Heft 
(1985) 39
Seite
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Stehen hier Moltke und der alte Kaiser in der Reihe der nahen und nächsten Lebensinteressen, so beobachten wir es inJa, das möcht ich noch erleben ganz ähnlich mit Bismarck:

Eigentlich ist mir alles gleich,

Der eine wird arm, der andre wird reich,

Aber mit Bismarck was wird das noch geben?

Das mit Bismarck, das möcht ich noch erleben. (S. 53)

Der nächste Wunsch, der die Bindung ans Leben illustriert, gilt dem vor­schulpflichtigen Enkel. Ein scheinbar beziehungsloses Nebeneinander doch bedeutsam für das Verständnis des Gedichts. Hier wird die Trennung von .Persönlichem* und .Politischem* aufgehoben, die Gedichte im Stile Geibels als selbstverständlich voraussetzen. Wie Günter Häntzschel gezeigt hat, dankte die Lyrik gerade zweit- und drittklassiger Autoren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Erfolg in erster Linie dem weiblichen Publikum. 5 Hier bestand denn auch eine genaue Entsprechung zwischen der Politik- und Wirklichkeitsferne dieser Lyrik und dem Rüdestand an öffentlicher Geltung, der die soziale Stellung der Rezipienten bezeichnete, so daß sich literarisches Produkt und Sozialstruktur gegenseitig entgegen- kommen und bestätigen konnten. Fontanes späte Lyrik ist gerade gegen dieses Muster von Lyrik und Lyrikrezeption scharf abgesetzt. Sie mag den Kreis der möglichen Rezipienten beschränken, soweit sie wie seine Berliner Gesellschaftsromane gelegentlich eine Vertrautheit mit der Lebenswelt Berlins voraussetzt. Doch anders als die Gedichte, von denen soeben am Beispiel Geibels die Rede war, appelliert sie an den wachen Zeitgenossen, dem die raum-zeitlichen und gesellschaftlichen Einbindungen seiner Existenz selbstverständlich waren. Darin, daß sie die tradierte Trennung zwischen dem Privaten und dem öffentlichen aufhob, lag ein wesentlicher Aspekt des Neuen dieser Lyrik im lyrikgeschichtlichen Kon­text. Er mußte sich u. a. an der Ausprägung des autobiographischen Moments, das an Fontanes später Lyrik auffällt, zeigen.

2. Die Stellung des Schriftstellers

Es gibt Rollengedichte im Bereich der späten Lyrik Fontanes, z. B. die Berliner Ehedialoge derWurzeis (S. «9). Und gelegentlich dominiert ein epischer Gestus, der sich der dritten grammatischen Person bedient, wie inFritz Katzfuß (S. 55 57). Am häufigsten indessen begegnet die Haltung der Ich-Aussage, die Bindung der Aussage an die Perspektive einesIch. In vielen Gedichten erscheint dieses Ich noch dadurch betont, daß es sich selbst thematisch und Gegenstand der Reflexion wird.Lebenswege z. B. ist ein solches Gedicht, und wir entnehmen ihm unschwer den autobio­graphischen Gehalt:

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