Heft 
(1985) 39
Seite
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UndTu ich einen Spaziergang machen bekennt sich ganz ähnlich zu den .allerkleinsten Sachen, während die großen Fragen ruhen:

Tu ich einen Spaziergang machen,

Beschäftgen mich immer allerlei Sachen.

ln das Kommende oder in Zukunftsrätsel sich versenken.

Tod und Sterben überdenken,

Gibt es so was wie Fortschritt auf Erden Oder werden wir alle russisch werden,

Sollen wir was für den Himmel tun:

Alle diese Fragen ruhn.

Immer nur allerkleinste Sachen Dürfen einen Anspruch machen:

Warum sind Müllers ausgeblieben?

Warum hat Schulze nicht geschrieben?

Werd ich der Meyer im Park begegnen?

Wird es schön Wetter oder wird es regnen

Und im Immer-weiter-Schreiten Wechseln so die Nichtigkeiten. (S. 402)

Freilich ist schon dabei das selbstironische Understatement nicht zu über­hören, und es wird noch zu fragen sein, wie weit bereits ein solches Bekenntnis zum Kleinen wie das zum Alltag eine kritische Reaktion auf Tendenzen der Gründerzeit einschließt. Doch auch sonst darf man sich durch die scheinbare Abwehr dessen, was geschichtliche Dimension bean­sprucht, nicht täuschen lassen. Das Erregende liegt vielmehr gerade darin, daß leise und unauffällig in das scheinbar Private des Alltags immer wieder der Rekurs auf die politische Welt eindringt, daß die Welt des Alltags damit im geschichtlichen Kontext verankert wird, der Alltag seine eigene Geschichtlichkeit erlangt. Das GedichtZeitung (S. 403 f.) weiß, was an Fragwürdigkeiten und an Phrasen dieses Medium transportiert. Und doch verteidigt es die Zeitung letztlich in ihrem unverzichtbaren Beitrag zu unserem Wirklichkeits- und Zeitbewußtsein. AnWas mir gefällt wird deutlich, mit welcher Selbstverständlichkeit geographische und zeit­geschichtliche Bezugnahmen in das Bild des Alltags eingebracht werden:

Du fragst: ob mir in dieser Welt Überhaupt noch was gefällt?

Du fragst es und lächelst spöttisch dabei.

Lieber Freund, mir gefällt noch allerlei:

Jedes Frühjahr das erste Tiergartengrün,

Oder wenn in Werder die Kirschen blühn,

Zu Pfingsten Kalmus und Birkenreiser,

Der alte Moltke, der alte Kaiser,

Und dann zu Pferd, eine Stunde später,

Mit dem gelben Streifen der .Halberstädter; Kuckucksrufen, im Wald ein Reh,

Ein Spaziergang durch die Läster-Allee,

Paraden, der Schapersche Goethekopf

Und ein Backfisch mit einem Mozartzopf. (S. 45 f.)

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