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„Ich wechsle nur Mantel und Helm. Werde ich überhaupt angehalten, so bin ich doch verloren; es handelt sich einzig darum, daß ich im Vorbeijagen nicht erkannt werde. Wenn nur ein tüchtiges, ausdauerndes Pferd zu schaffen ist."
„Das ist bereits zur Stelle, ich habe meinen Araber, meinen Sadi mitgebracht. Du kennst ihn ja und hast ihn oft geritten. Er fliegt wie ein Vogel, und in dieser Nacht soll er sein Meisterstück leisten."
Die Reden wurden in stürmischer Eile gewechselt, jetzt zog der Fürst die Papiere hervor, welche er im Hauptquartier erhalten hatte.
„Hier ist der Befehl des kommandirenden Generals, der Dir alles zur Verfügung stellt, sobald Du unsere Posten erreicht hast, hier die Depesche. Gönne Dir noch eine halbe Stunde der Erholung, sonst reicht Deine Kraft nicht aus und Du brichst auf dem Wege zusammen."
„Glaubst Du, daß ich jetzt noch Ruhe und Erholung brauche?" rief Hartmut aufflammend. „Jetzt breche ich sicher nicht zusammen, es müßte denn unter den Kugeln der Feinde sein! Ich danke Dir, Egon, für diese Stunde, in der Du mich endlich, endlich freisprichst von dem schmählichen Verdacht!"
„Und in der ich Dich in den Tod hinaussende!" sagte der Fürst leise. „Wir wollen uns die Wahrheit nicht verhehlen — es wäre ein Wunder, wenn Du glücklich durchkämst."
„Ein Wunder?" Hartmuts Blick streifte den Altar, den der matte, zitternde Mondesstrahl erhellte. Er hatte längst das Beten verlernt, und doch stieg in diesem Augenblick ein heißes, stummes Angstgebet zum Himmel empor, zu der Macht, die Wunder thun kann:
„Nur so lange, bis ich den Vater und die Seinen gerettet habe, nur so lange schütze mich!"
Schon in der nächsten Sekunde richtete er sich auf. Es war, als habe Egon mit seiner Nachricht glühende Lebenskraft in die Adern des Mannes gegossen, der eben noch der Kälte und der Erschöpfung zu erliegen drohte.
„Und nun laß uns hier Abschied nehmen!" flüsterte Egon. „Leb' wohl, Hartmut!"
Egon breitete die Arme aus und Hartmnt stürzte an seine Brust. In dieser Umarmung versank alles, was trennend zwischen ihnen gestanden hatte, die alte heiße Liebe brach wieder mächtig hervor, zum letzten Male, denn sie sühlten es beide, daß sie sich nicht wieder sehen würden, daß dies ein Abschied für immer war. —
Kaum eine Viertelstunde später jagte ein Reiter davon. Der schlanke Araber flog, so daß seine Hufe kaum den Boden zu berühren schienen; in rasendem Galopp ging es vorwärts, über den schneebedeckten Boden, durch eisstarrende Wälder, über gefrorene Bäche -— hinein in die Bergpässe!
Der nächste Tag brachte klares Frostwetter, aber die Kälte hatte einigermaßen nachgelassen und die Sonne schien hell herab.
In dem Quartier des Fürsten Adelsberg befanden sich Eugen Stahlberg und Walldorf, von welchen der letztere heute dienstfrei war, wenn auch gezwungenermaßen. Er war gestern bei der Rückkehr von der Feldwache auf dem eisglatten Boden gestürzt und hatte sich eine Verletzung der Hand zugezogen, die ihn hinderte, heute morgen mit seiner Kompagnie auszurücken, wie Egon es gethan hatte. Die Herren warteten auf ihren fürstlichen Kameraden, der bald zurückkehren mußte, und unterhielten sich inzwischen damit, Peter Stadinger zu necken, der heute pflichtschuldigst bei seinem Herrn erschienen war und nun gleichfalls wartete.
Die jungen Offiziere wußten noch nichts von der Nachricht, die man gestern im Hauptquartier erfahren hatte, sie waren daher in bester Laune und gaben sich alle mögliche Mühe, auch jetzt wieder Stadingers vielgerühmte Grobheit hervorzurufen. Aber das wollte heute nicht glücken; der Alte blieb wortkarg und verschlossen, er fragte nur immer wieder, wann denn Durchlaucht zurückkäme und ob es ein ernstes Gefecht sei, zu dem Durchlaucht ausgerückt wäre, bis Walldorf endlich die Geduld verlor.
„Ich glaube, Stadinger, Sie packten den Fürsten am liebsten ein und nähmen ihn mit nach Ihrem bombensicheren Rodeck,"
sagte er ärgerlich. „Die Aengstlichkeit müssen Sie sich hier im Kriege abgewöhnen, merken Sie sich das!"
„Und überdies ist der Fürst heute nur auf Rekognoscirung," fiel Eugen ein. „Er macht mit seinen Leuten vom K'apellenberge aus nur einen kleinen Spaziergang in die benachbarten Thäler und Schluchten, um festzustellen, wie es da eigentlich anssieht. Man wird vermuthlich nur einige Liebenswürdigkeiten mit den Herren Franzosen austauschen und sich dann höflich zurückziehen, die Unhöflichkeiten folgen erst in den nächsten Tagen."
„Aber geschossen wird doch auch dabei?" fragte Stadinger mit so angstvoller Miene, daß die beiden Offiziere laut anflachten.
„Ja, geschossen wird auch dabei," bestätigte Walldorf. „Sie scheinen eine heillose Angst vor dem Schießen zu haben und sind doch weit genug davon."
„Ich?" Der Alte richtete sich tiefbeleidigt auf. „Ich wollte, ich könnte mit dabei sein!"
„Wohl um Ihre vielgeliebte Durchlaucht zu schützen? Das würde sich der Fürst verbitten. Sie würden ihn am Rockschoße festhalten und fortwährend rufen: ,Nehmen Sie sich in acht,
Durchlaucht, da kommt eine Kugelt Das müßte sich köstlich ausnehmen!"
„Herr Lieutenant," sagte der Alte so ernst, daß der Spottlustige verstummte, „das sollten Sie doch einem alten Jäger nicht anthun, der früher oft genug den Gemsen nachgestiegen ist und geschossen hat, wo er kaum einen fußbreit Raum zum Stehen hatte. Mir ist nur heute so schwer und angst zu Muthe — ich wollte, der Tag wär' erst vorbei!"
„Mun, es war nicht schlimm gemeint," begütigte Engen. „Wir glauben es Ihnen schon, Stadinger, Sie sehen nicht aus wie jemand, der sich fürchtet. Aber mit Ihrer ,ahnungsvollen^ Stimmung bleiben Sie uns vom Leibe, darauf giebt man nichts mehr, wenn man so und so viele Male im Kugelregen gestanden hat. Wenn wir glücklich wieder daheim sind, komme ich mit meiner Schwester nach Ostwalden, und dann wollen wir auch gute Nachbarschaft mit Rodeck halten. Der Fürst liebt sein altes Waldnest ja so sehr! — Und nun lassen Sie Ihre grämliche Miene fahren, da kommt er ja schon zurück!"
In der That vernahm man draußen auf der Treppe einen raschen Schritt; der Alte athmete erleichtert auf, aber es war nur der Bursche Egons, der in der geöffneten Thür erschien.
„Nun, kommt Seine Durchlaucht?" fragte Walldorf; aber Stadinger ließ dem Manne keine Zeit zur Antwort. Er hatte einen Blick auf sein Gesicht geworfen, nur einen einzigen, und plötzlich faßte er mit krampfhaftem Griffe seine Hand.
„Was ist's? Wo — wo ist mein Herr?"
Der Bursche zuckte traurig die Achseln und deutete stumm auf das Fenster; die beiden Offiziere eilten bestürzt dorthin, aber Stadinger nahm sich keine Zeit dazu. Er stürzte hinaus, die Treppe hinunter, in das Gärtchen, das sich vor dem Hanse befand, und sank dort mit einem lauten Aufschrei in die Kniee vor der Bahre, die zwei Krankenträger soeben niedersetzten und auf welcher eine jugendliche Gestalt ausgestreckt lag.
„Still!" sagte der Arzt, der den traurigen Zug begleitet hatte und jetzt herantrat. „Beherrschen Sie sich, der Fürst ist schwer verwundet!"
„Das sehe ich!" keuchte der Alte. „Aber nicht tödlich — nicht wahr, nicht tödlich? — Sagen Sie es doch nur, Herr Doktor!"
Er blickte zu dem Arzte auf mit so verzweiflungsvollem Flehen, daß dieser nicht das Herz hatte, ihm die Wahrheit zu sagen. Er wandte sich zu den beiden Offizieren, die jetzt auch herbeieilten und ihn mit leisen, angstvollen Fragen bestürmten.
„Eine Kugel in der Brust," antwortete er ebenso leise. „Der Fürst verlangte, nach seinem Quartier gebracht zu werden, und wir haben bei der Herschaffung alle mögliche Sorgfalt an-, gewendet, aber es geht doch schneller zu Ende, als ich dachte."
„Also tödlich?" fragte Walldorf.
„Unbedingt tödlich!" Der Arzt gab den Krankenträgern, die ihre Last eben wieder aufnehmen wollten, um sie in das Haus zu tragen, einen Wink, davon abzustehen.
„Lassen Sie! Der Fürst scheint seinem Diener noch etwas sagen zu wollen, und hier handelt es sich nur noch um Minuten."
(Schluß folgt.)