Heft 
(1985) 39
Seite
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wird. Die Annäherung des Publikumsbezugs an die Bourgeoisie ist dabei freilich nicht so zu verstehen, daß der Dichter ausschließlich an das bour­geoise Publikum denkt. Das .Bourgeoishafte 1 meint wie zuweilen auch in Briefen Fontanes' eine zeittypische Haltung, die bevorzugt beim Bour­geois anzutreffen ist, aber nicht ausschließlich auf ihn beschränkt bleibt, ln all diesen Aspekten der Schriftstellersituation spricht Fontane aus eigener Erfahrung. Seine Lyrik verrät ihren autobiographischen Gehalt.. Nur darf man dabei jene Erweiterungen des Persönlichen zum Gesellschaft­lich-Typischen nicht übersehen, auf die es ihm ankommt. Die unbefrie­digende materielle Situation des Schriftstellers, sein geringes Ansehen, der Konflikt mit gesellschaftlichen Normen und das gebrochene Verhältnis zum Publikum: das alles sind Momente, die in den eigenen Erfahrungen immer zugleich die allgemeinere gesellschaftliche Situation des Schrift­stellers meinen. Das wird noch deutlicher, wenn wir die Aussage der Gedichte mit Fontanes AufsatzDie gesellschaftliche Stellung des Schrift­stellers vergleichen." Die Stellung des Schriftstellers seimiserabel, heißt es hier lapidar; Preußen-Deutschland gehöre diesbezüglich zu den füh­renden Ländern. DasGeld-Elend wird betont:Die, die mit Literatur und Tagespolitik handeln, werden reich, die, die sie machen, hungern entweder oder schlagen sich durch. Die Ausführungen sehen die materielle Armut dabei als Ausdruck wie als Folge der allgemeinen gesellschaftlichen Geringschätzung des Schriftstellers. Sie deuten diese Geringschätzung zum Teil wiederum als Resultat eines Mißtrauens, das in SchriftstellernCati- linarische Existenzen vermutet, noch mehr freilich als Konsequenz mangelnden ästhetischen Interesses und Verständnisses beim lesenden Publikum.

Der von Fontane erwogene Ausweg einerVerstaatlichung, einerAppro­bation auch des Schriftstellers, mag uns heute fragwürdig erscheinen. Glücklich mit seinem Vorschlag war auch Fontane nicht, so daß er für den Fall des Scheiterns bereits einenbesseren Weg andeutet:Größere Achtung vor uns selber. 11 Er fordert damit ein Selbstbewußtsein des Schriftstellers, das sich der öffentlichen Geringschätzung widersetzt. Liest man Fontanes späte Gedichte genauer, so handeln sie von der unbefrie­digenden Stellung des Schriftstellers ebenso wie von diesem Selbstbewußt­sein. Die selbstironischen Schuldzuweisungen inWas mir fehlte oder ..Verzeiht, die sich für die Abweichung von etablierten Normen zu ent­schuldigen scheinen, sind in Wahrheit ein subtiles Bekenntnis zur eigenen Art, zu sich selbst. Oder um es an dem Spannungsbogen zu erläutern, den das GedichtBrunnenpromenade durchläuft: Da scheint das gesellschaft­liche Leben eines mondänen Badeorts den Dichter mit der Erfahrung der Nichtigkeit, ja dem Selbstverlust zu bedrohen. Doch der Schluß des Gedichts stellt in der kritischen Desillusion des gesellschaftlichen Treibens das Be­wußtsein des eigenen Wertes wieder her:

Zu Schemen ist plötzlich alles verschwommen,

Ich bin wieder zu mir selbst gekommen,

Und während mir Scheuheit und Demut entschlummern,

Zähl ich mich zu denbesseren Nummern. (S. 49)

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