Heft 
(1985) 39
Seite
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Man ist nicht Null, nicht geradezu Luft,

Aber es gähnt doch eine Kluft,

Und das ist die Kunst, die Meisterschaft eben,

Dieser Kluft das rechte Maß zu geben.

Nicht zu breit und nicht zu schmal,

Sich flüchtig begegnen, ein-, zwei-, dreimal,

Und verbietet sich solch Vorüberschieben,

Dann ist der Gesprächsgang vorgeschrieben:

Anheimelnder Kirchhof ... beinah ein Garten ...

Der Prediger läßt heute lange warten Oder:Der Tote, hat er Erben?

Es ist erstaunlich, wie viele jetzt sterben. (S. 36 f.)

Der Dichter erkennt in der Skepsis, mit der ihn die Gesellschaft betrachtet, freilich auch die Reaktion auf die eigene kritische Haltung. Der unter­schwellige Konflikt wird gerade an dem Aspekt der .Feierlichkeit* gut faßbar. Die vom Dichter erwartete .Feierlichkeit* würde auch ein Ernst­nehmen, eine Bestätigung gesellschaftlicher Rollen und Rituale bedeuten Doch genau solchenSinn für Feierlichkeit spricht sich Fontane inWas mir fehlte ab:

Ich blicke zurück, Gott sei gesegnet,

Wem bin ich nicht alles im Leben begegnet!

Machthabern aller Arten und Grade.

Vom Hof, von der Börse, von der Parade,

Damens mit und ohne Schnitzer,

Portiers, Hauswirte, Hausbesitzer,

Ich konnte mich allen bequem bequemen,

Aber feierlich könnt ich sie nicht nehmen. (S. 30 f.) Während der Feierlichkeit hier ganz deutlich affirmative Funktionen nach­gesagt werden, impliziert die Unfeierlichkeit eine kritische Distanz. Sie prägt in den Gedichten auch die Art und Weise, wie vom Publikum gesprochen wird, z. B. in demPublikum überschriebenen Gedicht:

Das Publikum ist eine einfache Frau,

Bourgeoishaft, eitel und wichtig.

Und folgt man, wenn sie spricht, genau,

So spricht sie nicht mal richtig.

Eine einfache Frau, doch rosig und frisch,

Und ihre Juwelen blitzen,

Und sie lacht und führt einen guten Tisch,

Und es möchte sie jeder besitzen. (S. 44 f.)

Kein Zweifel: der Schriftsteller, der sich hier äußert, möchte nicht auf ein Publikum verzichten. Noch weniger aber ist auf bloße Anpassung zu schließen. Das geht schon aus der ironischen Charakterisierung hervor, die das Publikum im Bild einer bourgeoisen Frau beschreibt. Es erinnert auf­fällig an die Kommerzienrätin inFrau Jenny Treibei: jene bourgeoise Dame, die in der Tat einenguten Tisch führt, sich ihr Faible für Lite­rarisches dabei in Wahrheit nur als ornamentale Garnierung des Wohl­stands leistet, während das Defizit echter ästhetischer Sensibilität sichtbar

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