Heft 
(1890) 16
Seite
267
Einzelbild herunterladen

Verirrungen, Ausschreitungen und Greuelthaten würde manches ungelöste Räthsel schweben, wenn nicht neben allen andern be­stimmenden und bewegenden Kräften vorzugsweise auch die Schrift­steller der Kommune ins Auge gefaßt und nach ihrem eigentüm­lichen Wirken gekennzeichnet würden.

Zwar die Erwartung erwies sich sehr bald als trügerisch, daß von dieser Seite die Kommune, die sich mit einem Male im Besitze der Gewalt sah, eine bestimmte Losung, eine sichere Rich­tung, geistigen und sittlichen Gehalt empfangen werde. Denn die nämliche Verwirrung und Gedankenarmnth, welche die neuen Ge­walthaber im Stadthause von einer Begriffsbestimmung der Kom­mune zur andern taumeln ließ, herrschte auch unter den Schrift­stellern, die damals die Stimmführer der öffentlichen Meinung sein sollten. Und außerdem war die Zahl derjenigen Schriftsteller äußerst gering, welche es überhaupt ehrlich mit der Kommune meinten und mit vollem Herzen zu derselben standen. Der ehrlichsten einer war jedenfalls jener G. Flourens, dessen Name seit Jahresfrist bei jeden: Aufstande genannt worden war und der als das Urbild jener unter den Studenten des Lateinerviertels ausgewachsenen Volks­beglücker gelten kann, die alle Völker ohne weiteres als unter­drückte Brüder, alle Fürsten als Tyrannen, die ganze Politik lediglich als eine Sache des Pulvers und der Barrikaden be­trachten. Flourens hatte die tollsten Abenteuer in Polen und bei dem Aufstande der Kreter gegen die Türken mitgemacht, von den dankbaren Athenern einen Ehrenrevolver zurückgebracht, und genoß jetzt unter dem vorstädtischen Volke von Paris das Ansehen eines Heilandes und Helden. Seine Politische Zurechnungsfähigkeit aber konnte man nach einem soeben von ihm veröffentlichten Werk Das freie Paris" ermessen, wo er ganz unbefangen erzählte, er habe nach dem Beginne des deutsch-französischen Krieges den Plan gehabt, nach Griechenland zu reisen, Athen aufzuwiegeln, den dortigen König zu verjagen, die Kreter zu befreien, mit ihnen nach Marseille zu schiffen, Marseille gleichfalls aufzuwiegeln, mit dem ganzen Süden Frankreichs zum Entsatz von Paris zu eilen, die Arbeiter von Berlin, Wien und London zun: Barrikadeübau, die Spanier zur Vertreibung Prims, Garibaldi zur Besetzung Roms aufzufordern, die Preußen über den Rhein hinüber der Revolution im eigenen Land in den Rachen zu jagen, und in Paris endlich die Verräther Trochn, Bazaine und Ducrot abzu­setzen! Sv unsinnig dies ist, Flourens war der Mann, daran zu glauben. Und was kümmerte er sich jetzt darum, daß man sich im Stadthause den Kopf über unmögliche Aufgaben zerbrach? Rache" war die einfache Losung, die er ausgab,Rache an den Verräthern, die das Volk an einen neuen Monarchen Verkaufen wollen"! Damit zog er am 3. April zum Kampfe gegen Ver­sailles aus und fiel, tapfer fechtend, an der Spitze seiner Legion.

In demselben Gefechte wurde von den Versaillern ein Mann gefangen genommen, der ein ebenso begeisterter Volksfreund wie Flourens, aber in allem übrigen dessen ausgesprochenes Widerspiel war: Elisee Reclns, damals schon bekannt durch treffliche Reisebücher, heilte anerkannt als der bedeutendste Geograph Frankreichs. Eine Natur von idealer Reinheit, hatte er aus lauterster Menschenliebe schon in der Mitte der sechziger Jahre sich ganz der sittlichen und geistigen Hebung des Arbeiterstandes und insbesondere der Einführung des Genossenschaftswesens ge­widmet, von dem man damals alles Heil erwartete; und ich hatte ihn wie seinen gleichgesinnten Bruder Elie, der erst kürzlich wieder ein sehr lehrreiches Werk überDie Urmenschen" heraus­gegeben, in so mancher Arbeiterversammlung unter dem Kaiser­reiche getroffen und schätzen gelernt. Enttäuschungen mancherlei Art, namentlich auch die Wahrnehmung, daß frühere politische Freunde wie Picard und Simon ihren schönsten Worten niemals Thaten folgen ließen, hatten diese beiden edlen Schwärmer den Umsturzmännern immer näher gerückt. Beiden schien nun mit dem 18. März das Morgenroth einer neuen Weltordnung zu leuchten; und als das Zeichen zu jenem unglücklichen Ausfälle nach Versailles gegeben wurde, hielt es der schwächliche und kurz­sichtige Elisee, der nie ein Gewehr getragen hatte, wie sein Bruder Elie für Pflicht, mitzumarschiren. Wie durch ein Wunder dem Tod entronnen, aber durch die grausame Behandlung während der Ueberbringung nach den Gefängnißschiffen in Brest dem Wahn­sinn nahe gebracht, hatte er sich kaum wieder etwas erholt, als er sich neuerdings ganz und gar der Aufrichtung und Belehrung seiner Mitgefangenen widmete. Das Anerbieten der Gnade seitens

. der Regierung, wenn er verspreche, nicht mehr die Waffen gegen ! dieselbe zu tragen, wies er stolz zurück; und es blieb der franzö- I fischen Akademie Vorbehalten, später dem berühmten Schriftsteller ! und Gelehrten die Erlanbniß zur Rückkehr in die Heimath zu erwirken. Vielleicht fühlte sich Elie durch das Schicksal dieses seines Bruders nun doppelt verpflichtet, bei der Kommune auszuharren.

Im übrigen wollte er es, nachdem diese schon anderthalb Monate geherrscht hatte, mir gegenüber nicht Wort haben, daß nicht alles ganz gut gehe. Er billigte es sogar vollständig, daß er selbst und seine Freunde aus dem Bürgerstande von allen höheren Aemtern ausgeschlossen seien, und er fand auch die Verwaltung unter den unerfahrenen Neulingen gar nicht so übel. Meinem Einwand über, daß die Kommune ja keine einzige der von ihr angekündigten sozialen Reformen ernstlich ausführe, begegnete er mit dem Hin­weis auf die Nothwendigkeit, alle Kraft jetzt nur dem Kampfe zuzuwenden.

Das letzte Mal sah ich ihn bei der Zerstörung der Bendöme- säule. Ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu fragen, ob er als Mann der Wissenschaft und Freund der Geschichte und der Kunst auch eine solche Zerstörungswuth gegen vaterländische Denkmäler billigen könne.Allerdings," erwiderte mir der un­verbesserliche Schwärmer,denn das schönste Denkmal für unser Volk bleibt doch die Erklärung des Amtsblattes der Kommune, ,daß wir fortan geschieden sind vom Militarismus, dieser blutigen Ver­leugnung aller Menschenrechte, und daß es eine Pflicht gewesen ist, dieses Sinnbild des Despotismus zu vernichten/" Uebrigens konnte Elie Reclns der Wissenschaft noch unschätzbare Dienste leisten, da er, zum Vorstand der weltberühmten Nationalbiblivthek ernannt, den unverschämten Diebstählen, die seit dem Beginne der Kommune dort begangen wurden, ein Ende machte und schließlich die ihm anvertrauten Schätze mit Lebensgefahr vor den Brandstiftern der Kommune rettete. So erfüllte es mich denn mit großer Freude, als mir noch während des Brandes von Paris die Gewißheit wurde, daß es einigen Freunden gelungen sei, Elie Reclns an einen: sicheren Orte vor der Erschießung oder Gefangenschaft zu bewahren.

Ein wahrhaft tragisches Geschick vollzog sich dagegen an dem Schriftsteller August Vermorel, dem einzigen sozialistischen Denker, den die Kommune unter den Ihrigen zählte. Vermorel war wie die beiden Reclns immerdar ein echter Freund der Frei­heit und unerschrockener Anwalt des Volksrechtes, aber zum Untew schiede von jenen beiden sanften Gelehrtennaturen stets ein Mann rücksichtslosen Kampfes gewesen. Nachdem er bis zur zweiten Hälfte der sechziger Jahre als Mitarbeiter derPresse",Liberte" und desCourrier Frankens" in den erste:: Reihen der Gegner des Kaiserreichs gekämpft und sich zahlreiche Gefängnißstrafen und den Verlust seines Vermögens zugezogen hatte, wurde er von Rochefort einmal in offener Sitzung des Gesetzgebenden Körpers alsSpion des Kaiserreichs" veAeumdet, bloß weil er in mehreren Flugschriften dessen damalige Parteigenossen Picard, Simon und Favre als falsche Volksfrennde zu entlarven versucht hatte. An: 4. September vom Volk aus dem Gefängniß befreit, besann sich Vermorel keinen Augenblick, diese Herren, die er jetzt als Regierende vorfinden mußte, mit erneuter Heftigkeit anzugreifen, und dieselben wußten sich seiner nicht anders zu entledigen, als indem sie ihn nach den: Aufstande vom 31. Oktober bis zum Ende der Be­lagerung von Paris in Untersuchungshaft steckten. In dieser unfreiwilligen Muße verfaßte er sein BuchDie sozialistische Partei". Aus diesen: Werke nun tritt deutlich seine Ueberzeugung hervor, daß es unmöglich sei, das soziale Ideal durch eine Plötzliche Volkserhebung zu verwirklichen. Auch sah Vermorel so klar als irgend ein anderer ein, daß, als ihn die Urheber des Ausstandes vom 18. März in die Kommune heranzogen, dies nur geschah, um dieser den sich zunächst darbietenden Deckmantel des Sozialis­mus nmzuhängen. Wie mochte er aber damals seinen Berufs­genossen Arthur Ranc beneiden, der sich gleich wieder zurückziehen konnte, als er erkannt hatte, welches Gelichter jetzt im Stadthause seinen Sitz aufgeschlagen hatte!

Das Urtheil A. Rancs,die ganze Kommune zähle nicht mehr als zwei oder drei Sozialisten, verständige, ehrbare, unter­richtete Männer mit eine::: Schimmer von Staatsvernnnft, die übrigen gehören sämmtlich der Hefe des Volkes an, sie seien unwissend, unerfahren, ungezogen, ohne politisches Denkvermögen und sie klammern sich als geckenhafte Emporkömmlinge an die Macht an": dieses Urtheil war auch dasjenige Vermorels. Aber