen mühsam emporgerungen, lange mit jeder Art von Beschwer und Hemmniß zu kämpfen gehabt haben, :md deren endlicher Sieg den Triumph des mächtigen Menschengeistes über die Zufälle der Geburt, über Umstände und Verhältnisse, über jegliche Art von Ungunst und Unbill bedeutet.
Wenn er glaubt, mit Betrachtungen und Auseinandersetzungen innehalten zu sollen, dann geht er gern zu Beispielen über, und auf diesem Gebiete ist er geradezu unerschöpflich. Er ermuthigt, er spornt an, er tröstet durch Beispiele. Er weist auf die Personen hin, die gestrebt, gelitten, gekämpft haben — er weiß aus der Daseinsgeschichte unzähliger Personen
Begebnisse anzuführen, welche uns , erheben, beruhigen, ermuthigen sol
len. Droht der Mißerfolg uns niederzubeugen, so erzählt Smiles uns eine Menge Proben davon, wie der Lorbeer erst nach vielen Enttäuschungen und Entbehrungen dem oder jenem zutheil geworden sei. Betrachten wir die uns zuge- sallene Aufgabe als zu gering, so belehrt Smiles uns, daß niemand- klein sei, der seine Pflicht erfülle, daß es ein Heldenthum in der Lebensführung gebe wie ein Heldenthum auf dem Schlachtfelde. Und- wie er scharf zu sondern weiß, die Sparsamkeit empfiehlt, aber den Geiz verdammt, das Streberthum geißelt, den Ehrgeiz aber preist, so macht er uns klar, daß nur derjenige ein unnützes Geschöpf ist, der nicht mit allen Kräften trachtet, zu leisten, was innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeiten liegt. Smiles führt mit Vorliebe das Wort Lork Broughams an: wenn er Stiefelputzer wäre, so würde er sich bemühen, der erste Stiefelputzer von England zu werden. Wie er die Ausgabe des Menschen versteht, mag eine Stelle aus dem Buche „Der Charakter" darthun: „Geleitet von dem Lichte großer Beispiele, die von den edelsten Vertretern der Menschheit gegeben wurden, soll jeder von uns dahin streben, die höchste Charakterstufe zu erreichen, nicht in den Mitteln, wohl aber im Geiste der Reichste, nicht in weltlicher Stellung, wohl aber in Ehrenhaftigkeit der Höchste, nicht der Klügste, wohl aber der Tugendhafteste, nicht der Mächtigste und Einflußreichste, sondern der Wahrhafteste, Aufrichtigste und Ehrlichste zu werden."
Mancherlei läßt sich gegen Einzelheiten in Smiles' Schriften einwenden. So z. B. wird jeder Nationalökonom erklären, daß Smiles der Sparsamkeit des einzelnen eine zu große wirthschaftliche Bedeutung für die Gesammtheit beilegt, und daß er sich irrt, wenn er mittels des Sparens die sociale Frage ein für allemal lösen will. Er geht auch darin zu weit, daß er der natürlichen Begabung, der Eigenart, den: Temperament des Menschen nur einen sehr- geringen Platz einräumt neben Fleiß, Standhaftigkeit, Tüchtigkeit und Selbstbeherrschung. Aber im großen und ganzen wird man kaum den Gegenbeweis gegen Smiles' Ausführungen antreten können. Man hat die Empfindung, daß er immer den Nagel auf den Kopf trifft.
Eine der gewinnendsten Seiten an Smiles ist sein scharfer Blick für das Aus- und Durchführbare. Er schwebt nie in den Wolken, er geht mit festen Schritten über die Erde. Er vertröstet diejenigen, die seine Rathschläge befolgen, auf keinen außerirdischen Lohn, sondern beweist ihnen, sie würden greifbaren Nutzen finden, wenn sie den richtigen Weg einschlügen — und auch da ist er mit lebendigen Belegen wieder flink zur Hand.
Mit dem Buche „Selbsthilfe" hatte er die Art gefunden, die ihm so reiche Früchte bringen sollte. Eine Reihe junger Leute in Leeds hatten einen Selbstbildungsverein gegründet. Smiles leitete damals in Leeds eine Zeitung — es war dies vor seiner Thätigkeit als Eisenbahnsekretär —, er hielt in jenem Verein Vorträge und erzielte mit letzterer: so nachhaltige Wirkung, daß er sie gesammelt erscheinen ließ. Er stand für die Erfahrung ein, daß der Mensch nicht auf Zufall und Glück vertrauen dürfe, sondern auf die eigene Kraft bauen müsse, ja, daß er nicht verzagen dürfe, wenn Zufall und Glück sich ihm auch noch so lange abhold zeigen.
„Die großen Erfolge im Leben," heißt es bei ihm, „werden gewöhnlich durch einfache Mittel und die Uebung gewöhnlicher Eigenschaften erzielt. Das Alltagsleben mit seinen Sorgen, Bedürfnissen und Pflichten gewährt reichliche Gelegenheit, Erfahrung bester Art zu sammeln; gerade