Heft 
(1890) 36
Seite
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Schmerzen und ich und ich so, Lamprecht, nun geh', da ist der Mantel, die Tücher! Gieb die Blumen her gut' Nacht, grüß' Deine Frau!- Was möchtest Du noch haben?"

Haben?" murmelte der Graukopf, der sich Annies Mantel über den Arm legte und mit einem halb bewundernden, halb vorwurfsvollen Blick das reizende junge Geschöpf in dem weißen Kleide musterte.Nichts will ich haben! Aber daß ich nicht 'mal zu hören bekomme, wie es denn nun gewesen ist bei Wey­lands, daß ich doch der Agathe sagen kann: .sie hat sich amü- sirll - oder: Fie hat sich nichll"

Ach so! Nimm mir's nicht übel, ich dachte an Thea! Sag' Deiner Frau, es war wunderschön; es war- ich morgen, morgen! Gute Nacht!"

Sie gab dem Alten mit einem freundlichen Nicken den Ab­schied, dann schlich sie auf den Zehen nach der Thür des Neben­zimmers, um zu lauschen.

Vögelchen Du?" kam eine müde Stimme von drinnen.

Ja, liebste Thea!" Und wirklich so leicht und rasch wie ein Vogel huschte das junge Mädchen ins Zimmer. Dieses, von den Damendie Wohnstube" genannt, war trotz seiner Größe und Höhe ein äußerst behaglicher Raum mit seiner dunklen Eichen­täfelung, welche die halben Wände bedeckte, mit den breiten, tiefen Fensternischen, in denen, um ein paar Stufen erhöht, Näh- und Arbeitstische, sowie einige Blumenständer mit schönen Blatt- und Topfpflanzen Platz hatten, mit der prachtvollen, alterthümlichen Kredenz", in deren Fächern es von kostbarem Porzellan und Krystall, von Silber- und Glassachen glitzerte, mit seinen schweren, gediegenen Möbeln, die von ehrwürdigen Zeiten redeten. In der Mitte des Zimmers stand ein großer Eichentisch auf massiven Kugelfüßen, drüber hing eine große Ampel an sechs Kupfer­ketten. Sie brannte sehr hell und zeichnete in das ernste, dunkel gehaltene Gemach eine Helle Lichtinsel hinein. Auch den hohen, breiten, mit tiefrothen Polstern belegten Lehnsessel traf voller Lampenschimmer, ebenso das Leidensgesicht, das in den Kissen lag, wachsweiß, mit bläulich gefärbten Augenlidern, glanzlosen schwarzen Haaren und übernatürlich großen Augen. Wohl schienen diese Augen, wie sie klug und lebhaft aufblickten, von keinem Schmerz erzählen zu wollen desto mehr that dies der Mund, der beständig von einem gequälten Zug umgeben war. Eine durchsichtige Hand lag auf der weichen türkischen Decke, die über die Kniee der Kranken gebreitet war, neben dem Sessel lehnte ein hoher Krückstock mit gepolstertem Griff.

Annie warf all ihre Blumen auf den Tisch und beugte sich über das blasse Gesicht, das sie mit ihren beiden jungen warmen Händen streichelte.

Thea, Thea! Da bin ich wieder! Wie geht Dir's?"

Kleiner Schelm, Du willst jetzt natürlich, ich soll sagen: Gut, da ich Dich wieder habe! Aber das kann ich doch nicht Du hast Dir ja auch ein für allemal feierlich solche Rücksichts­lügen verbeten! Wie soll es mir gehen? Es war recht schlimm eine Zeitlang, die Schmerzen sehr arg, danach führten die Nerven einen ganz tollen Tanz auf, aber die letzten Tropfen, die Heim- bucher mir verschrieben hat, thaten mir wirklich gut, ich konnte doch wieder lesen, und Du weißt, dann sind wir übern Berg; mir war die letzten Stunden ganz leidlich zumuthe, nur an Schlaf wäre ohnehin kein Gedanke gewesen, darum blieb ich lieber auf. So! Dies leidige Thema wmre abgethan! Jetzt kommt unser Vergnügen! Du siehst ja keine Spur müde aus, und ich kenne Dich, Du mußt Dich immer erst ausplaudern. Also setz' Dich dahin und erzähle!"

Das Neueste, Thea! Wir bekommen Frühling! In allem Ernst!"

Wirklich?" In den klugen Augen wachte etwas Schwer- müthiges auf, das aber rasch verflog.Nun aber Deinen Bericht!"

Zuerst eine Frage: Findest Du, Thea aber Du mußt ganz, ganz aufrichtig sein wie immer! daß ich heute. . . daß ich heute . . . Du brauchst nicht zu lachen besonders hübsch aussehe? Hübscher als sonst?"

Thekla blickte verwundert auf. Ihre junge Schwester stand vor ihr; schlank hob sich die weiße Lichtgestalt von dem dunklen Hintergrund des Eichengetäfels ab, die schönen Hände spielten mechanisch mit den über den Tisch hingestreuten Blumen, die Augen, in denen eine seltsam lebhafte Erwartung glänzte, hingen in selbstvergessener Spannung an Theklas Antlitz.

Diese überflog das reizvolle Bild mit ihrem prüfenden Blick.

Ja!" sagte sie dann kurzweg.

Ein halb unterdrückter Jubellaut antwortete ihr.Also wirk­lich! Siehst Du, das freut mich aber!"

Ja ich sehe! Und warum freut's Dich so besonders?"

Ach nun - weißt Du, ich bin heute ein bißchen sehr gefeiert worden noch mehr als früher! Die beiden interessantesten Herren von der ganzen Gesellschaft hat mir Hedwig zu Tisch­nachbarn gegeben, und Du kannst Dir denken, da hieß es natürlich wieder gleich, ich hätte sie angelockt, und die anderen Mädchen besprachen und beneideten mich das natürlich machte mir keine Freude ..."

Was also sonst?"

Annie wurde verlegen und senkte die seidenen Wimpern.

Ich . . . aber Thea, ich sagte Dir doch, man hat mich

ausgezeichnet mir den Hof gemacht all die neuen Ulanen

waren da sieh nur die vielen Cotillonsträuße! Ich bin ja doch jung, mir machte es Spaß" sie stockte und verwirrte

sich immer mehrich möchte wissen, warum Du mich so

ansiehst?"

Weil Du mir nicht alles sagst!"

Ich Dir? Aber ich will Dir ja alles sagen!"

Schön! Zunächst: wer waren diese beiden interessanten Tischnachbarn?"

Ach, Dich hätten sie auch interessirt! Mein Kavalier war Herr von Conventius, der neue Prediger an der Lukaskirche! Ich gehe hinein, wenn er seine Antrittspredigt hält, ja, Thea, ich thu' es wahr und wahrhaftig, Du kannst dazu sagen, was Du willst!"

Ich sage gar nichts dazu!"

Gar nichts? Also dann erst recht! Ein bildschöner Mann, groß, schlank, blond, recht wie der Abkömmling eines alten Adels­geschlechtes; und das ist er auch; sein Vetter, ein fideler Lieutenant, mit dem ich den Cotillon tanzte, hat es mir erzählt, und wie er ans Liebe zu seinem Beruf, aus Ueberzeugungstreue sich mit seiner ganzen Familie überworfen und fast mit seinem Vater entzweit habe, der mit Gewalt einen Offizier aus ihm machen wollte. Ist das nicht edel, nicht bewunderungswürdig? Und dabei keine Spur von einem finsteren Eiferer ein Welt­mann von feinsten Manieren, gewandt und dabei gediegen in der Unterhaltung, sogar humoristisch ich wollte, ich könnte Dir sein Gesicht beschreiben!"

Schon gut, Vögelchen! Und der andere?"

Der andere? Ah so, den Lieutenant von Conventius meinst Du! Der ist ganz hübsch und lustig, sieht aber seinem Vetter gar nicht ähnlich."

Den meine ich überhaupt nicht! Dein zweiter Nachbar bei Tisch."

Mein zweiter Nachbar? Professor Delmont!"

Der hier neu an der Akademie angestellt ist? Von dem die Zeitungen soviel Aufhebens machen?"

, Ja!"

Ebenfalls bildschön?"

Nein!"

Auch Kavalier von den feinsten Manieren? Gewandt? Humoristisch?"

Nein."

Also ein unangenehmer Mensch?"

Nein, . . . nicht unangenehm!"

Eine Pause entstand. Die Hand der älteren Schwester strich mechanisch über die feinen Haare des Teppichs auf ihrem Schoße, die Hand der jüngeren zerzupfte die Blumen.

Die armen Dinger! Alle an Draht geschnürt!" hieß es dann, und Annie griff ein kleines Sträußchen von weißem Flieder und dunkeln Veilchen aus den andern heraus und wickelte behut­sam den Draht davon los.

Morgen ist das alles verdorben! Hast Du nicht Wasser hier, Thea? Danke!"

Sie holte aus der Kredenz eine schöne, schlanke, kleine Vase in Form einer Lilie, goß Wasser aus Theklas Glas hinein und setzte mit sorgsamer Hand das Sträußchen von Veilchen und weißem Flieder in den Lilienkelch.

Als sie von ihrem Werk aufsah, begegnete sie dem ruhig und aufmerksam auf sie gerichteten Blick ihrer Schwester.