Heft 
(1985) 39
Seite
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3. Lyrik und Gesellschaft

Die Besinnung des Schriftsteller-Ich auf die Stellung im gesellschaftlichen Kontext kann dieses Verhältnis in sehr verschiedenen Akzentuierungen ausformulieren. In manchen Gedichten dominiert die sich selbst zugewandte Reflexion, während der gesellschaftliche Hintergrund nur angedeutet und nicht weiter konkretisiert wird. Umgekehrt gibt es aber auch Gedichte, die den Argumentationsspielraum des Subjekts begrenzen, dagegen das Bild der Gesellschaft weiter differenzieren und objektivieren. Das soeben zitierte GedichtBrunnenpromenade und der ZyklusAus der Gesellschaft machen diese Tendenz anschaulich.

Es ist uns heute geläufig, Fontanes Weg zum GeseMschafts- und Zeitroman als Weg zum ,eigentlichen 1 Fontane zu sehen. In der Offenheit für die Darstellung und Deutung des gesellschaftlichen Lebens erlangt das Erzäh­len gleichzeitig seine besondere Modernität. Was uns vermutlich weniger geläufig ist: für die späte Lyrik gilt das mutatis mutandis ganz, ent­sprechend. Das Neue erwächst dieser Lyrik auch daraus, wie sie auf gesell­schaftliche Erfahrung reagiert: weder in der üblichen Weise politischer Lyrik noch der einer Gesellschaftsabgewnndtheit, möge diese nun Flucht oder mittelbaren Protest im Sinne der bekannten Ausführungen Th. W. Adornos zum Verhältnis von Lyrik und Gesellschaft bedeuten ." 1 Das GedichtBrunnenpromenade umschließt so gesehen auch eine subtile Spiegelung des Weges, den die späte Lyrik Fontanes in diesem prägenden Bereich ihrer geschichtlichen Voraussetzungen zurücklegt. Der Durchbruch zum Selbstbewußtsein des Schriftstellers, der hier als Erfahrung eines Kur­aufenthaltes ausgegeben wird, läßt sich im übertragenen Sinn auch auf den Weg des Schriftstellers insgesamt beziehen. Doch bezeichnend für beide Geltungsebenen bleibt: dem Erwachen des Schriftstellers zu sich selbst liegt die Konfrontation mit dem Leben der Gesellschaft voraus.

Als ich ankam, Johannistag war grade.

Gleich ging ich auf die Brunnenpromnade.

Kaum wollt ich meinen Augen traun,

So viel des Herrlichen war da zu schaun.

Eine lange Reihe der schönsten Damen,

Wer zählt die Völker, wer nennt die Namen!

Eine ganz Teint und Taille war,

Aschblond das schlicht gescheitelte Haar,

Blendende Zähne, feines Kinn,

Typus einer Engländerin,

Aber solcher, die palankin-überdacht Weit draußen ihre Tage verbracht,

In Hongkong oder Singapor

(Ihr Diener Malaie halb, halb Mohr).

Und neben ihr plaudert ein junger Lord Von Lachsfang im Stavanger-Fjord,

Alles albionmäßig abgestempelt,

Die Beinkleider unten umgekrempelt. (S. 4(1)

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